Aufrufe
vor 2 Jahren

RA Digital - 07/2021

  • Text
  • Bundesregierung
  • Beschluss
  • Stgb
  • Recht
  • Urteil
  • Verlags
  • Inhaltsverzeichnis
  • Anspruch
  • Intensiv
  • Jura
Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

390 Referendarteil:

390 Referendarteil: Strafrecht RA 07/2021 angelegt und Ausdruck der Übernahme von Verantwortung sein muss. Der kommunikative Prozess setzt keinen persönlichen Kontakt zwischen Täter und Opfer voraus, sondern kann auch durch Dritte vermittelt werden. Unverzichtbar ist nach dem Grundgedanken des Täter-Opfer-Ausgleichs aber eine von beiden Seiten akzeptierte, ernsthaft mitgetragene Regelung, was grundsätzlich voraussetzt, dass das Opfer die Leistungen des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert. Daher sind regelmäßig tatrichterliche Feststellungen dazu erforderlich, wie sich das Opfer zu den Wiedergutmachungsbemühungen des Täters gestellt hat. Für die Annahme eines friedensstiftenden Ausgleichs i.S.d. § 46a Nr. 1 StGB kann nicht ausschließlich auf die subjektive Bewertung von Tatopfer oder Täter abgestellt werden. Erforderlich ist vielmehr vorrangig die Prüfung, ob die konkret erfolgten oder ernsthaft angebotenen Leistungen des Täters nach einem objektivierenden Maßstab als so erheblich anzusehen sind, dass damit das Unrecht der Tat oder deren materielle und immaterielle Folgen als „ausgeglichen“ erachtet werden können. Dies macht konkrete Feststellungen zum durch die Tat entstandenen materiellen und immateriellen Schaden erforderlich. Ein erfolgreicher Täter-Opfer-Ausgleich i.S.d. § 46a Nr. 1 StGB setzt grundsätzlich voraus, dass das Opfer die Leistungen des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert. Hat der Täter in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen, die Wiedergutmachung der Tat ernsthaft erstrebt, kann allerdings die fehlende Einwilligung des Opfers ausnahmsweise unerheblich sein, wenn etwa die Weigerung des Tatopfers insgesamt nicht mehr nachvollziehbar erscheint (BGH, Urteil vom 15.01.2020, 2 StR 412/19). [7] Von diesen Grundsätzen ausgehend erweist sich die Begründung, mit welcher das Landgericht eine Strafmilderung nach § 46a Nr. 1 StGB verneint […], in rechtlicher Hinsicht als nicht tragfähig. [8] Da der Ausgleich zwischen Täter und Opfer auch durch dritte Personen vermittelt werden kann, steht die Tatsache, dass die Entschuldigung beim Opfer und das für einen Täter-Opfer-Ausgleich in aller Regel erforderliche Geständnis des Täters über die Verteidigerin erfolgten, der Annahme eines kommunikativen Prozesses im Sinne des § 46a Nr. 1 StGB nicht entgegen. Davon abgesehen, dass Prozesserklärungen eines Verteidigers dem Angeklagten nicht ohne Weiteres als eigene Erklärungen zugerechnet werden können, ist mit den in der Hauptverhandlung gestellten Beweisanträgen schon deshalb keine unzutreffende Relativierung der Opferrolle des Geschädigten verbunden gewesen, weil der Geschädigte den Angeklagten nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen sowohl vor als auch nach der ausgeurteilten Tat tatsächlich verbal bedrohte. Schließlich bleibt nach den Ausführungen in den Urteilsgründen unklar, wie sich der Nebenkläger zu den Ausgleichsbemühungen des Angeklagten gestellt hat. So zieht die Strafkammer aus dem von der Nebenklägervertreterin in ihrem Plädoyer in den Raum gestellten Geldbetrag für eine angemessene Wiedergutmachung den Schluss, dass nicht erkennbar sei, dass der Geschädigte den Täter-Opfer-Ausgleich ernsthaft mitgetragen und innerlich akzeptiert habe. Dies lässt sich indes mit der Feststellung, wonach die Nebenklagevertreterin die Zahlung von 3.000 € und die schriftliche Entschuldigung des Angeklagten für den Geschädigten annahm, nicht ohne weitere Darlegungen in Einklang bringen. Zu der Frage, ob die Zahlung von 3.000 € bei Anlegung eines objektivierenden Maßstabs der Höhe nach als ausreichende Leistung anzusehen ist, die geeignet erscheint, die Folgen der Tat zumindest zum überwiegenden Teil wiedergutzumachen, verhalten sich die Urteilsgründe nicht“. Jura Intensiv Ergebnis: Die Erwägungen des LG