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RA Digital - 08/2020

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400 Zivilrecht

400 Zivilrecht RA 08/2020 LEITSATZ 1. Der Verkäufer eines Tieres hat, sofern eine anderslautende Beschaffenheitsvereinbarung nicht getroffen wird, (lediglich) dafür einzustehen, dass es bei Gefahrübergang nicht krank ist und sich auch nicht in einem (ebenfalls vertragswidrigen) Zustand befindet, aufgrund dessen bereits die Sicherheit oder zumindest die hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass es alsbald erkranken wird und infolgedessen für die gewöhnliche (oder die vertraglich vorausgesetzte) Verwendung nicht mehr einsetzbar wäre (Bestätigung von BGH, Urteile vom 18. Oktober 2017 - VIII ZR 32/16, NJW 2018, 150 Rn 26; vom 30. Oktober 2019 - VIII ZR 69/18, NJW 2020, 389 Rn 25; jeweils mwN). (Rn 25) 2. Demgemäß wird die Eignung eines klinisch unauffälligen Pferdes für die gewöhnliche oder die vertraglich vorausgesetzte Verwendung als Reitpferd nicht schon dadurch beeinträchtigt, dass aufgrund von Abweichungen von der „physiologischen Norm“ eine (lediglich) geringe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass es zukünftig klinische Symptome entwickeln wird, die seiner Verwendung als Reitpferd entgegenstehen (Bestätigung von BGH, Urteile vom 7. Februar 2007 - VIII ZR 266/06, NJW 2007, 1351 Rn 14; vom 18. Oktober 2017 - VIII ZR 32/16, aaO Rn 24 und vom 30. Oktober 2019 - VIII ZR 69/18, aaO Rn 26). (Rn 26) 3. Diese Grundsätze gelten nicht nur für physiologische Abweichungen vom Idealzustand, sondern auch für ein vom Idealzustand abweichendes Verhalten, wie etwa sogenannte „Rittigkeitsprobleme“, wenn das Pferd nicht oder nicht optimal mit dem Reiter harmoniert und Widersetzlichkeiten zeigt. (Rn 28) 4. Entspricht die „Rittigkeit“ eines Pferdes nicht den Vorstellungen des Reiters, realisiert sich für den Käufer - wenn nicht klinische Auswirkungen hinzukommen - daher grundsätzlich lediglich der Umstand, dass es sich bei dem erworbenen Pferd um ein Lebewesen handelt, das - anders als Sachen - mit individuellen Anlagen ausgestattet und dementsprechend mit sich daraus ergebenden unterschiedlichen Risiken behaftet ist. (Rn 41) Problem: Rittigkeitsprobleme als Tiermangel Einordnung: Kaufrecht BGH, Urteil vom 27.05.2020 VIII ZR 315/18 EINLEITUNG Es gehört zu den auffälligen und gleichwohl erheiternden Aspekten des Privatrechts, dass der BGH seit Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes am 01.01.2002 die Mangelbegriffe des Kaufrechts anhand der Tiermängel richterlich fortentwickelt. Neben Katern und Hamstern spielten Pferde von Anfang an eine Hauptrolle. Die Redaktion der RA bereitet für ihre Leser solche Urteile sowohl mit einem Lächeln als auch mit begründeter Voraussicht auf, denn die Präferenzen der Verantwortlichen in den Prüfungsämtern offenbaren sich in den Prüfungskampagnen beider juristischer Prüfungen. Über das Vorliegen eines Tiermangels bei Abweichen von der physiologischen Norm berichteten wir in RA 2018, 1 ff. sowie in RA 2007, 195 ff. Auf diese Urteile nimmt der BGH in der vorliegenden Entscheidung Bezug. Die Examensrelevanz ist hoch. SACHVERHALT K ist Verbraucherin. Vom Unternehmer B erwarb sie im Oktober 2013 den fünf