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RA Digital - 07/2021

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384 Strafrecht

384 Strafrecht RA 07/2021 BGH, Urteil vom 07.08.2003, 3 StR 137/03, NJW 2003, 3283 Sollte A als juristischer Laie diese – komplexe – Wertung nicht nachvollziehen, sondern davon ausgehen, einen durchsetzbaren Wechselgeldanspruch zu haben, so hätte er nach dem BGH keinen Tatentschluss bzgl. der Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Bereicherung (Tatbestandsirrtum gem. § 16 I 1 StGB; BGH, Beschluss vom 26.08.2014, 5 StR 358/14, NStZ-RR 2014, 341). Nach a.A: würde dies einen vermeidbaren und damit unbeachtlichen Verbotsirrtum gem. § 17 StGB darstellen (Wessels/Hillenkamp/Schuhr, BT2, Rn 203, 582, 719). Ein unmittelbares Ansetzen ist dann gegeben, wenn der Täter die Schwelle zum „jetzt geht es los“ überschreitet und eine Handlung vornimmt, die nach seiner Vorstellung ohne wesentliche Zwischenschritte in die Tatbestandsverwirklichung einmünden soll, sodass aus seiner Sicht das geschützte Rechtsgut bereits konkret gefährdet ist. Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn der Täter davon ausgeht, dass er mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln die Tat entweder gar nicht oder zumindest nicht ohne zeitlich relevante Zäsur vollenden kann. [20] cc) Bei Nichtigkeit aller vertraglichen Vereinbarungen ergeben sich hier auch keine bereicherungsrechtlichen Ansprüche auf Zahlung von fünf Euro aus §§ 812 ff. BGB, denn diesen steht die Regelung des § 817 Satz 2 BGB entgegen: Nicht nur der Geschädigte verstieß bei Entgegennahme des Kaufpreises gegen das gesetzliche Verbot des Betäubungsmittelhandels aus § 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG, auch der Angeklagte [beging] bei der Zahlung für den Erhalt des Marihuanas einen solchen Verstoß, weshalb [er] das Geleistete nicht zurückverlangen [konnte]. Anders als offenbar das Landgericht angenommen hat, ließ sich die Leistungshandlung, die in der Übergabe des 20-Euro-Scheins bestand, nicht in einen bemakelten Teil, der auf den Betäubungsmittelerwerb gerichtet war, und einen unbemakelten, lediglich zu dem Geldwechsel führenden Teil aufspalten. Denn der Geldwechsel war – wie dargelegt – mit dem Abschluss des Betäubungsmittelgeschäfts so eng verknüpft, dass er auch dem Zustandekommen des gemäß § 3 Abs. 1 BtMG verbotenen Handels mit Betäubungsmitteln diente. [21] dd) Auf der Grundlage der Feststellungen ist auch nicht von einem Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung, etwa nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB, auszugehen. Die Strafkammer hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Geschädigte bewusst einen zu geringwertigen Geldschein übergab und den […] Angeklagten mithin vorsätzlich täuschte.“ A hat keinen durchsetzbaren Anspruch auf Zahlung des Wechselgeldes. Es ist davon auszugehen, dass er dies auch wusste und deshalb Tatentschluss bzgl. der Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Bereicherung hatte. Auch hatte er Tatentschluss bzgl. der Stoffgleichheit der Bereicherung. C. Unmittelbares Ansetzen, § 22 StGB A hatte die qualifizierten Nötigungsmittel bereits angewendet und ging davon aus, dass G ihm das Wechselgeld sofort aushändigen würde. Er hat also unmittelbar angesetzt. D. Rechtswidrigkeit und Schuld A handelte rechtswidrig und schuldhaft. Jura Intensiv E. Kein Rücktritt gem. § 24 StGB A hielt seinen Plan, dem G 5,- € abzunötigen, für gescheitert, dachte also, die Tat mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nicht mehr vollenden zu können. Damit ist der Versuch des A fehlgeschlagen und ein Rücktritt somit ausgeschlossen. F. Ergebnis A ist strafbar gem. §§ 253 I, 255, 22, 23 I StGB. