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RA Digital - 07/2022

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Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

370 Öffentliches Recht

370 Öffentliches Recht RA 07/2022 Schutzwirkung gegenüber Omikron für dreifach Geimpfte: 40-70% [184] Die den angegriffenen Regelungen insoweit zugrundeliegenden Annahmen des Gesetzgebers tragen auch weiterhin. […] Insbesondere die Vertretbarkeit der gesetzgeberischen Eignungsprognose, die verfügbaren Impfstoffe würden auch gegenüber der Omikronvariante des Virus eine noch relevante Schutzwirkung entfalten, wird durch die weitere Entwicklung des Pandemiegeschehens nach Verabschiedung des Gesetzes ausweislich der Stellungnahmen der im hiesigen Verfahren als sachkundige Dritte angehörten Fachgesellschaften nicht erschüttert. […]“ Somit sind die angegriffenen Normen geeignet. (3) Erforderlichkeit Erforderlich sind die Normen, wenn es kein gleich geeignetes, eingriffsmilderes Mittel gibt. Weiter Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers Mögliche Alternativen, die aber alle nicht gleich geeignet sind wie die Impfpflicht: Begrenzung der Impfpflicht auf direkte Kontaktpersonen Differenzierung nach der tatsächlichen Gefährdung in der einzelnen Einrichtung Testpflicht vor Betreten der Einrichtung [188] […] bestand hier ein für den Gesetzgeber weiter Beurteilungsspielraum, denn die Situation der Pandemie ist durch eine gefährliche, aber schwer vorhersehbare Dynamik geprägt, die Sachlage also komplex. […] „[189] Eine Beschränkung der Nachweispflicht auf solche Personen, die regelmäßigen und direkten Kontakt zu vulnerablen Menschen haben, wäre jedenfalls nicht gleich wirksam. […] So kann ein direkter Kontakt auch unbeabsichtigt zustande kommen. Auch kann das Virus indirekt durch die bloße zeitlich nachfolgende Nutzung von Räumlichkeiten oder die gemeinsame Nutzung von etwa Ein- und Ausgangsbereichen über Aerosole oder vermittelt durch eine Person weitergegeben werden, die ihrerseits Kontakt mit vulnerablen Menschen hat. [191] Zwar werden […] einzelne Einrichtungen oder Unternehmen weniger oder kaum von vulnerablen Menschen aufgesucht; auch kann die konkrete Begegnung mit vulnerablen Menschen in bestimmten Konstellationen so gestaltet werden, dass ihre Gefährdung erheblich reduziert wird. Doch auch wenn in einzelnen Fällen eine Gefährdung vulnerabler Menschen tatsächlich ausgeschlossen ist, war dem Gesetzgeber eine Gefahrenabschätzung, die jedem denkbaren Einzelfall gerecht wird, nicht abverlangt. Er durfte sich vielmehr am Regelfall orientieren. […] Jura Intensiv [192] Die Auferlegung einer Verpflichtung, sich vor Betreten einer Einrichtung oder eines Unternehmens […] auf eine SARS-CoV-2-Infektion zu testen, ist schon kein gleich geeignetes Mittel. […] [193] […] Das gilt zunächst für selbst durchgeführte, so genannte Schnelltests, bei denen […] schon das Risiko einer bewusst oder unbewusst fehlerhaften Anwendung besteht. Zudem hat sich die Erkenntnislage dahingehend verfestigt, dass die Leistungsfähigkeit solcher Schnelltests als Baustein der Pandemiebekämpfung differenziert zu bewerten ist. Sie sind fehleranfällig. […] Schnelltests liefern gerade in einem frühen Infektionsstadium wegen der hier noch geringen Viruslast […] keine verlässlichen Resultate, obwohl gegebenenfalls bereits ein Ansteckungsrisiko besteht. [194] Insoweit sind PCR-Tests zwar zuverlässiger und zeigen eine Infektion bereits in einem früheren Infektionsstadium an. Verpflichtende PCR-Tests im