Aufrufe
vor 3 Jahren

RA Digital - 08/2020

  • Text
  • Strafrecht
  • Entscheidung
  • Urteil
  • Stgb
  • Recht
  • Beschluss
  • Verlags
  • Inhaltsverzeichnis
  • Jura
  • Intensiv
Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

398 Zivilrecht

398 Zivilrecht RA 08/2020 die Rücksichtspflichten gem. § 241 II BGB, schützen hingegen den Bestand. Für sie bildet § 538 BGB eine Grenze. Hier liegt eine Bestandsverletzung und damit eine fristunabhängige Rücksichtspflichtverletzung vor. Das Gericht prüft die Schadensminderungspflicht innerhalb der zu beanspruchenden Schadenshöhe. Dies ist, weil die getätigten Aufwendungen als Schaden aufgrund einer Herausforderungslage gefordert werden, auch sinnvoll. Das hier zitierte Urteil des BGH vom 05.03.2014, VIII ZR 205/13 war im Juli 2015 Thema der Z-II-Klausur in der ersten juristischen Prüfung in Hessen und im Juni 2020 Ringklausur im Assessorexamen Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Die bloße Nichtrückgabe des Schlüssels rechtfertigt noch nicht das Austauschen der vollständigen Schließanlage. Anders liegt der Fall, wenn aus einem geparkten PKW beschriftete Schlüssel gestohlen werden, OLG Dresden, Urteil vom 20.08.2019, 4 U 665/19. Gründe, warum es in einer Millionenstadt wie München fernliegt, dass jemand das passende Haus zum aufgefundenen Schlüssel findet. Deshalb war der Austausch der gesamten Schließanlage überflüssig. III. Vertretenmüssen gem. §§ 280 I 2, 276 BGB Mit dem Verlust der Schlüssel verletzte B die im Verkehr objektiv erforderliche Sorgfalt. Folglich hat er die Pflichtverletzung gem. §§ 280 I, 276 BGB zu vertreten. IV. Kausaler, ersatzfähiger Schaden K hat aufgrund des Verlustes der Schlüssel die Schließanlage austauschen lassen. Fraglich ist, ob er sich zu diesen Kosten herausgefordert fühlen durfte. [28] Eine Schließanlage wird nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 05.03.2014 - VIII ZR 205/13) in ihrer Funktionalität durch den Verlust eines Schlüssels nicht in ihrer Sachsubstanz beeinträchtigt. Das rein abstrakte Gefährdungspotential eines Schlüsselverlusts stellt regelmäßig keinen erstattungsfähigen Vermögensschaden dar. Ob die durch den Verlust eines Schlüssels eintretende Missbrauchsgefahr sich zu einem Vermögensschaden verfestigt hat, ist im Einzelfall unter Einbeziehung der Verkehrsauffassung wertend zu beurteilen. Ein erstattungsfähiger Schaden entsteht erst dann, wenn sich der Geschädigte aus objektiver Sicht unter den konkret gegebenen Einzelfallumständen zur Beseitigung einer fortbestehenden Missbrauchsgefahr veranlasst sehen darf, die Schließanlage zu ersetzen und den Austausch tatsächlich vornimmt. Nach allgemeinen Grundsätzen ist der Kläger für das Entstehen und den Umfang des Schadens darlegungs- und beweisbelastet. Der BGH hat es insoweit ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht ausreichen lassen, dass der Mieter bei Beendigung des Mietverhältnisses einen Schlüssel, den er bei Beginn des Mietverhältnisses erhalten hat, aus letztlich ungeklärten Gründen nicht zurückgibt. [29] Bei der gebotenen wertenden Betrachtung der Umstände des Einzelfalls war vorliegend nur der Austausch des Wohnungstürschlosses der vom Beklagten angemieteten Wohnung zur Beseitigung einer Missbrauchsgefahr veranlasst. Der Kläger hat keine Umstände dargelegt, die es im hiesigen Einzelfall rechtfertigen, wegen des Schlüsselverlusts des Klägers die gesamte Schließanlage auszutauschen. [30] Bereits die Vorstellung, dass jemand einen aufgefundenen Schlüssel in einer Mehrfamilienhausgegend einer Großstadt dazu verwendet, von Tür zu