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RA Digital - 08/2016

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428 Öffentliches Recht

428 Öffentliches Recht RA 08/2016 Dies ist eine besondere Form der öffentlichen Bekanntgabe. Sind Verkehrszeichen so aufgestellt oder angebracht, dass sie ein durchschnittlicher Kraftfahrer bei Einhaltung der nach § 1 StVO erforderlichen Sorgfalt schon „mit einem raschen und beiläufigen Blick“ erfassen kann, äußern sie nach dem so genannten Sichtbarkeitsgrundsatz ihre Rechtswirkung gegenüber jedem von der Regelung betroffenen Verkehrsteilnehmer, gleichgültig, ob er das Verkehrszeichen tatsächlich wahrnimmt oder nicht. 1. Klarstellung: Differenzierung beim Sichtbarkeitsgrundsatz Z.B. OVG Hamburg, NZV 2009, 524, 525; OLG Hamm, VRS 57, 137, 138f. Bisher höchstrichterlich nicht geklärt. Differenzierung beim Sichtbarkeitsgrundsatz folgt aus der in § 1 StVO normierten allgemeinen Sorgfaltspflicht. 2. Klarstellung: Einfache Umschau muss stets erfolgen 3. Klarstellung: Nachschaupflicht nur, wenn besonderer Anlass besteht [17] Für die Sichtbarkeit von Verkehrszeichen, die den ruhenden Verkehr betreffen, gelten weniger strenge Anforderungen als an solche, die den fließenden Verkehr regeln. [18] Diese Auffassung entspricht mittlerweile der gefestigten Rechtsprechung zahlreicher Instanzgerichte sowohl der Verwaltungs- als auch der ordentlichen Gerichtsbarkeit. […] [19] Vom Bundesverwaltungsgericht wurde das bislang noch nicht ausdrücklich ausgesprochen. […] Es liegt [aber] auf der Hand und ist allgemein anerkannt, dass das Maß und die Ausprägung der von den Verkehrsteilnehmern zu fordernden Sorgfalt von der konkreten Verkehrssituation abhängen. Verkehrszeichen, die den fließenden Verkehr betreffen, müssen insbesondere bei höherer Geschwindigkeit innerhalb kürzester Zeit wahrgenommen und erfasst, also in ihrem Regelungsgehalt verstanden werden können, um ihr Regelungsziel zu erreichen. Anders liegt es bei Verkehrszeichen, die den ruhenden Verkehr regeln. Hier hat der Verkehrsteilnehmer die Möglichkeit, sich auch noch beim Abstellen und Verlassen seines Fahrzeugs […] Klarheit über das Vorhandensein und/oder den Inhalt eines Halt- oder Parkverbots zu verschaffen. […] Eine einfache Umschau nach dem Abstellen des Fahrzeugs, ob ein Halt- oder Parkverbot besteht, gehört deshalb zu der nach § 1 StVO erforderlichen Sorgfalt des Fahrers. [21] Das Berufungsgericht hat angenommen, den Fahrer treffe auch ohne besonderen Anlass eine über eine solche Umschau nach dem Abstellen des Fahrzeugs hinausgehende Nachschaupflicht, er könne „gegebenenfalls“ auch gehalten sein, vom Abstellort des Fahrzeugs aus eine gewisse Strecke nach beiden Richtungen abzuschreiten, um sich über das Nichtvorhandensein von Halt- oder Parkverboten zu vergewissern. Damit überspannt das Berufungsgericht die den Verkehrsteilnehmer treffenden Sorgfaltspflichten. Verkehrszeichen für den ruhenden Verkehr äußern ihre Rechtswirkung […], wenn sie so aufgestellt oder angebracht sind, dass ein durchschnittlicher Kraftfahrer bei Einhaltung der nach § 1 StVO erforderlichen Sorgfalt und ungestörten Sichtverhältnissen während der Fahrt oder durch einfache Umschau beim Aussteigen ohne Weiteres erkennen kann, dass ein Ge- oder Verbot durch ein Verkehrszeichen verlautbart wurde. Zu einer Nachschau ist der Verkehrsteilnehmer nur verpflichtet, wenn hierfür nach den konkreten Umständen des Einzelfalls ein besonderer Anlass besteht. Jura Intensiv [22] Es obliegt der Behörde, die […] ein Park- oder Haltverbot anordnet, für deren ordnungsgemäße Bekanntgabe Sorge zu tragen. […] Die materielle Beweislast dafür, dass den Anforderungen des Sichtbarkeitsgrundsatzes für die Aufstellung oder Anbringung der Inhaltsverzeichnis

