Aufrufe
vor 1 Jahr

RA Digital - 07/2022

  • Text
  • Intensiv
  • Jura
  • Recht
  • Inhaltsverzeichnis
  • Verlags
  • Wahl
  • Stgb
  • Vertrag
  • Verlagjuraintensivde
Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

368 Öffentliches Recht

368 Öffentliches Recht RA 07/2022 Immunschutzes an einen Impf- oder Genesenennachweis zu stellen sind. Denn mit dem Robert Koch-Institut und dem Paul-Ehrlich-Institut sind ihr mit spezifisch wissenschaftlicher Fachkompetenz ausgestattete selbständige Bundesoberbehörden […] zugeordnet, die insoweit besonders geeignet sind, hoch dynamische Veränderungsprozesse nachzuvollziehen und zu bewerten.“ Demnach genügt § 22a IV IfSG den Anforderungen der Wesentlichkeitstheorie und des konkretisierenden Art. 80 I 2 GG. bb) Verhältnismäßigkeit (1) Legitimer Zweck Schutz besonders verletzlicher Personen Vgl. BT-Drs. 20/188, S. 4,30 Vgl. BT-Drs. 20/188, S. 1 f., 37 Schutzpflicht aus Art. 2 II 1 GG Das BVerfG führt nachfolgend umfassend zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen aus, die zur Entscheidung des Gesetzgebers geführt haben (Rn 157-163 der Entscheidung). Omikron mit seinen i.d.R. milderen Krankheitsverläufen hat nichts geändert. „[154] Die in § 20a IfSG […] befristet eingeführte Pflicht, insbesondere eine COVID-19-Impfung oder eine Genesung von der COVID-19-Krankheit nachzuweisen, dient ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs dem Schutz […] der als besonders vulnerabel eingeschätzten Personengruppen vor einer COVID-19-Erkrankung. […] Neben pflegebedürftigen Personen […] gehörten auch die wegen Behinderungen und sonstiger Beeinträchtigungen betreuten Personen typischerweise aufgrund ihres Alters und/oder des Vorliegens von Vorerkrankungen zu den vulnerablen Personengruppen. Sie hätten einen erhöhten Unterstützungs- und Betreuungsbedarf und könnten ihre Kontakte nur schwer beeinflussen. Durch eine gemeinsame räumliche Unterbringung, die Teilnahme an gemeinsamen Aktivitäten und/oder häufig länger andauernden nahen physischen Kontakt bei Betreuungstätigkeiten durch wechselndes Personal sei das Risiko einer Infektion zusätzlich erhöht. [155] Der Gesetzgeber wollte mit Einführung der einrichtungs- und unternehmensbezogenen Nachweispflicht erkennbar seine in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG wurzelnde Schutzpflicht erfüllen. […] Dies umfasst den Schutz vulnerabler Personen vor sämtlichen mit einer SARS-CoV- 2-Infektion einhergehenden Gesundheits- und Lebensgefahren, insbesondere vor schweren Krankheitsverläufen und Langzeitfolgen und gilt im besonderen Maße, wenn sich – wie hier – Betroffene weder selbst wirksam schützen noch dem Kontakt ausweichen können, weil sie auf eine medizinische Behandlung, (dauerhafte) Pflege, Betreuung oder auf Unterstützungsleistungen angewiesen sind. Jura Intensiv [156] Die Beurteilung des Gesetzgebers, bei Verabschiedung des Gesetzes habe eine Gefahrenlage für Leben und Gesundheit vulnerabler Personen bestanden, beruht auf […] hinreichend tragfähig bewerteten Erkenntnissen. [164] Diese der gesetzgeberischen Zwecksetzung zugrundeliegenden Annahmen insbesondere zur Gefährdung vulnerabler Personen tragen nach wie vor. Die im hiesigen Verfahren angehörten Fachverbände haben der Sache nach übereinstimmend ausgeführt, dass die Omikronvariante unbeschadet eines im Durchschnitt milderen Krankheitsverlaufs an der Zusammensetzung der besonders gefährdeten Risikogruppen und dem grundsätzlichen Grad