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RA Digital - 07/2022

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384 Strafrecht

384 Strafrecht RA 07/2022 BVerfG, Beschluss vom 04.04.2002, 1 BvR 724/98, NJW 2002, 3315 Soweit der Angeklagte im Interview-Text Homosexuelle mit Pädophilie und (schwersten) Kindesmissbrauch in Verbindung bringt, hat das Landgericht unter Berücksichtigung des Gesamttextes in nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Angeklagte homosexuelle Menschen nicht generell und auch nicht mit Bezug auf ihre Homosexualität kritisiert. Vielmehr sehe er ‚Pädophilie und schwersten Kindesmissbrauch‘ lediglich als mögliche Folgen der Gleichstellung in der Kinderadoption durch homosexuelle Paare. Um seine ablehnende Haltung gegenüber der Gleichstellung homosexueller Paare in Bezug auf Ehe und Kinderadoption zu begründen, führt er insoweit aus, dass in derartigen Fällen die sogenannte Inzest-Abscheu fehle, thematisiert in diesem Zusammenhang jedoch auch die nach seiner Meinung ähnlich gelagerte Problematik bei heterosexuellen Stiefeltern. Entsprechend hat das Landgericht in nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass sich dem Interview-Text des Angeklagten keine unmittelbare Gleichstellung von allen oder bestimmten homosexuellen Menschen mit ‚Verbrechern‘, Kindesmisshandlern und/oder Pädophilen entnehmen lässt. [20] Darüber hinaus legt der Interview-Text an sich bereits nahe, dass der vom Angeklagten im Interview verwendete Begriff Pädophilie nicht allein im eigentlichen Sinn als ‚Störung der Sexualpräferenz‘, sondern auch als‚ übersteigerte Elternliebe‘ im Sinne der Begriffsdefinition durch John Money - die der Angeklagte an einer Stelle des Interviews ausdrücklich benennt und erläutert - verstanden werden kann. Bei mehreren möglichen Deutungen einer Äußerung, muss die nicht zur Strafbarkeit führende Deutung der Äußerung jedoch sicher ausgeschlossen werden können, um zu einer Verurteilung zu kommen, was vorliegend gerade nicht der Fall ist.“ Der vorliegende Fall ist angesichts der immer leidenschaftlicher geführten Debatte über das „Gendern“ und diskriminierungsfreie Sprache interessant. Er zeigt, dass auch Äußerungen, die sich eindeutig gegen diesen Trend richten und ziemlich eindeutig diskriminierend und nicht gerade wenig verletzend sind, nicht unbedingt eine strafbare Beleidigung darstellen müssen. Bzgl. der Beleidigungsfähigkeit von Kollektiven und Individuen unter einer Kollektivbezeichnung führt das vorliegende Urteil die bisherige Rechtsprechung des BGH fort und enthält wenig Neues. Auch dass die Meinungsfreiheit bei der Auslegung des Tatbestands des § 185 StGB Berücksichtigung zu finden hat, ist allgemein anerkannt. Allerdings werden „Standardprobleme“ insb. dann oft als Inhalte für Klausuren aufgegriffen, wenn sie sich durch aktuelle Rechtsprechung immer noch als relevant erweisen. Gerade auch wegen der Überschneidung von Straf- und Öffentlichem Recht eignet sich der vorliegende Fall besonders gut für mündliche Prüfungen, aber auch als Stoff für einen (anspruchsvollen) Tatkomplex einer Klausur. Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 07/2022 Strafrecht 385 Problem: Finalzusammenhang und Zueignungsabsicht Einordnung: Strafrecht BT I, II / Diebstahl und Raub BGH, Beschluss vom 10.03.2022 1 StR 497/21 EINLEITUNG Der BGH befasst sich mit den Voraussetzungen der für Raub, § 249 I StGB, und Diebstahl, § 242 I StGB, erforderlichen Zueignungsabsicht sowie des Finalzusammenhangs bei § 249 I StGB. SACHVERHALT Der Angeklagte A begab sich zur Wohnung der Geschädigten G, um sein Mobiltelefon zu holen, das er dort am Vortag nach einem heftigen Streit vergessen hatte. Nachdem G ihm zu verstehen gegeben hatte, dass er sie in Ruhe lassen solle, versteckte er sich vor dem Hauseingang. Als G das Haus verlassen wollte, rannte er auf sie zu und riss ihr den Schlüsselbund aus der Hand. Dabei fiel G ihr Mobiltelefon herunter. Als die Nachbarin N durch das nachfolgende Gerangel des A und der G um deren Schlüsselbund auf das Geschehen aufmerksam geworden war und hinüberrief, die Polizei verständigt zu haben, riss sich A mit Kraftanstrengung los, hob das zu Boden gefallene Mobiltelefon der G auf, um dieses zumindest für eine begrenzte Zeit für sich zu behalten, und flüchtete mitsamt dem Schlüsselbund und dem Mobiltelefon der G. Strafbarkeit des A? [Anm.: §§ 223 ff., 240, 246, 253, 255, 239a, b StGB sind nicht zu prüfen.] PRÜFUNGSSCHEMA: RAUB, § 249 I StGB A. Tatbestand I. Qualifiziertes Nötigungsmittel II. Fremde bewegliche Sache III. Wegnahme IV. Vorsatz bzgl. I. bis III. V. Finalzusammenhang VI. Absicht rechtswidriger Zueignung B. Rechtswidrigkeit und Schuld Jura Intensiv LEITSÄTZE DER REDAKTION 1. Beim Raub muss zwischen der Drohung mit oder dem Einsatz von Gewalt und der Wegnahme eine finale Verknüpfung bestehen; Gewalt oder Drohung müssen das Mittel zur Ermöglichung der Wegnahme sein. 2. An einer solchen finalen Verknüpfung fehlt es, wenn eine Nötigungshandlung nicht der Wegnahme dient, sondern der Täter den Entschluss zur Wegnahme erst nach Abschluss dieser Handlung fasst; der Umstand, dass die Wirkungen eines ohne Wegnamevorsatz eingesetzten Nötigungsmittels noch andauern und der Täter dies ausnutzt, genügt für die Annahme eines Raubes nicht. LÖSUNG A. Strafbarkeit gem. § 249 I StGB bzgl. des Schlüsselbundes A könnte sich aber durch das Gerangel und das Mitnehmen des Schlüsselbundes wegen Raubes gem. § 249 I StGB strafbar gemacht habe I. Tatbestand 1. Qualifiziertes Nötigungsmittel Es ist davon auszugehen, dass A im Rahmen des „Gerangels“ Gewalt gegen eine Person, nämlich G, angewendet hat. Zwar lässt sich dem Sachverhalt nicht entnehmen, dass A auch Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Gewalt gegen eine Person ist der unmittelbar oder mittelbar auf den Körper des Opfers bezogene, körperlich wirkende Zwang zur Überwindung geleisteten oder erwarteten Widerstands. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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