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RA Digital - 07/2022

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350 Zivilrecht

350 Zivilrecht RA 07/2022 Problem: Keine Umsatzsteuererstattung bei fiktiver Schadensberechnung Einordnung: Deliktsrecht BGH, Urteil vom 05.04.2022 VI ZR 7/21/21 LEITSATZ Wählt der Geschädigte den Weg der fiktiven Schadensabrechnung, kann er den Ersatz von Umsatzsteuer nicht verlangen. Dies gilt auch dann, wenn im Rahmen einer durchgeführten Reparatur tatsächlich Umsatzsteuer angefallen ist. Eine Kombination fiktiver und konkreter Schadensberechnung ist insoweit nicht zulässig (hier: Teilreparatur zur Wiederherstellung der Verkehrssicherheit des Unfallfahrzeugs). Streitfrage des Falles: K hat zunächst „fiktiv“ abgerechnet, dann eine Teilreparatur ausführen lassen und begehrt hierfür nunmehr die angefallene Umsatzsteuer/gezahlte Mehrwertsteuer. Darf sie das? EINLEITUNG Wer einen erlittenen Schaden beim Schuldner geltend machen will, muss den Schaden nicht im Wege der Selbstvornahme beseitigen lassen und die angefallenen Kosten anschließend dem Schuldner in Rechnung stellen. Wer dies möchte, dem steht dies frei. Der Schuldner hat in diesem Fall auch die angefallene Mehrwertsteuer zu erstatten – was § 249 II 2 BGB ausdrücklich klarstellt. Der Gläubiger kann aber auch einen Sachverständigen beauftragen, ein Schadensgutachten zu erstellen. Die dort für eine Reparatur als nötig ermittelten Geldbeträge können dann auch ohne Vornahme einer Reparatur gefordert werden – ohne Mehrwertsteuer versteht sich, denn diese ist ja nicht angefallen, was § 249 II 2 BGB ausdrücklich klarstellt. Diese Art, Schadensersatz zu fordern, nennt man „fiktives Abrechnen“, weil es dem Geschädigten überlassen bleibt, mit dem Schaden zu leben und das zu zahlende Geld anderweitig zu verwenden. Den Streit zwischen dem VII. und dem V. Zivilsenat um die rechtliche Zulässigkeit des fiktiven Abrechnens beim „kleinen“ Schadensersatz statt der Leistung haben wir in BGH RA 06/2018, 293 ff., in BGH RA 07/2020,348 ff., in RA 01/2021, 1 ff. und in RA 05/2021, 229 ff. behandelt. Fiktives Abrechnen spielt aber auch im Deliktsrecht eine große Rolle. Der zuständige VI. Zivilsenat erlaubt es in ständiger Rechtsprechung. Mit der Kritik des LG Darmstadt an der Rechtsprechung des VI. Zivilsenats zu diesem Thema haben wir uns in RA 08/2021, 401 ff. ausführlich befasst. Vorliegend bleibt der VI. Zivilsenat seiner Linie treu. SACHVERHALT Das Fahrzeug der K wurde am 22.07.2019 bei einem Verkehrsunfall beschädigt. Die volle Haftung der B als Haftpflichtversicherer des unfallverursachenden Fahrzeugs steht dem Grunde nach außer Streit. In einem von K vorprozessual eingeholten Gutachten bezifferte ein Sachverständiger die Nettoreparaturkosten auf 5.521,64 €, wobei die Betriebs- und Verkehrssicherheit des Fahrzeugs ausweislich des Sachverständigengutachtens durch den Unfall nicht beeinflusst war. K rechnete fiktiv auf Gutachtenbasis ab, B erstattete auf dieser Grundlage die Nettoreparaturkosten. K ließ sodann eine Teilreparatur durchführen, für die Kosten in Höhe von 4.454,63 € netto zuzüglich Umsatzsteuer in Höhe von 846,38 € anfielen. Die Teilreparatur betraf andere Schäden, als die im Gutachten veranschlagten. Die angefallene Umsatzsteuer verlangt sie von B. Zu Recht? Jura Intensiv LÖSUNG A. Anspruch der K gegen B auf Zahlung der durch die Reparatur angefallenen Umsatzsteuer in Höhe von 846,38 € gem. §§ 115 I 1 Nr. 1 VVG, 7 I StVG K könnte gegen B einen Anspruch auf Zahlung der durch die Reparatur angefallenen Umsatzsteuer in Höhe von 846,38 € gem. §§ 115 I 1 Nr. 1 VVG, 7 I StVG haben. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 07/2022 Zivilrecht 351 Das Versicherungsverhältnis zwischen B und dem Halter des unfallverursachenden Fahrzeugs steht ebenso fest wie das Vorliegen aller haftungsbegründenden Voraussetzungen. Fraglich ist allein, ob der Anspruch aus §§ 115 I 1 Nr. 1 VVG, 7 I StVG hier die Erstattung der angefallenen Umsatzsteuer als ersatzfähigen Schaden gem. §§ 16 StVG, 249 II 2 BGB erfasst. [9] Gemäß § 249 Abs. 1 BGB hat der zum Schadensersatz Verpflichtete den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Ist wegen der Verletzung einer Person oder der Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Geschädigte gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Ob dabei fiktiv auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens oder konkret nach den tatsächlich aufgewendeten Kosten abgerechnet wird, betrifft lediglich die Art der Schadensberechnung (...). [10] Die unterschiedlichen Abrechnungsarten dürfen aber nicht miteinander vermengt werden. So ist insbesondere eine Kombination von konkreter und fiktiver Schadensabrechnung unzulässig. Hierdurch soll nicht nur verhindert werden, dass sich der Geschädigte unter Missachtung des schadensrechtlichen Bereicherungsverbots die ihm vorteilhaften Elemente der jeweiligen Berechnungsart aussucht („Rosinenpicken“), sondern auch den unterschiedlichen Grundlagen der jeweiligen Abrechnung Rechnung getragen und deren innere Kohärenz sichergestellt werden (...). [12] Dem durch einen Verkehrsunfall Geschädigten entsteht durch das Vermischungsverbot kein Nachteil. Auch wenn er seinen Fahrzeugschaden zunächst fiktiv abgerechnet hat, kann er später - im Rahmen der rechtlichen Voraussetzungen für eine solche Schadensabrechnung und der Verjährung - grundsätzlich zur konkreten Schadensabrechnung übergehen und Ersatz der tatsächlich angefallenen Kosten verlangen (...). [13] Wählt der Geschädigte den Weg der fiktiven Schadensabrechnung, kann er den Ersatz von Umsatzsteuer nicht beanspruchen. Dies gilt auch dann, wenn - wie hier - im Rahmen einer durchgeführten Reparatur tatsächlich Umsatzsteuer angefallen ist. Eine Kombination fiktiver und konkreter Schadensberechnung ist insoweit nicht zulässig (...). [14] Gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB schließt der bei der Beschädigung einer Sache zur Wiederherstellung erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist. Die Umsatzsteuer ist hingegen nicht zu ersetzen, wenn und soweit sie fiktiv bleibt. Die Vorschrift des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB begrenzt insoweit die Dispositionsfreiheit des Geschädigten (...). [15] Die Umsatzsteuer bleibt nicht nur dann fiktiv in diesem Sinne, wenn es nicht zu einer umsatzsteuerpflichtigen Reparatur oder Ersatzbeschaffung kommt; sie bleibt es vielmehr auch dann, wenn der Geschädigte zwar tatsächlich eine Restitutionsmaßnahme veranlasst, diese Maßnahme aber nicht zur Grundlage seiner Abrechnung macht, sondern seinen Schaden fiktiv und damit ohne Bezug zu den tatsächlich getätigten Aufwendungen auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens abrechnet (...). Wie bereits unter b) ausgeführt, darf der Geschädigte die tatsächlich erfolgte Restitutionsmaßnahme dann auch nicht teilweise - in Bezug auf die angefallene Umsatzsteuer - zum Gegenstand seiner im Übrigen fiktiven Abrechnung machen (...). Jura Intensiv Ausgangspunkt: Wahlrecht des Gläubigers bei der Schadensberechnung Klarstellung: Kein „Rosinenpicken“! Um das schadensrechtliche Bereicherungsverbot nicht zu unterlaufen, muss der Gläubiger seine Wahl zwischen konkreter und fiktiver Abrechnungsmethode treffen. Die innere Kohärenz der Methoden muss sichergestellt bleiben. Entscheidender Aspekt zum Verständnis des Falles: Die später durchgeführte Reparatur war nicht Grundlage der fiktiven Abrechnung. Man kann auf die konkrete Schadensmethode umschwenken, wenn man die im Sachverständigengutachten veranlassten Reparaturen auch tatsächlich durchführen lässt. Hier hat K aber andere Reparaturen ausführen lassen. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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