Jahre alten Wallach „Santiano” für 31.733,19 € zur Nutzung als Sportpferd. In der Folgezeit bildete die Tochter der K, T, die als Pferdewirtin und -ausbilderin tätig ist, das Pferd, welches bereits erfolgreich an Turnieren teilgenommen hatte, weiter aus, um es auf den Leistungsstand der Klasse L zu bringen. Im Mai 2014 nahm T mit dem Pferd an einer Dressurprüfung dieser Klasse teil. Mit Anwaltsschreiben vom 12.12.2014 focht die Klägerin den Kaufvertrag unter Berufung auf arglistige Täuschung an. Sie berief sich auf „gravierende Rittigkeitsprobleme”, insbesondere habe das Pferd „die Widersetzlichkeiten des Blockens beziehungsweise Blockierens” gezeigt. Mit Anwaltsschreiben vom 16.03.2015 erklärte die Klägerin den Rücktritt vom Kaufvertrag. Sie behauptet im Wesentlichen, die gezeigten „Rittigkeitsmängel” beruhten auf verengten Dornfortsätzen der Wirbelsäule (Kissing Spines). Es steht fest, dass das Pferd ein Kissing Spines-Syndrom aufweist, jedoch klinisch unauffällig ist. K verlangt die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Pferdes. Zu Recht? Jura Intensiv LÖSUNG A. Anspruch der K gegen B auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückübereignung und Rückgabe des Pferdes aus einem Rückgewährschuldverhältnis gem. §§ 90a, 437 Nr. 2, 323 I Alt. 2, 346 I BGB K könnte gegen B einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückübereignung und Rückgabe des Pferdes aus einem Rückgewährschuldverhältnis gem. §§ 90a, 437 Nr. 2, 323 I Alt. 2, 346 I BGB haben. Dies erfordert neben einer Rücktrittserklärung gem. § 349 BGB ein Rücktrittsrecht im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung. I. Rücktrittserklärung gem. § 349 BGB Am 16.03.2015 trat K ausdrücklich vom Kaufvertrag zurück. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 08/2020 Zivilrecht 401 II. Rücktrittsrecht gem. §§ 437 Nr. 2, 323 I Alt. 2 BGB K muss zur Zeit der Rücktrittserklärung ein Rücktrittsrecht gehabt haben. Ein solches kommt wegen eines Tiermangels gem. §§ 90a, 437 Nr. 2, 323 I Alt. 2 BGB in Betracht. 1. Kaufvertrag gem. § 433 BGB Dies setzt einen Kaufvertrag voraus. Ein solcher wurde zwischen K und B zunächst geschlossen. Allerdings erklärte K am 12.12.2014 die Anfechtung des Vertrages. Allerdings muss dafür ein Anfechtungsgrund vorgelegen haben. Gründe, welche die Annahme einer arglistigen Täuschung i. S. d. § 123 I Alt. 1 BGB rechtfertigen, hat K nicht dargelegt. Nach Gefahrübergang kann der Käufer seine Anfechtung nicht mehr auf den Eigenschaftsirrtum nach § 119 II Alt. 2 BGB stützen, weil ansonsten ein Unterlaufen der kurzen Verjährungsfrist des § 438 I Nr. 3 BGB droht. Zur Zeit der Anfechtungserklärung hatte B der K das Pferd bereits übergeben, war die Gefahr mithin gem. § 446 S. 1 BGB übergegangen. 2. Mangel zur Zeit des Gefahrübergangs gem. §§ 90a, 434 BGB Zur Zeit des durch die Übergabe erfolgten Gefahrübergangs muss das Pferd einen Mangel aufgewiesen haben. Gem. § 90a BGB finden die Vorschriften des Sachmangels gem. § 434 BGB Anwendung. Dabei ist allerdings stets zu berücksichtigen, dass ein Tier ein Lebewesen ist und als lebender Organismus nicht stets denselben Betrachtungen unterliegen kann wie eine hergestellte Sache. a) Fehlen einer vereinbarten Beschaffenheit gem. §§ 90a, 434 I 1 BGB