RA 08/2016 Öffentliches Recht 429 Verkehrszeichen genügt wurde, trägt nach allgemeinen Grundsätzen im Streitfall die Behörde, die daraus Rechtsfolgen herleiten will. Das legt es für sie zugleich nahe, dass sie [..] die ordnungsgemäße Aufstellung oder Anbringung der Verkehrszeichen und die Erfüllung der Anforderungen des Sichtbarkeitsgrundsatzes in geeigneter Weise dokumentiert. [24] Anlass für eine über den einfachen Rundumblick nach dem Abstellen des Fahrzeugs hinausgehende Nachschau, etwa durch Abschreiten des Nahbereichs, kann beispielsweise bestehen, wenn ein Halt- oder Parkverbotszeichen durch dort abgestellte besonders hohe Fahrzeuge verdeckt sein könnte oder wenn die Sichtverhältnisse wegen Dunkelheit oder der Witterungsverhältnisse so beeinträchtigt sind, dass der Verkehrsteilnehmer damit rechnen muss, Verkehrszeichen schon deshalb nicht zu erkennen. [26] Nicht zu beanstanden ist dagegen […] die Auffassung des Berufungsgerichts, bei den Anforderungen an die Sichtbarkeit eines Verkehrszeichens sei nicht danach zu unterscheiden, ob der Verkehrsteilnehmer - etwa als Ortsansässiger - mit der Rechtslage vertraut sei. Das folgt daraus, dass Maßstab für die Erfüllung der Anforderungen des Sichtbarkeitsgrundsatzes […] grundsätzlich der durchschnittliche Kraftfahrer ist.“ Demnach ist die Differenzierung des OVG bzgl. der Bekanntgabe von Verkehrszeichen, die an den ruhenden und fließenden Verkehr adressiert sind, zutreffend. Jedoch stellt das OVG zu strenge Anforderungen an die Sorgfaltspflichten des haltenden/parkenden Fahrzeugführers. Das BVerwG hat deshalb das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OVG Berlin-Brandenburg zurückverwiesen. FAZIT Das Urteil des BVerwG bringt wichtige Klarstellungen zu dem Examensklassiker „Bekanntgabe von Verkehrszeichen/Abschleppen von Kraftfahrzeugen“ und ist daher hoch examensrelevant. Es bleibt festzuhalten: Jura Intensiv Beweislast für ordnungsgemäße Bekanntgabe liegt bei Behörde • behördliche Dokumentation ist sinnvoll. Beispiele für Bestehen einer Nachschaupflicht 4. Klarstellung: Sonderwissen Ortsansässiger ist unerheblich • An die Erkennbarkeit eines Verkehrszeichens, das sich an den ruhenden Verkehr richtet, sind geringere Anforderungen zu stellen als an ein solches, das an den fließenden Verkehr adressiert ist. • Den haltenden/parkenden Fahrer trifft stets eine aus § 1 StVO folgende Pflicht zur einfachen Umschau (= Rundumblick). Eine sondere Nachschaupflicht (z.B. durch Abschreiten des Nahbereichs) besteht nur, wenn es dafür einen besonderen Anlass gibt wie etwa schlechte Sichtverhältnisse. • Sonderwissen von der Existenz eines Verkehrszeichens ist unerheblich. Inhaltsverzeichnis

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