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RA Digital - 08/2019

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440 Strafrecht

440 Strafrecht RA 08/2019 er an, dass sie dabei mit seinem Fahrzeug jedenfalls in Berührung gekommen war. Trotzdem ging er nicht davon aus, dass sich T hierdurch tödlich verletzt haben könnte. Er erkannte jedoch, dass T in einer solchen Situation auf vielfältige Art (sofortiges Überfahren, Hängenbleiben an oder unter dem Fahrzeug und anschließende Weiterfahrt) zu Tode kommen könnte. M und H forderten ihn zum sofortigen Anhalten auf und warfen ihm vor, die Frau angefahren oder überfahren zu haben. A fuhr dennoch, ohne zu bremsen oder seine Fahrt zu verlangsamen, weiter durch den Kreisel. Die Anhalteaufforderungen und Schreie seiner Mitfahrer hielt er für Unfug. Danach beschleunigte er auf eine Geschwindigkeit von 40 bis 50 km/h. Als er eine Bewegung im Lenkrad bemerkte, hielt er an. Die gesamte von ihm ab der Anstoßstelle zurückgelegte Fahrstrecke belief sich auf etwa 400 Meter. T war nach dem Absturz von der Motorhaube unter das Fahrzeug geraten und die gesamte weitere Fahrstrecke über mitgeschleift worden. Sie erstickte infolge einer durch den Fahrzeugboden ausgelösten Brustkorbkompression. Strafbarkeit des A? [Anm.: §§ 211, 240 StGB sind nicht zu prüfen.] PRÜFUNGSSCHEMA: GEFÄHRLICHER EINGRIFF IN DEN STRASSEN- VERKEHR, § 315b I Nr. 3 StGB A. Tatbestand I. Tathandlung: Ähnlicher, ebenso gefährlicher Eingriff II. Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs III. Konkrete Gefahr für Leib oder Leben eines anderen oder für fremde Sachen von bedeutendem Wert IV. Zurechnungszusammenhang V. Vorsatz bzgl. I. – IV. B. Rechtswidrigkeit und Schuld LÖSUNG Jura Intensiv A. Strafbarkeit gem. § 212 I StGB z.N.d. T Durch das Anfahren der T und das Weiterfahren könnte A sich wegen Totschlags gem. § 212 I StGB zum Nachteil der T strafbar gemacht haben. I. Tatbestand 1. Tötung der T Durch das An- und Überfahren der T hat A ihr tödliche Verletzungen zugefügt. Er hat also die T getötet. 2. Vorsatz A müsste auch mit Tötungsvorsatz gehandelt haben. BGH, Urteil vom 01.03.2018, 4 StR 399/17, NJW 2018, 1621 „[16] aa) Bedingter Vorsatz und bewusste Fahrlässigkeit unterscheiden sich darin, dass der bewusst fahrlässig Handelnde mit der als möglich erkannten Folge nicht einverstanden ist und auf deren Ausbleiben vertraut, während der bedingt vor- Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 08/2019 Strafrecht 441 sätzlich handelnde Täter den Eintritt des schädlichen Erfolges um des erstrebten Zieles willen billigend in Kauf nimmt oder sich wenigstens mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet. Dabei kann schon eine Gleichgültigkeit gegenüber dem zwar nicht angestrebten, wohl aber hingenommenen Tod des Opfers die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes rechtfertigen. Dazu ist eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände erforderlich. [17] bb) Danach hätte sich das Landgericht auf der Grundlage einer zusammenfassenden Würdigung des Verhaltens des Angeklagten und der von ihm wahrgenommenen Tatumstände mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob ihm der als möglich erkannte Eintritt des Todes von T gleichgültig war. [18] Der Angeklagte hat das Geschehen durch ein bewusstes Anfahren des Nebenklägers und der später Getöteten T eingeleitet, wobei er schon an dieser Stelle in Kauf nahm, dass sich beide als Folge des Zusammenstoßes mit seinem Fahrzeug auch schwer verletzen könnten. Bereits zu diesem Zeitpunkt war er von seinen Mitfahrern dazu aufgefordert worden, jede weitere Eskalation zu unterlassen. Nachdem er T infolge des von ihm herbeigeführten Anstoßes aufgeladen hatte, fuhr er, ohne seine Fahrt zu verlangsamen, weiter und beschleunigte im Anschluss an ihren Absturz sein Fahrzeug zuletzt auf 40 bis 50 km/h. Mit dieser Geschwindigkeit setzte er seine Fahrt auch noch fort, obgleich er erkannt hatte, dass T beim Absturz mit seinem Fahrzeug in Berührung gekommen war und in einer solchen Situation auf vielfältige Art und Weise zu Tode kommen konnte. Unmittelbar nach dem Absturz des Tatopfers nahm er die Wippbewegung seines Fahrzeugs wahr, die auch aus Sicht des Angeklagten nicht durch einen Anstoß an den Bordstein erklärbar war. Zudem wurde er von seinen Mitfahrern weiterhin und mit zunehmender Intensität (Schreie) zum Anhalten aufgefordert, weil er die Frau angefahren oder überfahren habe. Dieses durch eine fortschreitende Risikoverschärfung einerseits und ein gleichbleibendes Ignorieren immer intensiver werdender Warnungen andererseits gekennzeichnete Verhalten hat die Strafkammer nicht in seiner Gesamtheit in den Blick genommen und bewertet. Dabei hätte insbesondere erörtert werden müssen, ob darin in der Gesamtschau eine Haltung zum Ausdruck gekommen ist, die durch eine Gleichgültigkeit gegenüber dem als möglich erkannten Tod der Geschädigten gekennzeichnet ist.“ Es ist also davon auszugehen, dass A – in dem Zeitpunkt als er mit T auf der Kühlerhaube weiterfuhr und diese schließlich auch überfuhr – deren Tod für möglich hielt und diesen auch billigend in Kauf nahm, weil ihm der Todeseintritt zumindest gleichgültig war. A hat somit mit Eventualvorsatz zur Tötung der T gehandelt. II. Rechtswidrigkeit und Schuld A handelte rechtswidrig und schuldhaft. III. Ergebnis A ist strafbar gem. § 212 I StGB. Jura Intensiv B. Strafbarkeit gem. §§ 212 I, 22, 23 I StGB z.N.d. K Durch das Anfahren könnte A sich auch wegen versuchten Totschlags gem. §§ 212 I, 22, 23 I StGB zum Nachteil des K strafbar gemacht haben. BGH; Urteil vom 11.10.2016, 1 StR 248/16, NStZ 2017, 25 BGH, Urteil vom 19.04.2016, 5 StR 498/15, NstZ-RR 2016, 204 © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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