Tür zu gehen und zu überprüfen, ob er an einer Hausund Wohnungstür zufällig passt, erscheint fernliegend. Wenn überhaupt, wird ein derartiges Verhalten eher nur jemand an den Tag liegen, der gerade keine Türen gewaltsam öffnen will. Ein derartiger Täter könnte vorliegend mit dem Schlüssel im sehr unwahrscheinlichen Fall, dass er Haus und Wohnung findet, zu der der Schlüssel passt, nur die Hauseingangstüre und die Wohnungstüre des Beklagten öffnen, denn die verlorenen Schlüssel schließen nicht auch die Wohnungstüren der anderen Hausbewohner. Auch einen etwaigen Zugang zu einer Tiefgarage ermöglichen sie nicht. Schließlich ist auch ein besonderer Anreiz, unerlaubt in den Hauseingangsbereich des streitgegenständlichen Hauses zu gelangen, nicht erkennbar. Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 08/2020 Zivilrecht 399 [31] Der Austausch des Wohnungstürschlosses konnte vorliegend durch den Einbau eines neuen, zur eingebauten Schließanlage Vitess 2000 von „ABUS“ passenden Schlosses erfolgen. [32] Schließanlagen werden gerichtskundig von den Herstellern als erweiterbare und nicht erweiterbare Schließanlagen angeboten. Bei einer erweiterbaren Schließanlage kann ein Wohnungsschloss durch ein anderes zur Schließanlage passendes Schloss ausgetauscht werden. Nicht erweiterbare Schließanlagen bieten diese Möglichkeit nicht. Will der Vermieter einer nicht erweiterbaren Schließanlage ein Wohnungstürschloss austauschen, hat er die Möglichkeit, ein Wohnungstürschloss einzubauen, das nicht zur Schließanlage passt - der entsprechende Mieter hat dann zwei verschiedene Schlüssel - oder die gesamte Schließanlage auszutauschen. [33] Die vom Kläger ausgetauschte Schließanlage Vitess 2000 ist allgemeinkundig (§ 291 ZPO) erweiterbar; auf die Internetseite des Herstellers „www.abus.com“ wird Bezug genommen. Der Kläger darf daher den Wohnungsschlosszylinder auf Kosten des Beklagten durch einen anderen zur Schließanlage passenden Zylinder ersetzen. Dadurch ist das Risiko gebannt, dass ein etwaiger Täter die Wohnung des Beklagten oder eventueller Nachnutzer öffnen kann. Damit durfte sich K nicht zum Austausch der gesamten Schließanlage herausgefordert fühlen. Vielmehr hat K bereits Schadensersatz für den Austausch des Wohnungsschlosszylinders und der Ersatzschlüssel erhalten. D. Ergebnis K hat keine weiteren Ansprüche gegen B auf Schadensersatz wegen der von ihm aufgewendeten Kosten beim Austausch der Schließanlage. FAZIT Verliert der Mieter einen Wohnungsschlüssel, liegt keine Substanzverletzung der Schließanlage vor. Das abstrakte Gefährdungspotential stellt keinen Vermögensschaden dar. Ob eine Verfestigung zu einem Vermögensschaden vorliegt, muss anhand der konkreten Missbrauchsgefahr unter Heranziehung der Umstände des Einzelfalles ermittelt werden. Im Falle einer erweiterbaren Schließanlage genügt in der Regel der Austausch des betroffenen Wohnungsschlosszylinders. Jura Intensiv Unterschied zwischen erweiterbaren und nicht erweiterbaren Schließanlagen Hinweis für Referendare: Das Gericht sieht es als eine offenkundige Tatsache an, dass es sich die Information durch eine Internetrecherche verschaffen kann. Allgemeinkundig ist eine Tatsache, die einer beliebig großen Anzahl von Menschen privat bekannt ist oder ohne weiteres zuverlässig wahrnehmbar ist. Die Kenntnis darf sich das Gericht ohne Beteiligung der Parteien durch private Beobachtung verschaffen, Informationsquelle kann das Internet sein, Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 291 Rn 1. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

RA - Digital

Rspr. des Monats