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RA Digital - 08/2019

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432 Referendarteil:

432 Referendarteil: Öffentliches Recht RA 08/2019 Systematische Auslegung BVerwG, Urteil vom 21.7.2010, 6 C 22.09, juris Rn 31; BVerwG, Urteil vom 26.6.2013, 6 C 4/12, juris Rn 16 ff. zu § 16 Abs. 2 BVerfSchG a.F. Historische Auslegung BVerwG, Urteil vom 26.6.2013, 6 C 4.12, juris Rn 12 BT-Drs. 18/4654, S. 32 BVerfG, Beschluss vom 24.5.2005, 1 BvR 1072/01, juris Rn 68 Keine Ermächtigung durch Annexkompetenz Keine Ermächtigung aus allgemeiner Informationspflicht Sperrwirkung von § 16 I BVerfSchG als lex specialis Dass § 16 Abs. 1 BVerfSchG zwar sog. Verdachtsfälle, nicht aber „Prüffälle“ umfasst, folgt auch aus der Gesetzessystematik. Der Verdachtsfall ist in § 4 Abs. 1 Satz 3 BVerfSchG geregelt. Dort heißt es, dass Voraussetzung für die Sammlung und Auswertung von Informationen im Sinne des § 3 Abs. 1 das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte ist. § 16 Abs. 1 BVerfSchG greift den Terminus der „tatsächlichen Anhaltspunkte“ auf und ergänzt ihn um die Formulierung „hinreichend gewichtig“. Daraus folgt, dass die Öffentlichkeit erst dann informiert werden kann, wenn ein Verdachtsfall vorliegt und die tatsächlichen Anhaltspunkte zudem hinreichend gewichtig sind, der Verdachtsgrad also stark ausgeprägt sein muss. [...] Insbesondere mit Blick auf die Gesetzgebungsgeschichte ist festzustellen, dass § 16 Abs. 1 BVerfSchG eine Information der Öffentlichkeit über „Prüffälle“ nicht zulässt. Nach § 16 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG a.F. konnte das Bundesministerium des Innern über Bestrebungen und Tätigkeiten nach § 3 Abs. 1 BVerfSchG informieren. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts war diese Norm nicht geeignet, bloße Verdachtsfälle in den Verfassungsschutzbericht aufzunehmen. Hierdurch sah sich der Gesetzgeber veranlasst, § 16 BVerfSchG neu zu fassen. Dies geschah dadurch, dass nunmehr dem Bundesamt eine eigenständige Informationsbefugnis eingeräumt wurde und die Formulierung der „hinreichend gewichtigen tatsächlichen Anhaltspunkte“ aufgenommen wurde. Damit wurde nach der Gesetzesbegründung „die Verdachtsfallberichterstattung nunmehr ausdrücklich in den Gesetzeswortlaut aufgenommen („tatsächliche Anhaltspunkte“). [...] Weiterhin ist hier zu beachten, dass sich der Gesetzgeber sich bei der Fassung des § 16 BVerfSchG vom „Junge-Freiheit“-Beschluss des BVerfG leiten ließ. Das Bundesverfassungsgericht hat darin die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Verdachtsfallberichterstattung konkretisiert und dahingehend eingeschränkt, dass für einen Verdachtsfall „hinreichend gewichtige“ tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen müssen. [...] Ist somit eine Verdachtsfallberichterstattung nur unter gesteigerten Voraussetzungen möglich, so ist eine Berichterstattung über eine dem Verdachtsfall vorgelagerte Prüfung wie den hier streitgegenständlichen „Prüffall“ von vorneherein ausgeschlossen. Jura Intensiv Eine Ermächtigung zur Information über eine Einstufung als „Prüffall“ ergibt sich auch nicht als Annex aus der Verdachtsberichtserstattung über Teilorganisationen der Antragstellerin. Es ist nicht ersichtlich, dass bei einer Information über Teilorganisationen auch über die Gesamtorganisation berichtet werden darf, sofern die Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 BVerfSchG hierfür nicht vorliegen. [...] Überdies ergibt sich keine Ermächtigungsgrundlage aus einer allgemeinen Pflicht zu staatlichem Informationshandeln. Es kann dahinstehen, ob die diesbezüglichen Voraussetzungen vorliegen, denn § 16 Abs. 1 BVerfSchG entfaltet als lex specialis Sperrwirkung gegenüber einer allgemeinen Informationsbefugnis. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 08/2019 Referendarteil: Öffentliches Recht 433 Als informatorische Generalklausel ermächtigt § 16 Abs. 1 BVerfSchG - in den Grenzen der Verhältnismäßigkeit - zu jeder Art von Informationshandeln, soweit die tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen. Auch aus der allgemeinen Informationspflicht ergibt sich eine allgemeine Informationsbefugnis. Somit entsprechen sich beide Rechtsinstitute auf der Rechtsfolgenseite. Wollte man nun ein Nebeneinander dieser beiden anerkennen, wäre § 16 Abs. 1 BVerfSchG um seinen eigenständigen Anwendungsbereich gebracht, da die allgemeine Informationsbefugnis nicht die engen tatbestandlichen Grenzen des § 16 Abs. 1 BVerfSchG kennt. Somit kann § 16 Abs. 1 BVerfSchG sinnvollerweise nur als Einschränkung der allgemeinen Pflicht zu staatlichem Informationshandeln verstanden werden. Eine Ermächtigungsgrundlage ist für die streitgegenständlichen Äußerungen auch erforderlich. Führt das staatliche Informationshandeln nämlich - wie hier - zu Beeinträchtigungen, die einen Grundrechtseingriff darstellen oder ihm gleichkommen, bedürfen sie der Rechtfertigung durch eine gesetzliche Ermächtigung, Da bereits eine Ermächtigungsgrundlage fehlt, kann dahinstehen, ob die Äußerung des Bundesamtes verhältnismäßig war, wofür aber angesichts des im Vergleich zu einem Verdachtsfall geringeren Verdachtsgrad Einiges spricht. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu bereits im Hinblick auf eine Information der Öffentlichkeit über einen Verdachtsfall ausgeführt, dass die tatsächlichen Anhaltspunkte, die für eine verfassungsfeindliche Bestrebung sprechen, im Falle der Information der Öffentlichkeit hinreichend gewichtig sein müssen. [...] Die Antragstellerin hat auch eine hinreichende Wiederholungsgefahr glaubhaft gemacht. Der Anspruch auf zukünftige Unterlassung einer getätigten Äußerung setzt voraus, dass die konkrete Gefahr der Wiederholung droht. Dass weitere Eingriffe drohen, kann regelmäßig angenommen werden, wenn bereits eine Beeinträchtigung stattgefunden hat. Denn im Regelfall wird die Behörde ihre Maßnahmen für rechtmäßig halten und keinen Anlass sehen, von diesen Abstand zu nehmen. Vorliegend hat eine Beeinträchtigung durch die mehrfachen genannten Äußerungen des Bundesamts stattgefunden. Zudem hat das Bundesamt die Abgabe einer Unterlassungserklärung gegenüber der Antragstellerin abgelehnt und auch gegenüber dem Gericht erklärt, seine Vorgehensweise für rechtmäßig zu halten. Jura Intensiv Die Antragstellerin hat in Bezug auf den vorstehend bejahten Anordnungsanspruch auch einen Anordnungsgrund im Sinne von § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht. Es ist auf der Grundlage einer Interessenabwägung zu prüfen, ob es der Antragstellerin unter Berücksichtigung ihrer Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Gemessen daran ist die einstweilige Anordnung mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG erforderlich, um wesentliche Nachteile für die Antragstellerin abzuwenden. Es liegen auch die strengen Voraussetzungen jedenfalls hinsichtlich einer zeitlichen Vorwegnahme der Hauptsache vor, da die gerichtliche Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes notwendig ist. Die Erforderlichkeit einer Ermächtigungsgrundlage wäre sinnvoller bereits vor der Frage geprüft worden, welche Ermächtigungsgrundlage in Betracht kommt. BVerfG, Beschluss vom 24.5.2005, 1 BvR 1072/01, juris Rn 58 Obwohl es sich bei diesen Ausführungen nicht mehr um tragende Erwägungen handelt, hat das Gericht hierzu in der Originalentscheidung noch recht umfassend ausgeführt. Dies ist in der Praxis nicht unüblich, insbesondere wenn die Beteiligten hierzu umfassend vorgetragen haben und sie sich hierdurch gehört fühlen sollen. Wiederholungsgefahr BVerwG, Beschluss vom 11.11.2010, 7 B 54.10, juris Rn 14 Anordnungsgrund Darlegung der allgemeinen Grundsätze OVG Münster, Beschluss vom 17.10.2017, 4 B 786/17, juris Rn 42 Subsumtion des konkreten Sachverhalts. Weitere typische Formulierungen zur Einleitung der Subsumtion: „Hiernach...“, „Dies zu Grunde gelegt ...“, „Unter Anwendung dieser Maßstäbe ...“. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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