sind rechtsfehlerhaft und stellen einen Verstoß gegen § 46a StGB dar. FAZIT § 46a StGB stellt mit seinen Voraussetzungen eine beliebte Aufgabenstellung im Assessorexamen sowohl für ein zu fertigendes Urteil als auch eine Revisionsklausur dar. Ob die Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen ist deshalb jeweils genau zu untersuchen. Da der Ausgleich zwischen Täter und Opfer auch durch dritte Personen vermittelt werden kann, steht die Tatsache, dass eine Entschuldigung bei dem Opfer und das für einen Täter-Opfer-Ausgleich in aller Regel erforderliche Geständnis des Täters über den Verteidiger erfolgte, der Annahme eines kommunikativen Prozesses i.S. des § 46 Nr. 1 StGB jedenfalls nicht entgegen. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 07/2021 Referendarteil: Strafrecht 391 Problem: Ausschluss des Angeklagten Einordnung: absoluter Revisionsgrund BGH, Beschluss vom 17.02.2021 4 StR 533/20 EINLEITUNG Die vorliegende Entscheidung betrifft einen revisionsrechtlichen „Klassiker“, nämlich die Frage, ob während des Ausschlusses des Angeklagten eine anderweitige Beweiserhebung erfolgen kann. Der BGH bestätigt dabei die höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach dies nicht möglich ist. SACHVERHALT Vor dem LG wurde gegen den A ein Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern geführt. In der Hauptverhandlung ordnete das LG unter ordnungsgemäßer Anwendung des § 247 StPO für die Dauer der Vernehmung der Nebenklägerin N die Entfernung des A aus dem Sitzungszimmer an. Während der anschließenden in Abwesenheit des A durchgeführten Zeugenvernehmung der N wurden mehrere vom Verteidiger überreichte Lichtbilder in Augenschein genommen. Nach Abschluss der Befragung unterrichtete der Vorsitzende den wieder anwesenden A über die Aussage der N, die unvereidigt im allseitigen Einvernehmen entlassen wurde. Das LG hat den A verurteilt. Hat eine form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision des A gegen das Urteil Aussicht auf Erfolg? PRÜFUNGSSCHEMA: BEGRÜNDETHEIT EINER REVISION A. Prozessvoraussetzungen und Verfahrenshindernisse B. Verfahrensrügen C. Sachrüge LÖSUNG A. Prozessvoraussetzungen und Verfahrenshindernisse Das Fehlen von Prozessvoraussetzungen oder Vorliegen von Verfahrenshindernissen ist nicht ersichtlich. B. Verfahrensrüge I. Vorliegen eines Verfahrensfehlers Jura Intensiv 1. Verstoß gegen § 230 I StPO Es kommt ein Verstoß des LG gegen § 230 I i.V.m. § 338 Nr. 5 StPO dadurch in Betracht, dass die Anwesenheit des A zum Zeitpunkt der Inaugenscheinnahme der Lichtbilder nicht wiederhergestellt war. Grundsätzlich besteht die Pflicht in Anwesenheit des Angeklagten zu verhandeln, § 230 I StPO. Die Anwesenheitspflicht soll dem Angeklagten nicht nur das rechtliche Gehör gewährleisten, sondern ihm auch die Möglichkeit uneingeschränkter Verteidigung sichern. Eine Ausnahme von dieser Anwesenheitspflicht ist dann möglich, wenn der Angeklagte – wie hier – mittels Gerichtsbeschlusses unter den Voraussetzungen des § 247 StPO für den LEITSATZ (DES BEARBEITERS) Wird der Angeklagte gemäß § 247 StPO während einer Vernehmung aus dem Sitzungszimmer entfernt, ist die Erhebung eines anderweitigen Sachbeweises (hier: Inaugenscheinnahme von Lichtbildern), selbst wenn sie in engem Zusammenhang mit der Vernehmung steht, nicht Teil der Vernehmung, so dass die Durchführung der Beweiserhebung in Abwesenheit des Angeklagten durch den Entfernungsbeschluss nach § 247 StPO nicht gedeckt ist. Von dem Grundsatz der notwendigen Anwesenheit des Angeklagten bestehen Ausnahmen. Diese unterteilen sich in 3 Gruppen, nämlich die Verfahren gegen Abwesende im technischen Sinn (§ 276 StPO), die Verfahren in Abwesenheit des ausgebliebenen Angeklagten (§§ 232, 233, 329, 350 II, 387 I, 411 I S. 1, 412 StPO; § 50 I JGG) und die Verfahren, die in zeitweiliger Abwesenheit des Angeklagten durchgeführt werden, §§ 231 II, 231 a, 231 b, 231 c, 247 StPO in direkter und in entsprechender Anwendung (vgl. Karlsruher Kommentar, StPO, § 230 Rn 1). © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

RA - Digital

Rspr. des Monats