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RA Digital - 08/2019

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430 Referendarteil:

430 Referendarteil: Öffentliches Recht RA 08/2019 bleiben, sich zu den Äußerungen des Bundesamts über die rechtliche Einstufung hinsichtlich Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung bei der Antragstellerin als Gesamtpartei auch dadurch zur Wehr zu setzen, dass sie die Äußerungen selbst aufgreift und ihrerseits bewertet, um Einfluss auf die politische und öffentliche Auseinandersetzung mit dieser Frage zu nehmen. [...] Begründetheit In der verwaltungsgerichtlichen Praxis wird regelmäßig zwischen Sicherungs- und Regelungsanordnung differenziert, was daher auch in der Klausur erfolgen sollte. Beachte: Vorwegnahme der Hauptsache gehört im Urteilsstil an den Anfang der Begründetheitsprüfung, weil sich dann die Anforderungen an den Anordnungsanspruch und den Anordnungsgrund verschärfen. Voraussetzungen für die ausnahmsweise Zulässigkeit einer Vorwegnahme der Hauptsache Anordnungsanspruch Hier: Öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.10.2010, 7 B 54.10, juris Rn 14 Grundlage: Parteienfreiheit und allgemeines Persönlichkeitsrecht Ob und inwieweit sich eine juristische Person auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht berufen kann, ist im Einzelfall umstritten und musste daher hier zwingend problematisiert werden (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 21.5.2008, 6 C 13.07, juris Rn 16). Der Antrag ist auch begründet. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). Dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht nach § 123 Abs. 1 VwGO grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und einem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang dasjenige gewähren, was er nur in einem Hauptsacheverfahren erreichen könnte. Dieses Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache gilt allerdings im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG dann nicht, wenn die gerichtliche Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, weil der Antragsteller sonst Nachteile zu erwarten hätte, die für ihn unzumutbar wären, und das Begehren in der Hauptsache schon aufgrund summarischer Prüfung der Erfolgsaussichten bei Anlegung eines strengen Maßstabs erkennbar Erfolg haben muss. Soweit die von der Antragstellerin begehrte Anordnung auf die zumindest zeitliche Vorwegnahme der Hauptsache hinaus läuft, sind die danach erforderlichen qualifizierten Anforderungen an das Vorliegen eines Anordnungsgrundes und eines Anordnungsanspruchs vorliegend erfüllt. Jura Intensiv Der Antragstellerin steht der geltend gemachte Anordnungsanspruch zu. Sie hat das Bestehen eines zu sichernden Rechts insoweit glaubhaft gemacht. Das Begehren der Hauptsache hat auch bei Anlegung eines strengen Maßstabs erkennbar Erfolg. Grundlage des allgemein anerkannten öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs der Antragstellerin ist insbesondere die Parteienfreiheit (in Form der Gründungsfreiheit gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG, der Betätigungsfreiheit gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG und der aus einer Zusammenschau der Art. 3, 21 und 38 GG abzuleitenden politischen Chancengleichheit) und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, auf das sich gemäß Art. 19 Abs. 3 GG auch die Antragstellerin als Partei und juristische Person bzw. Personenverband im Rahmen ihres Aufgabenbereichs berufen kann, umfasst den Schutz vor staatlichen Äußerungen, die geeignet sind, sich abträglich auf das Bild der betroffenen Person in der Öffentlichkeit auszuwirken. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 08/2019 Referendarteil: Öffentliches Recht 431 Die streitauslösende Äußerung des Bundesamts, die Antragstellerin werde hinsichtlich möglicher Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung als „Prüffall“ bearbeitet, greift in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Antragstellerin ein. Dabei ist nicht jedes staatliche Informationshandeln und nicht jede Teilhabe des Staates am Prozess öffentlicher Meinungsbildung als Grundrechtseingriff zu bewerten. Maßgebend ist, ob der Schutzbereich eines Grundrechts berührt wird und ob die Beeinträchtigung einen Eingriff oder eine eingriffsgleiche Maßnahme darstellt. Das ist bei der streitgegenständlichen Äußerung des Bundesamts gegeben. [...] Vorliegend dient die Äußerung des Bundesamts […] dem sich aus der Regelung des § 16 BVerfSchG ergebenden Zweck, die Öffentlichkeit über verfassungsschutzrelevante Bestrebungen zu informieren und damit eine verbesserte Transparenz sicherzustellen. Die im Rahmen dieser Zielsetzung durch eine öffentliche Äußerung über die Einstufung als „Prüffall“ ausgelösten Wirkungen kommen einem Eingriff gleich. Ähnlich wie im […] Fall der Erwähnung im Verfassungsschutzbericht ist auch die Äußerung des Bundesamtes über die Einstufung einer politischen Partei als „Prüffall“ kein beliebiges Erzeugnis staatlicher Öffentlichkeitsarbeit. [...] Dies gilt nicht nur für die Veröffentlichung von Verdachtsfällen im Rahmen des Verfassungsschutzberichts nach § 16 Abs. 2 BVerfSchG. Auch die Äußerung, eine Partei stelle einen „Prüffall“ dar, kommt […] eine negative Wirkung zu. Denn damit hat das Bundesamt zum Ausdruck gebracht, dass erste tatsächliche Anhaltspunkte für eine gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgerichtete Politik der Antragstellerin vorliegen. [...] Dies ist auch unabhängig davon, ob die Äußerung inhaltlich richtig ist. Ob die Antragstellerin zurecht als „Prüffall“ eingestuft wurde, ist hier nicht Gegenstand des Verfahrens. Unabhängig von der inhaltlichen Richtigkeit ist die öffentliche Äußerung über die Einstufung der Antragstellerin durch das Bundesamt mit den beschriebenen (negativen) Folgen für die Antragstellerin verbunden. Jura Intensiv Der Eingriff in die Rechte der Antragstellerin ist auch nicht gerechtfertigt. Dies folgt hier bereits aus dem Umstand, dass für die streitgegenständlichen Äußerungen keine Ermächtigungsgrundlage existiert. Insbesondere stellt § 16 Abs. 1 BVerfSchG keine solche Ermächtigungsgrundlage dar. Denn diese Norm erlaubt die Information der Öffentlichkeit über einen „Prüffall“ ersichtlich nicht. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Norm. Nach § 16 Abs. 1 BVerfSchG informiert das Bundesamt für Verfassungsschutz die Öffentlichkeit über Bestrebungen und Tätigkeiten nach § 3 Abs. 1 BVerfSchG, soweit hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte hierfür vorliegen. Dass die tatsächlichen Anhaltspunkte, die für das Bestehen einer verfassungsfeindlichen Bestrebung nach § 3 Abs. 1 BVerfSchG sprechen, hinreichend gewichtig sein müssen und nicht - wie das Bundesamt meint - die Gründe, die eine Information der Öffentlichkeit rechtfertigen, ergibt sich aus dem insoweit klaren Wortlaut „hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte“. Tatsächliche Anhaltspunkte beziehen sich aber naturgemäß auf Tatsachen und nicht auf Werturteile. [...] Subsumtion des konkreten Sachverhalts, beginnend mit dem Ergebnissatz (Urteilsstil) Es hätte sich angeboten, die Voraussetzungen des öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs (rechtswidriger Eingriff in ein subjektives Recht durch hoheitliches Handeln, der noch andauert oder bevorsteht, Wiederholungsgefahr) klarer herauszuarbeiten. Vgl. zum Zweck des § 16 BVerfSchG: Schenke/Graulig/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, § 16 BVerfSchG, Rn 1; BT-Drs. 18/4654, S. 31 Eingriff liegt unabhängig davon vor, ob die Äußerung richtig ist Rechtswidrigkeit des Eingriffs, da keine Ermächtigungsgrundlage für die Äußerung vorliegt. Keine Ermächtigung durch § 16 I BVerfSchG Auslegung der Norm: Grammatikalische Auslegung © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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