362 Nebengebiete RA 07/2022 Ihr Beginn ist aber nicht allein von der Entstehung des Anspruchs abhängig, sondern setzt voraus, dass der Gläubiger Kenntnis von der Person des Schuldners und den den Anspruch begründenden Umständen erlangt hat oder hätte erlangen müssen. (§ 199 I BGB kombiniert insoweit ein objektiv/subjektives System.) Als Korrektiv sieht das Gesetz Höchstfristen vor, in denen ein Anspruch auch ohne die Kenntnis des Gläubigers verjährt (näher § 199 II-V BGB). Von diesen konzeptionellen Änderungen im BGB ist § 159 HGB unberührt geblieben. Diese Vorschrift knüpft weiterhin allein an den objektiven Umstand der Eintragung der Auflösung in das Handelsregister bzw. der Fälligkeit des Anspruchs an. Insofern funktioniert § 159 HGB nunmehr ähnlich wie die Höchstfristen des § 199 II-V BGB und wird nicht mehr als ein reines Privileg begriffen (MK-Schmidt, § 159 HGB Rn 27). Voraussetzung der „Auflösung der Gesellschaft“ Unter § 159 HGB fallen die Auflösungstatbestände des § 131 I HGB sowie des § 131 II Nr. 1 HGB. Hinsichtlich der Fälle, in denen die Gesellschaft ohne Liquidation erlischt, ist zu unterscheiden: Wird eine Gesellschaft nach §§ 394 FamFG, 131 II Nr. 2 HGB wegen Vermögenslosigkeit gelöscht, so greift zugunsten der Gesellschafter die Sonderverjährung nach § 159 HGB ein. Dagegen ist § 159 HGB nicht anwendbar, wenn eine Gesellschaft durch Zusammenfallen der Anteile in einer Hand erlischt. Dieses Erlöschen kann vor allem auf dem Ausscheiden von Gesellschaftern beruhen mit der Folge, dass nur ein Gesellschafter „übrig bleibt“. Dies ist ein Anwendungsfall des § 160 HGB, nicht des § 159 HGB. § 160 HGB kommt aber nur dem ausgeschiedenen Gesellschafter zugute, während dem Letztverbleibenden weder § 159 HGB noch § 160 HGB hilft, da er ja das Unternehmen (in den Fällen vormaliger OHG oder KG als Einzelkaufmann) fortführt (MK-Schmidt, § 159 HGB Rn 19). Von § 159 HGB erfasste Haftungstatbestände Die Sonderverjährung des § 159 HGB gilt nur für die persönliche Gesellschafterhaftung nach §§ 128, 130, 171 f., 173, 176 HGB. Die Sonderverjährung kommt jedoch nicht zum Zuge, wenn im Auflösungszeitpunkt bereits ein Titel gegen den Gesellschafter vorliegt. Dann gilt § 197 BGB. Die Sonderverjährung kommt gleichfalls nicht zum Zuge, wenn die Forderung gegenüber dem Gesellschafter im Zeitpunkt ihrer Auflösung bereits i.S.v. §§ 201, 197 I Nr. 3–5 BGB festgestellt war. (Die bloße Feststellung gegenüber der Gesellschaft genügt hingegen nicht.) Jura Intensiv Die Sonderverjährung gilt nicht für eine aus sonstigem Haftungsgrund bestehende Haftung des Gesellschafters für Gesellschaftsschulden, z.B. aus Bürgschaft, Garantie oder Schuldmitübernahme. § 159 HGB gilt schließlich nicht für die Sozialverbindlichkeiten des Gesellschafters im Innenverhältnis, z.B. auf Leistung von Einlagen und sonstigen Beiträgen auf Rückgewähr von Einlagen, auf Schadensersatz wegen Schädigungen der Gesellschaft oder auf Abführung von Gewinn bei Verletzung des Wettbewerbsverbots. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 07/2022 Nebengebiete 363 Unverjährte Gesellschaftsverbindlichkeit Die Sonderverjährung ist nur dann von praktischem Interesse, wenn die Gesellschaftsverbindlichkeit ihrerseits unverjährt ist. Für die Vermeidung dieser Verjährung kann es genügen, dass der Anspruch vor der Auflösung der Gesellschaft im Verhältnis zu ihr rechtskräftig durch Urteil, durch vollstreckbaren Vergleich oder durch Insolvenzverfahren festgestellt war. Da ein in dieser Weise festgestellter Anspruch erst in 30 Jahren verjährt (§ 197 I BGB) kommt im Fall einer nachfolgenden