352 Zivilrecht RA 07/2022 Siehe oben: Geschädigte dürfen nachträglich konkret abrechnen, wenn sie die veranschlagten Reparaturen tatsächlich durchführen lassen. Neuer Aspekt: Hier ging es um die Herstellung der Verkehrssicherheit. Integritätszuschlag Noch einmal, warum das Ergebnis zwingend ist: Die in der von K gewählten fiktiven Schadensabrechnung enthaltene Umsatzsteuer auf die Reparaturkosten bleibt fiktiv, weil sie nicht angefallen ist und wurde deshalb von K zu Recht nicht geltend gemacht, während die mit der Klageforderung geltend gemachte Umsatzsteuer zwar tatsächlich angefallen ist, jedoch auf eine Reparatur, die von K nicht abgerechnet wird. [16] Anders als die Revision meint, steht dieses Ergebnis nicht im Widerspruch zu dem mit der Einführung des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB verfolgten Zweck. Durch die gesetzliche Regelung wollte der Gesetzgeber zwar nichts an der Möglichkeit des Geschädigten ändern, den für die Herstellung erforderlichen Geldbetrag stets und insoweit zu verlangen, als er zur Herstellung des ursprünglichen Zustandes tatsächlich angefallen ist (vgl. BT-Drs. 14/7752, 13 f., 23 f.). Diese Möglichkeit wird dem Geschädigten durch das Vermischungsverbot aber nicht genommen. Wie oben ausgeführt bleibt es dem Geschädigten unbenommen, seinen Schaden konkret abzurechnen oder, wenn er ihn zunächst fiktiv abgerechnet hat, - im Rahmen der rechtlichen Voraussetzungen für eine solche Schadensabrechnung und der Verjährung - zu einer konkreten Berechnung auf der Grundlage der tatsächlich veranlassten Restitutionsmaßnahme überzugehen (...). Fraglich ist, ob sich etwas anderes für den Fall der Teilreparatur ergibt, welche die Verkehrssicherheit herstellen soll. [18] Zwar kann die Teilreparatur des Unfallfahrzeugs zur Wiederherstellung der Verkehrssicherheit - neben dessen weiterer Nutzung durch den Geschädigten über einen Zeitraum von im Regelfall mindestens sechs Monaten (...) - zur Voraussetzung für die Abrechenbarkeit von fiktiven Reparaturkosten werden, wenn diese den Wiederbeschaffungsaufwand (d.h. Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert) überschreiten (...). Diese von der Senatsrechtsprechung eröffnete Möglichkeit der Ersatzfähigkeit fiktiver Reparaturkosten über den Wiederbeschaffungsaufwand hinaus bis zur Grenze des Wiederbeschaffungswertes schützt in besonderem Maße das Integritätsinteresse des an der weiteren Nutzung seines Fahrzeugs interessierten Geschädigten und dessen Dispositionsfreiheit (...). Die umsatzsteuerpflichtige Teilreparatur ermöglicht in diesem Fall erst die fiktive Abrechnung. Dies erlaubt dem Geschädigten aber nicht, sich darüber hinaus unter Vermengung von fiktiver und konkreter Abrechnung zusätzlich die Vorteile der konkreten Abrechnung zu sichern. Auch in diesem Fall fällt die Umsatzsteuer nicht auf die - nach der Entscheidung des Geschädigten der Schadensberechnung zugrunde gelegte - fiktive Reparatur an, sondern auf die - nach seiner Entscheidung gerade nicht abgerechnete - konkrete Teilreparatur. Der Geschädigte darf auch insoweit nicht einzelne Elemente der einen Abrechnung mit der anderen kombinieren, sondern muss sich für eine Abrechnungsart - fiktiv oder konkret - entscheiden. Andernfalls verstieße er gegen das Vermischungsverbot. Jura Intensiv Nach diesen Grundsätzen hat K keinen Anspruch auf Ersatz der auf die Teilreparatur angefallenen Umsatzsteuer. B. Ergebnis K hat gegen B keinen Anspruch auf Zahlung der durch die Reparatur angefallenen Umsatzsteuer in Höhe von 846,38 € gem. §§ 115 I 1 Nr. 1 VVG, 7 I StVG. FAZIT Eine Vermischung der konkreten mit der fiktiven Abrechnungsmethode bleibt ausgeschlossen. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 07/2022 Referendarteil: Zivilrecht 353 Speziell für Referendare Problem: Wirksamkeit eines Aufrechnungsverbots Einordnung: Schuldrecht, ZPO I OLG Brandenburg, Urteil vom 11.11.2021 12 U 79/21 EINLEITUNG Widerklagen und Aufrechnungen gehören im Assessorexamen zu den absoluten Klassikern, da beide Themenkreise ideal miteinander in einer Klausur verwoben werden können. Der vorliegende Fall beinhaltet ebenfalls beide Elemente und verknüpft diese zudem mit einer AGB-Kontrolle sowie einer Prüfung, ob Verzug vorliegt. Der Fall wird als erstinstanzliches Urteil dargestellt. TATBESTAND Die Klägerin (K) betreibt als regionale Netzbetreiberin das Stromnetz in (…), die Beklagte (B) errichtet und betreibt Photovoltaikanlagen. Die B beauftragte die K mit der Planung und Montage der elektrischen Ausrüstung einer Trafostation für eine Photovoltaikanlage in E. Vereinbart wurde hierfür einen Preis in Höhe von 141.041,21 €. Gemäß Ziff. 1.6 des Vertrages gehörte zum von der K geschuldeten Leistungsumfang u.a. die Einholung der Baugenehmigung. Gemäß Ziff. 1.7 gehörte die „Bereitstellung der öffentlich-rechtlichen und privaten Zustimmungen zum Stationsstandort“ nicht zum Leistungsumfang. Unter Ziff. 5. (Fertigstellung) ist folgender Text angekreuzt: „Wir bieten Ihnen die betriebsbereite Übergabe 18 Wochen nach Auftragserteilung und Festlegung aller technischen Details bzw. nach Ihrer Bestätigung der Ausführungszeichnungen an“. Unter Ziff. 5 S. 2, 3 des Vertrages heißt es weiter: „Voraussetzung für den Baubeginn ist das Vorliegen aller dafür erforderlichen öffentlich-rechtlichen und privaten Genehmigungen und Zustimmungen sowie der bei K eingegangene Teilbetrag 1 und 2 nach Ziff. 3“. Gemäß Ziff. 3.3 S. 1 des Vertrags ist eine Aufrechnung gegenüber Ansprüchen der K nur mit unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Gegenforderungen zulässig. Die Trafostation sollte auf dem Flurstück 634 der Flur 4 errichtet werden. Zwischen diesem Flurstück und der Straße liegt das Flurstück 632 der Flur 4; eine Erschließung des Flurstücks 634 war nur über das Flurstück 632 möglich. Beide Flurstücke stehen im Eigentum der G, der Verpächterin der B. Am 04.03.2019 reichte die B den Antrag auf Genehmigung zur Errichtung der Trafostation ein. Mit Bescheid vom 08.04.2019 wurde B unter Fristsetzung zur Vervollständigung der Bauvorlagen aufgefordert, u.a. da das Baugrundstück Flurstück 634 nicht an die öffentliche Verkehrsfläche angebunden war. G gab die für die grundbuchrechtliche Vereinigung der Flurstücke 632 und 634 erforderlichen notariellen Erklärungen ab, nachdem die B sich im Mai 2019 insoweit zur Kostenübernahme bereit erklärt hatte. Die Baugenehmigung wurde der B Ende September/Anfang Oktober 2019 erteilt. Die K stellte die Anschlussstation für die Photovoltaikanlage in E fertig, die B nahm die Leistung am 05.12.2019 ab. Die Schlussrechnung der K vom 22.11.2019 über 40.247,12 € ist Gegenstand der Klageforderung. Jura Intensiv LEITSÄTZE 1. Eine Klausel, wonach eine Aufrechnung gegenüber Ansprüchen nur mit unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Gegenforderungen zulässig sein soll, ist wegen Verstoßes gegen § 307 I 1 BGB unwirksam. 2. Gehört zum Leistungsumfang der Klägerin nicht die Bereitstellung der öffentlich-rechtlichen und privaten Zustimmungen zum Stationsstandort, auf dem sie ein Bauwerk errichten soll, hat sie eine etwaige hierauf beruhende Leistungsverzögerung nicht zu vertreten i. S. d. § 286 IV BGB. 1.6 und 1.7 sind extrem unglückliche Formulierungen. Das Gericht hat dies – ohne ausdrückliche Klarstellung – derart verstanden, dass K die Baugenehmigung einzuholen hat und B alle Unterlagen dafür bereitstellen soll. Das Unstreitige wird im Indikativ Imperfekt dargestellt. Ausnahmen – insbesondere hier – sind Umstände, die sich auf die Gegenwart beziehen. Der Fall beinhaltet eine Klage und eine Widerklage bei gleichem Sachverhalt. Der lautet das Schema im Tatbestand: • Unstreitiges zur Klage und WK • Streitiger Klägervortrag zur Klage • Anträge (4x!) - Klageantrag (K) - Abweisung (B) - Widerklage (B) - Abweisung (K) • Streitiger Beklagtenvortrag zur Klage und Widerklage • Gegebenenfalls Replik Weiterer Hinweis: Im Rubrum heißen die Parteien „Kläger und Widerbeklagter“ sowie „Beklagter und Widerkläger“. Im Tatbestand heißen sie jedoch wieder ganz normal „Kläger“ und „Beklagter“. Es erfolgen keine doppelten oder gar variierenden Parteibezeichnungen. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis
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