Gesundheits-, Pflege- und Betreuungsbereich wären gleichwohl kein gleich geeignetes Mittel. So ist schon nicht gesichert, dass die hierfür notwendigen Testkapazitäten vorhanden sind. […] Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 07/2022 Öffentliches Recht 371 [198] Als gleichwertige Alternative zu einer Nachweispflicht kommt es nicht in Betracht, vulnerable Menschen auf therapeutische Interventionen zu verweisen. […] Entsprechende Therapien versprechen nach wie vor aber weder eine sichere Heilung nach einer COVID-19-Infektion noch eine mit der gebotenen Eindeutigkeit festzustellende sichere Vermeidung von schweren bis hin zu tödlichen Krankheitsverläufen. […] Behandlung erkrankter Personen [199] Schließlich musste sich der Gesetzgeber aus verfassungsrechtlicher Sicht auch nicht auf eine Nachweispflicht für vulnerable Personen beschränken. Die Vulnerabilität des hier geschützten Personenkreises beruht gerade auch auf der fehlenden oder eingeschränkten Möglichkeit, sich selbst durch eine Impfung vor einer Infektion und deren Folgen wirksam zu schützen. […]“ Mithin sind die streitgegenständlichen Vorschriften auch erforderlich. (4) Angemessenheit Schließlich müssen die Vorschriften angemessen sein, der verfolgte Zweck darf also nicht außer Verhältnis zur Eingriffsintensität stehen. „[207] Die zur Erfüllung der Nachweispflicht veranlasste Impfung stellt einen nicht unerheblichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dar. […] Die Impfung löst konkrete körperliche Reaktionen aus, die sich als Immunantwort auf die Verabreichung des Impfstoffes darstellen. […] [208] Daneben können im Einzelfall auch schwerwiegende und/oder länger andauernde Nebenwirkungen oder Impfkomplikationen eintreten. […] [210] […] Eine durchgeführte Impfung ist irreversibel. Auch ein Wechsel des Berufs oder der konkreten Tätigkeit kann nach über neun Monaten – trotz der hohen Nachfrage nach Arbeitskräften im Gesundheits- und Pflegebereich – nicht sicher wieder rückgängig gemacht werden. […] [211] Hinzu kommt, dass die Nachweispflicht nur eine von bislang vielen belastenden Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung ist und gerade Angehörige der Medizin-, Pflege- und Betreuungsberufe in der Pandemie besonderen Belastungen ausgesetzt waren und sind. [212] Die Intensität der Eingriffe wird durch im Normenprogramm des Gesetzgebers enthaltene Umstände jedoch teilweise abgemildert. [213] So sieht § 20a Abs. 1 Satz 2 IfSG bei einer medizinischen Kontraindikation eine Ausnahme von der Verpflichtung vor, sich impfen zu lassen, […].Hinzu kommt, dass die Sicherheit der COVID-19-Impfstoffe der fortlaufenden Überprüfung durch das Paul-Ehrlich-Institut unterliegt […]. [215] Für bereits zum 15. März 2022 in den genannten Einrichtungen und Unternehmen tätige Personen hat der Gesetzgeber zudem kein sich unmittelbar kraft Gesetzes ergebendes Betretungs- oder Tätigkeitsverbot geregelt, sondern dessen Anordnung von einer ermessensgeleiteten Einzelfallentscheidung des Gesundheitsamts abhängig gemacht. […] Nicht geimpften und nicht genesenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wäre dann – soweit dies in Betracht kommt – eine weitere berufliche Tätigkeit etwa im Home-Office möglich. [216] Der Gesetzgeber hat den Betroffenen auch einen zeitlichen Vorlauf zur Erfüllung ihrer Nachweispflichten eingeräumt. […] Jura Intensiv Impfpflicht für die vulnerablen Personen Darstellung der Eingriffsintensität © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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