Auflösung die Sonderverjährung nach § 159 I HGB zum Zuge, auch wenn die Gesellschaftsverbindlichkeit vor ihrer Feststellung einer kürzeren Verjährungsfrist unterlag. § 159 IV HGB steht, wenn die Feststellung der Auflösung vorausging, der Sonderverjährung nicht entgegen. (MK-Schmidt, § 159 HGB Rn 25) Verjährte Gesellschaftsverbindlichkeit Soweit der Gesellschaftsverbindlichkeit ihrerseits die Einrede der Verjährung entgegensteht, kann dies auch vom Gesellschafter geltend gemacht werden. § 159 I 2. HS HGB bringt dies in der missverständlichen Formel zum Ausdruck, dass die Fünfjahresfrist nicht gilt, sofern der Anspruch gegen die Gesellschaft einer kürzeren Verjährungsfrist unterliegt. Seit 2002 hat der Vorbehalt eine größere Bedeutung als zuvor (siehe oben den historischen Hintergrund). Das ist der Sache nach eine bloße Wiederholung des § 129 I HGB. Dies ist klarstellend gemeint, aber ungenau gefasst. Die ungenau formulierte Bestimmung befasst sich nämlich überhaupt nicht mit der Sonderverjährung der Haftungsschuld des Gesellschafters, sondern mit dem Einfluss einer Verjährung der Gesellschaftsschuld auf die Gesellschafterhaftung. Der Hinweis des Gesetzes auf eine kürzere Verjährungsfrist bezieht sich nur auf die Gesellschaftsschuld und müsste richtig lauten: „Die Berufung auf eine vor dem Ablauf dieser Verjährungsfrist eingetretenen Verjährung der Gesellschaftsverbindlichkeit bleibt unberührt.“ (MK-Schmidt, § 159 HGB Rn 25, 28). Anders formuliert: § 159 I 2. HS HGB bedeutet nicht, dass eine für die Gesellschaftsverbindlichkeit geltende kürzere Verjährungsfrist eine Verkürzung der Fünfjahresfrist der Sonderverjährung nach Auflösung der Gesellschaft zur Folge hätte (EBJS-Hillmann, § 159 HGB Rn 11). Jura Intensiv SACHVERHALT (VEREINFACHT) Ein Rechtschutzversicherer verlangt aus übergegangenem Recht (§ 86 VVG) von den Gesellschaftern einer zwischenzeitlich aufgelösten Rechtsanwalts- GbR die Rückzahlung eines im Jahr 2016 gewährten, aber nicht verbrauchten Vorschusses. Mit Schreiben vom 10.6.2016 teilte der Beklagte Gesellschafter der klagenden Rechtsschutzversicherung mit, dass über das Vermögen der Versicherungsnehmerin das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei und es zu der bevorschussten Wahrnehmung des Gerichtstermins deshalb (absehbar) nicht mehr kommen werde. Ferner wies er darauf hin, dass die mandatierte Rechtsanwalts GbR aufgelöst worden sei und zwischenzeitlich nicht mehr existiere. Vom Sachverhalt her ist zu unterstellen, dass man zu einer Verjährung gelangt, wenn man annimmt, dass der Lauf der dreijährigen Verjährungsfrist nach § 195 BGB schon unterjährig (Mitte Juni 2016) mit der Erlangung der Kenntnis von der Auflösung der Rechtsanwalts-GbR in Gang gesetzt wurde und nicht erst mit dem Schluss des entsprechenden Kalenderjahres 2016 (vgl. Leuerig/Rubner, NJW-Spezial 2022, 111). Ist der Anspruch gegen die Gesellschaft z.B. rechtskräftig festgestellt, gilt für diesen Anspruch gem. § 197 I Nr. 3 BGB eine dreißigjährige Verjährung. Wird jedoch die Gesellschaft aufgelöst, greift – insoweit zu Gunsten der Gesellschafter – § 159 HGB. Lies § 159 I 2. HS HGB wie folgt: „Die Berufung auf eine vor dem Ablauf dieser Verjährungsfrist eingetretenen Verjährung der Gesellschaftsverbindlichkeit bleibt unberührt.“ Sofern die Forderung gegen die Gesellschaft verjährt ist, kann sich der Gesellschafter – trotz Auflösung der Gesellschaft – also weiterhin auf die ggü. der Gesellschaft eingetretene Verjährung berufen. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis
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