346 Zivilrecht RA 07/2024 ZIVILRECHT Problem: Zwangsvollstreckung aus einer Sicherungsgrundschuld Einordnung: Sachenrecht, Zwangsvollstreckungsrecht OLG Brandenburg, Urteil vom 10.01.2024 4 U 68/23 (abgewandelt) ORIENTIERUNGSSATZ 1. Die Zwangsvollstreckung aus einer Grundschuld ist unzulässig, wenn der Grundschuld die dauerhafte Einrede des Erlöschens der gesicherten Forderung entgegensteht. 2. Diese Einrede kann der Grundstückseigentümer auch dem Erwerber der Grundschuld entgegenhalten. 3. Eine Verzichtserklärung zwischen einer Bank und dem Insolvenzverwalter des Grundstückseigentümers kann zum Erlöschen der gesicherten Forderung führen. Der Insolvenzverwalter ist zur Verfügung über das Vermögen des Grundstückseigentümers befugt und kann daher die Verzichtsvereinbarung mit Wirkung für und gegen den Eigentümer abschließen. Die nebenstehende Klausel 1.6. enthält den treuhänderischen Freigabeanspruch. Sogar dann, wenn er nicht ausdrücklich vereinbart wurde, ergibt er sich aus dem treuhänderischen Charakter der Sicherungsgrundschuld. Mit der Unterwerfungserklärung in der notariellen Urkunde besitzt die Bank einen Vollstreckungstitel, ohne dass sie ihren Anspruch aus §§ 1192 I, 1147 BGB auf Duldung der Zwangsvollstreckung einklagen muss. Dieses Vorgehen ist der Regelfall in der Praxis. EINLEITUNG Wer sich an die Diskussionen in den Jahren 2006 bis 2008 erinnern kann, die zum Risikobegrenzungsgesetz führten, weiß, dass auch Banken fehlbar sind, sei es aus Unachtsamkeit, sei es aus Berechnung. Weil die eine Grundschuld betreffenden Sicherungsabreden nicht in das Grundbuch eingetragen werden können, war der Eigentümer weitgehend ungeschützt, wenn die Grundschuld an einen Zessionar abgetreten wurde, obwohl er die gesicherte Forderung zuvor durch Erfüllung zum Erlöschen gebracht hatte. Der im August 2008 in das BGB eingefügte § 1192 Ia BGB bewirkt eine „Einredenakzessorietät“ zugunsten des Eigentümers gegenüber dem Zessionar. SACHVERHALT K ist Eigentümerin eines Hotelappartements eines Hotels in Fürstenwalde, das als Sondereigentum im Grundbuch eingetragen ist. B betreibt aus einer Sicherungsgrundschuld die Zwangsvollstreckung in dieses Sondereigentum. Das Hotel wurde im Jahre 1996 neu gebaut. Im Wege der Teilung nach § 8 WEG wurde das Eigentum am Grundstück danach in Miteigentumsanteile aufgeteilt. Ferner wurden entsprechende Grundbuchblätter für das nach der Aufteilung entstandene Sondereigentum an den Appartements angelegt. K kaufte im Jahr 1996 das streitgegenständliche Appartement und wurde später als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen. Den Kaufpreis finanzierte sie vollständig durch ein Darlehen bei der Z-Bank (Z). Diese erhielt zur Sicherung eine Grundschuld am Sondereigentum, die in das Grundbuchblatt des Sondereigentums eingetragen wurde. In der darüber hinaus abgegebenen „Zweckerklärung für Grundschulden/ Sicherung der Geschäftsverbindung“ heißt es unter der Überschrift „Sicherungsabrede, Sicherungszweck“: 1.6 Freigabe von Sicherheiten [...] „Sobald die Z wegen aller ihrer Ansprüche – auch bedingter und befristeter – gegen den Kreditnehmer befriedigt ist, ist sie – auf entsprechendes Verlangen – verpflichtet, ihre Rechte aus der/den Grundschuld(en) freizugeben. […]“ K unterwarf sich gem. § 794 I Nr. 5 ZPO in einer notariellen Urkunde wirksam der sofortigen Zwangsvollstreckung aus der Grundschuld sowie aus der Forderung in ihr Vermögen. In der Folgezeit geriet K mit der Zahlung der vereinbarten Darlehensraten in Rückstand. Nach Kündigung des Darlehens am 07.06.2006 und Rechtsstreitigkeiten zwischen K und Z, bei denen sich K auf eine Falschberatung durch Z berufen hatte, wurde im Jahr 2009 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der K eröffnet, wodurch es zu Verhandlungen zwischen dem Insolvenzverwalter (I) der K und der Z kam. I und Z schlossen am 31.01.2014 folgende Verzichtsvereinbarung: § 1 Verzicht der Z Die Z erklärt den Verzicht auf die Geltendmachung der zur Insolvenztabelle angemeldeten und festgestellten Darlehensforderung gegenüber dem Insolvenzverwalter und nimmt die Forderung schriftlich binnen zwei Wochen nach Unterzeichnung dieser Vereinbarung zurück. Der Insolvenzverwalter nimmt diesen Verzicht an. Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 07/2024 Zivilrecht 347 § 2 Verzicht auf Schadenersatz I erklärt als Insolvenzverwalter über das Vermögen der K den Verzicht auf die Geltendmachung von etwaigen Schadenersatzansprüchen gegen die Z auf Grund einer möglichen Falschberatung im Zusammenhang mit dem ausgereichten Darlehen. Die Z nimmt diesen Verzicht hiermit an. § 3 Abgeltung Mit dieser Vereinbarung sind sämtliche Ansprüche zwischen den Beteiligten hinüber und herüber, gleich aus welchem Rechtsgrund, gleich ob bekannt oder unbekannt abgegolten. […]“ Danach wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der K durch Beschluss des Insolvenzgerichts aufgehoben. Im Oktober 2018 trat die Z die o.g. Darlehensforderung gegenüber der K sowie die dazugehörige Grundschuld wirksam an B ab. Der Vollstreckungstitel gem. § 794 I Nr. 5 ZPO wurde gem. §§ 795, 727 ZPO auf B wirksam umgeschrieben. Aus diesem betreibt B gegen K die Zwangsvollstreckung. K beruft sich auf die zwischen I und Z getroffene Verzichtsvereinbarung und wehrt sich gegen die Zwangsvollstreckung gem. §§ 767, 795 ZPO mit der Vollstreckungsabwehrklage, welche sie bei dem Gericht einlegt, bei dem sie ihren allgemeinen Gerichtsstand hat. Zu Recht? LÖSUNG A. Zulässigkeit und Begründetheit der Vollstreckungsabwehrklage gem. §§ 767 I, 795 ZPO I. Zulässigkeit der Vollstreckungsabwehrklage 1. Statthaftigkeit Die Vollstreckungsabwehrklage ist gem. § 767 ZPO statthaft, wenn sich der Kläger mit materiellrechtlichen Einwendungen gegen den titulierten Anspruch wehrt. Ein Vollstreckungstitel ist eine öffentliche Urkunde, aus der die Zwangsvollstreckung betrieben werden darf. Dies ist gem. § 794 I Nr. 5 ZPO bei der hier genutzten notariellen Urkunde der Fall. Gem. § 795 ZPO darf sich der Titelschuldner hiergegen mit der Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 I ZPO wehren. Gegen die Vollstreckung wendet sich K, indem sie sich auf die die Darlehensforderung betreffende Verzichtsvereinbarung beruft, folglich auf das vollständige Erlöschen der gesicherten Forderung vor der Übertragung der Grundschuld auf B, also mit materiellrechtlichen Einwendungen. Folglich ist die Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 I ZPO i.V.m. §§ 794 I Nr. 5, 795 ZPO statthaft. Jura Intensiv 2. Zuständiges Gericht Wird aus einer notariellen Urkunde i.S.d. § 794 I Nr. 5 ZPO die Zwangsvollstreckung betrieben, richtet sich die Zuständigkeit des Gerichts nach §§ 797 V 1 Nr. 2, 802 ZPO. Indem K die Klage bei dem Gericht eingelegt hat, bei dem sie ihren allgemeinen Gerichtsstand (§§ 12 ff. ZPO) hat, hat sie das zuständige Gericht gewählt. 3. Rechtsschutzbedürfnis In zeitlicher Hinsicht besteht das Rechtsschutzbedürfnis für eine Vollstreckungsabwehrklage von der Existenz des Titels bis zur Aushändigung des Titels an den Schuldner. Vorliegend hat B eine vollstreckbare Ausfertigung der notariellen Urkunde gem. §§ 794 I Nr. 5, 727 ZPO erhalten, die Die Abtretung der Briefgrundschuld erfolgt gem. §§ 398, 413, 1192 I 1154 I BGB mittels schriftlicher Abtretungserklärung und Übergabe des Grundschuldbriefs, die Abtretung einer Buchgrundschuld wird gem. § 873 BGB i.V.m. §§ 398, 413, 1192 I, 1154 III BGB in das Grundbuch eingetragen. Der Notar kann als zuständiges Klauselorgan gem. §§ 795, 727 ZPO die titelumschreibende Klausel erteilen, dass B die Rechtsnachfolgerin der Z ist. Mit dieser Klausel hat B eine so genannte vollstreckbare Ausfertigung der gem. § 794 I Nr. 5 ZPO erteilten Urkunde und kann die Zwangsvollstreckung betreiben, z.B., indem sie gem. § 15 ZVG die Zwangsversteigerung des Sondereigentums beantragt. Typischerweise sind in der Zulässigkeit der Vollstreckungsabwehrklage mindestens die Statthaftigkeit, die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts und das Rechtsschutzbedürfnis zu prüfen. § 795 ZPO verweist für die in § 794 ZPO genannten Vollstreckungstitel grundsätzlich auf die §§ 723 - 793 ZPO, mithin auch auf § 767 ZPO. Die Zuständigkeit war hier kein Problem. Man sollte sich jedoch den § 797 V 1 Nr. 2 ZPO gut einprägen. Die sachliche Zuständigkeit richtet sich nach den allgemeinen Regeln der §§ 23, 23a, 23b, 71 GVG, Thomas/ Putzo/Seiler, ZPO, § 797 Rn 4. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis
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