386 Strafrecht RA 07/2022 Leib oder Leben angewendet hat. Die Personengewalt stellt jedoch bereits ein qualifiziertes Nötigungsmittel dar. 2. Fremde bewegliche Sache Der Schlüsselbund stand im Eigentum der G und stellt somit für A eine fremde bewegliche Sache dar. Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendig tätereigenen, Gewahrsams. Spezialitätstheorie: BGH, Beschluss vom 24.04.2018, 5 StR 606/17, RA 2018, 557 Exklusivitätstheorie: Schönke/ Schröder, StGB, § 253 Rn 3, 8 Aneignungsabsicht ist die Absicht, die Sache selbst oder den in ihr verkörperten Sachwert wenigstens vorübergehend dem eigenen Vermögen oder dem Vermögen eines Dritten einzuverleiben. 3. Wegnahme G hielt ursprünglich den Schlüsselbund in der Hand und hatte deshalb Gewahrsam daran; es bestand also für A fremder Gewahrsam. Durch das Ergreifen und Mitnehmen des Schlüsselbundes hat A neuen Gewahrsam begründet. Für das Vorliegen des Gewahrsamsbruchs ist nach der Spezialitätstheorie bei § 249 I StGB das äußere Erscheinungsbild maßgeblich, nach der Exklusivitätstheorie die innere Willensrichtung des Opfers. Das Geschehen sah aus wie ein Nehmen des A und da die Gewahrsamsinhaberin G beim Gewahrsamswechsel an dem Schlüsselbund nicht mitgewirkt hat, hielt sie ihre Mitwirkung hierbei auch nicht für erforderlich, sodass auch nach der inneren Willensrichtung des Opfers ein Gewahrsamsbruch vorliegt. A hat den Schlüsselbund somit weggenommen. 4. Vorsatz A handelte mit Vorsatz bzgl. der objektiven Tatumstände. 5. Finalzusammenhang A hatte von Anfang an vor, den Schlüsselbund wegzunehmen und hat die Personengewalt auch zu diesem Zweck eingesetzt, sodass der erforderliche Finalzusammenhang vorliegt. 6. Absicht rechtswidriger Zueignung A müsste auch mit der Absicht rechtswidriger Zueignung bzgl. des Schlüsselbundes gehandelt haben. Die insofern erforderliche Zueignungsabsicht setzt eine Aneignungsabsicht und einen Enteignungswillen voraus. Der Enteignungswille ist dann gegeben, wenn der Täter den Willen hat, das Opfer dauerhaft aus der Eigentümerposition zu verdrängen, dieses also dauerhaft vom Zugriff auf die Sache oder den Sachwert auszuschließen. A hatte den Schlüsselbund der G weggenommen, um so Druck auf diese ausüben und sie dazu zwingen zu können, sein eigenes Handy an ihn herauszugeben. Er hatte sich nicht vorgestellt, den Schlüssel in anderer Weise zu verwenden und zumindest nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ ist auch davon auszugehen, dass er G ihren Schlüsselbund wieder zurückgeben wollte, sobald diese ihm sein Handy ausgehändigt hätte. Dann wollte er der G den Schlüsselbund aber nicht dauerhaft entziehen, sodass kein Enteignungswille und somit keine Zueignungsabsicht vorlag. So sieht es auch der BGH: Jura Intensiv „[4] Hinsichtlich des Schlüsselbundes, den der Angeklagte der Geschädigten entriss und mitnahm, hält die Beweiswürdigung zur Zueignungsabsicht des Angeklagten […] der Überprüfung nicht stand. […]. BGH, Beschluss vom 26.03.2019, 2 StR 511/18 [5] Die erforderliche Zueignungsabsicht des Angeklagten ist […] nicht tragfähig belegt. Ein Handeln in Zueignungsabsicht drängt sich bei der Wegnahme eines – objektiv wertlosen – Schlüsselbundes nicht von vornherein auf und bedarf daher einer besonderen Begründung, an der es hier fehlt. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 07/2022 Strafrecht 387 Soweit das Landgericht aufgrund der Einlassung des Angeklagten annimmt, dieser habe den Schlüsselbund ‚auch deswegen gewaltsam an sich gebracht‘, um ihn als Druckmittel zur Wiedererlangung seines Mobiltelefons zu verwenden, begründet dies eine Zueignungsabsicht […] gerade nicht.“ II. Ergebnis Bzgl. der Erlangung des Schlüsselbundes hat A sich nicht gem. § 249 I StGB strafbar gemacht. B. Strafbarkeit gem. § 249 I StGB bzgl. des Mobiltelefons Durch das Gerangel und das Mitnehmen des Mobiltelefons könnte A sich wegen Raubes gem. § 249 I StGB strafbar gemacht haben. I. Tatbestand A hat Gewalt gegen eine Person, also ein qualifiziertes Nötigungsmittel, eingesetzt (s.o.). Auch das Mobiltelefon stand im Eigentum der G und stellt somit für A eine fremde bewegliche Sache dar. Das Mobiltelefon hat A ebenso weggenommen wie den Schlüsselbund. A handelte mir Vorsatz bzgl. der objektiven Tatumstände. Der für § 249 I StGB erforderliche Finalzusammenhang müsste auch bzgl. des Mobiltelefons gegeben sein. „[7] aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss beim Raub zwischen der Drohung mit oder dem Einsatz von Gewalt und der Wegnahme eine finale Verknüpfung bestehen; Gewalt oder Drohung müssen das Mittel zur Ermöglichung der Wegnahme sein. An einer solchen Verknüpfung fehlt es, wenn eine Nötigungshandlung nicht der Wegnahme dient, sondern der Täter den Entschluss zur Wegnahme erst nach Abschluss dieser Handlung fasst. Der Umstand, dass die Wirkungen eines ohne Wegnahmevorsatz eingesetzten Nötigungsmittels noch andauern und der Täter dies ausnutzt, genügt für die Annahme eines Raubes nicht. Jura Intensiv [8] bb) Ein solcher Finalzusammenhang zwischen Nötigungsmittel und Wegnahme ist hinsichtlich des Mobiltelefons der Geschädigten bereits nicht festgestellt. Die vom Angeklagten gegen die Geschädigte gerichtete Gewalt diente nach den Feststellungen dem Zweck, der Geschädigten den Schlüsselbund wegzunehmen. Das Mobiltelefon der Geschädigten fiel dieser zwar aus der Hand, als der Angeklagte ihr den Schlüsselbund entriss; dass der Angeklagte mit seinem gewaltsamen Vorgehen gegen die Geschädigte auch die Wegnahme des Telefons bezweckte, lässt sich den Feststellungen indes nicht entnehmen. Hiernach liegt im Gegenteil nicht fern, dass sich der Angeklagte erst zur Wegnahme des am Boden liegenden Telefons der Geschädigten entschloss, als er von dieser abgelassen und sich losgerissen hatte.“ BGH, Beschluss vom 14.07.2021, 6 StR 298/21, NStZ 2022, 42; Beschluss vom 18.02.2014, 5 StR 41/14, NStZ 2015, 156 BGH, Beschluss vom 26.01.2022, 3 StR 445/21 Es wäre auch denkbar gewesen, einen einheitlichen Raub bzgl. beider Tatobjekte zu prüfen und im Rahmen des Finalzusammenhangs zwischen Schlüsselbund und Handy zu differenzieren. Durch die getrennte Prüfung wird die erforderliche Unterscheidung aber noch etwas deutlicher. Bzgl. des Mobiltelefons ist der erforderliche Finalzusammenhang also nicht gegeben. II. Ergebnis A hat sich nicht gem. § 249 I StGB strafbar gemacht. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis
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