ihrer Gefährdung nichts geändert habe. […]“ Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 07/2022 Öffentliches Recht 369 (2) Geeignetheit Die angegriffenen Normen müssen geeignet, d.h. zweckförderlich sein. „[170] […] bleibt die verfassungsrechtliche Prüfung angesichts der zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Gesetzes fehlenden gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse über Einzelheiten der weiteren Verbreitung von COVID-19 und über die konkrete Wirksamkeit einzelner Impfstoffe auf die Vertretbarkeit der gesetzgeberischen Eignungsprognose beschränkt. Es liegt auch kein Grund für eine nachträgliche Beschränkung des gesetzgeberischen Einschätzungsspielraums vor; weder sind inzwischen besser gesicherte gegenteilige Erkenntnisse ersichtlich, noch hat es der Gesetzgeber versäumt, für eine Verbesserung der Erkenntnislage zu sorgen. [172] Der Gesetzgeber konnte davon ausgehen, dass die […] eingeführte Pflicht zum Nachweis einer Impfung oder Genesung aller Personen, die in bestimmten Einrichtungen oder Unternehmen tätig sind, zum Schutz des Lebens und der Gesundheit vulnerabler Menschen beitragen kann. Mit der Beschränkung auf bestimmte Einrichtungen und Unternehmen im Gesundheits-, Pflege- und Betreuungsbereich hat der Gesetzgeber solche Einrichtungen und Unternehmen erfasst, in denen sich vulnerable Personen typischerweise aufhalten. [173] Dabei durfte der Gesetzgeber auch annehmen, dass der Nachweis einer Impfung oder Genesung der dort Tätigen zum Schutz von Leben und Gesundheit vulnerabler Menschen beiträgt. Zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Gesetzes ging eine deutliche fachwissenschaftliche Mehrheit davon aus, dass sich geimpfte und genesene Personen seltener mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizieren und auch das Virus seltener übertragen können als nicht geimpfte oder nicht genesene Personen. Angenommen wurde auch, dass dann, wenn sich Geimpfte infizieren, sie weniger und nur für einen kürzeren Zeitraum als nicht Geimpfte infektiös sind […]. [176] Die Nachweispflicht trägt auch tatsächlich zur Erreichung des Gesetzeszweckes bei, weil nach den vertretbaren Annahmen des Gesetzgebers in den in § 20a Abs. 1 IfSG genannten Einrichtungen und Unternehmen zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Gesetzes noch „relevante Impflücken“ bei den dort tätigen Personen bestanden. […] Jura Intensiv Wissenschaftliche Unsicherheiten • nur Vertretbarkeitskontrolle Wirkung der Impfung Das BVerfG führt aus, dass die Impfquote in Pflegeheimen teilweise unter 50% lag. [179] An der Eignung der Einbeziehung aller im Gesundheits-, Pflege- und Betreuungsbereich tätigen Personen – also auch solcher ohne direkten Kontakt zu vulnerablen Menschen – bestehen keine Zweifel. [181] Da […] Übertragungen des Virus vor allem in Innenräumen stattfinden und dafür nur begrenzt erheblich ist, ob ein direkter Kontakt mit einer infizierten Person besteht, durfte der Gesetzgeber vertretbar annehmen, dass eine Impfung grundsätzlich aller im Gesundheits-, Pflegeund Betreuungsbereich Tätigen, auch wenn sie keinen direkten Kontakt zu vulnerablen Personen haben, einen Beitrag zu ihrem Schutz vor Ansteckung leisten würde und demnach zum Lebens- und Gesundheitsschutz geeignet sei. […] Virus kann in Innenräumen bis zu ca. 60 Minuten infektiös bleiben (Rn 180 der Entscheidung). © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

RA - Digital

Rspr. des Monats