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 07/2021 Strafrecht 385 Problem: Eigenverantwortliche Selbstgefährdung Einordnung: Strafrecht AT I / Tatbestand AG Torgau, Urteil vom 01.03.2021 3 Ds 951 Js 3564/19 (3) EINLEITUNG Das AG Torgau prüft den Ausschluss der Strafbarkeit wegen eigenverantwortlicher Selbstgefährdung des Opfers und wegen Notwehr. SACHVERHALT Der Angeklagte A war gerade im Begriff, das Tor zur Einfahrt des seinen Vater gehörenden stillgelegten Betriebsgrundstücks in O. zu öffnen, als seine dauerhaft von ihm getrenntlebende Ehefrau M und ihr neuer Lebensgefährte D vor Ort eintrafen. Beide beabsichtigten, den A zur Rede zu stellen, weil er sich zuvor geweigert hatte, die noch an die Wohnanschrift der M gerichtete und für ihn bestimmte Post entgegenzunehmen und sie ihm bei dieser Gelegenheit zu übergeben. Während des zwischen den Beteiligten geführten Streitgesprächs stand die Fahrertür seines etwa einen Meter vor der Grundstückseinfahrt geparkten Fahrzeugs offen. Die Möglichkeit, die an A gerichtete Post darin abzulegen, ergriff M nicht. A mochte sich nicht auf eine weitere Diskussion mit beiden einlassen und gab ihnen zu verstehen, dass er auf das Grundstück seines Vaters fahren wolle. Er stieg in sein Fahrzeug ein, setzte es mit Schrittgeschwindigkeit in Bewegung und fuhr auf das Betriebsgelände. Um die Weiterfahrt des A zu verhindern, stellten sich ihm M und D hinter der Toreinfahrt entgegen. Beide versuchten, mit winkenden Handbewegungen und durch Klopfen auf das Fahrzeugdach die Weiterfahrt des A zu verhindern. A ließ sich davon nicht beeindrucken und setzte seine Fahrt mit weniger als 5 km/h fort. Um das Fahrzeug zu stoppen, lief M gestikulierend links davor her. A fuhr dennoch, die Möglichkeit einer Kollision mit M vor Augen, mit unveränderter Geschwindigkeit weiter und traf M mit dem vorderen linken Kotflügel seines Pkw am linken Knie, wodurch sie sich eine Prellung zuzog. Nun schmiss sich D auf die Motorhaube des Wagens und hielt sich mit seinen Händen am Bügel der Scheibenwischer fest. A fuhr mit ihm noch maximal zehn Meter weiter und hielt an. D erlitt eine Prellung des linken Knies und Hämatome. Hat A sich wegen Körperverletzung, § 223 I StGB, strafbar gemacht? PRÜFUNGSSCHEMA: KÖRPERVERLETZUNG, § 223 StGB A. Tatbestand I. Körperliche Misshandlung / Gesundheitsschädigung II. Vorsatz B. Rechtswidrigkeit und Schuld C. Strafantrag, § 230 StGB LÖSUNG Jura Intensiv A. Strafbarkeit gem. § 223 I StGB zum Nachteil der M A könnte sich wegen Körperverletzung gem. § 223 I StGB zum Nachteil der M dadurch strafbar gemacht haben, dass er sie anfuhr. LEITSÄTZE DER REDAKTION 1. Eine in einer objektiven Notwehrlage verübte Tat ist gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung steht. 2. Im Rahmen von § 32 StGB muss der Angreifer eine Rechtsgutsverletzung hinnehmen oder ihm kann zumindest eine eingeschränkte oder risikoreichere Verteidigung abverlangt werden, wenn der Angriff durch den Ehegatten erfolgt; für getrenntlebende Ehegatten lässt sich eine solche Einschränkung des Notwehrrechts hingegen nicht rechtfertigen. 3. Eine vorwerfbare Provokation der Notwehrlage und die damit einhergehenden Einschränkungen der Notwehrbefugnisse können nurdurch rechtlich oder sozialethisch zu beanstandende Verhaltensweisen begründet werden. 4. Nicht strafbar macht sich grundsätzlich, wer, sofern er nicht kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfasst als der sich selbst Verletzende, das zu einer Selbstverletzung führende eigenverantwortliche Handeln des Selbstschädigers vorsätzlich oder fahrlässig veranlasst, ermöglicht oder fördert. 5. Maßgebliches Abgrenzungskriterium zwischen strafloser Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbstschädigung bzw. -gefährdung und der – grundsätzlich tatbestandsmäßigen – Fremdschädigung eines anderen ist die Trennungslinie zwischen Täterschaft und Teilnahme; diese bestimmt sich nach der Tatherrschaft, also der Herrschaft über den Geschehensablauf. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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