Die Parteien haben keine Abrede über das Nichtvorliegen eines Kissing Spines-Syndrom getroffen. Jedoch könnten die dargestellten Rittigkeitsprobleme einen Mangel des Tieres gem. §§ 90a, 434 I 1 BGB begründen. Unter Beschaffenheiten i.S.d. § 434 I 1 BGB versteht man Eigenschaften und sonstige Merkmale der Sache, bzw. des Tieres, die für Wert und Tauglichkeit erheblich sind. Darunter kann man bei einem zum Reiten bestimmten Pferd die besondere Tauglichkeit für Reitanfänger subsumieren. Allerdings muss eine solche Beschaffenheit vereinbart sein, woran es hier fehlt. Ein Mangel gem. §§ 90a, 434 I 1 BGB ist folglich nicht gegeben. Jura Intensiv b) Mangel gem. §§ 90a, 434 I 2 Nr. 2 BGB Ein Mangel gem. § 434 I 2 Nr. 2 BGB setzt voraus, dass sich die gelieferte Sache nicht zur gewöhnlichen Verwendung eignet, bzw. ihr eine Beschaffenheit fehlt, die bei Sachen der gleichen Art üblich sind und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. aa) Vorliegen des Kissing Spines-Befundes Zu prüfen ist, ob das Vorliegen des Kissing Spines-Befundes einen Mangel i. S. d. §§ 90a, 434 I 2 Nr. 2 BGB darstellt. [30] Unter “Kissing Spines” ist eine Berührung - oder gar Annäherung - von Dornfortsätzen der Wirbelsäule zu verstehen. Wie der Senat bereits entschieden hat, ist ein nicht mit Krankheitserscheinungen verbundener Kissing Spines-Befund, der von einem (pathologischen) Kissing Spines-Syndrom zu unterscheiden ist, grundsätzlich nicht vertragswidrig, sofern nicht bereits die Sicherheit oder zumindest die hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass das Pferd aufgrund der 5. Nach dieser Maßgabe sind „Rittigkeitsprobleme“ durch von einem Reitpferd gezeigte Widersetzlichkeiten auch bei Vorliegen eines nicht mit Krankheitssymptomen verbundenen Kissing Spines- Befundes - in Ermangelung einer anderslautenden Beschaffenheitsvereinbarung oder eines besonderen Vertragszwecks - kein Sachmangel im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 2 BGB. (Rn 55) 6. Da die Rücktrittsvoraussetzungen im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung erfüllt sein müssen, muss auch zu diesem Zeitpunkt ein bei Gefahrübergang gegebener Sachmangel fortbestehen (Bestätigung von BGH, Urteil vom 30. Oktober 2019 - VIII ZR 69/18, aaO Rn 35). (Rn 43) 7a. Die - die Frage des Vorliegens eines Sachmangels bei Gefahrübergang betreffende - Beweislastumkehr zugunsten des Verbrauchers tritt nach Maßgabe des § 476 BGB aF bereits dann ein, wenn diesem der Nachweis gelingt, dass sich innerhalb von sechs Monaten ab Gefahrübergang ein mangelhafter Zustand (eine Mangelerscheinung) gezeigt hat, der - unterstellt, er hätte seine Ursache in einem dem Verkäufer zuzurechnenden Umstand - dessen Haftung wegen Abweichung von der geschuldeten Beschaffenheit begründen würde (Bestätigung von BGH, Urteil vom 12. Oktober 2016 - VIII ZR 103/15, BGHZ 212, 224 Rn 36). (Rn 54) 7b. „Rittigkeitsprobleme“ durch von einem Reitpferd gezeigte Widersetzlichkeiten sind keine Mangelerscheinung, so dass sie die Vermutungswirkung des § 476 BGB aF nicht auslösen, denn insoweit handelt es sich - in Ermangelung einer anderslautenden Beschaffenheitsvereinbarung oder eines besonderen Vertragszwecks - nicht um eine Abweichung von der geschuldeten Beschaffenheit im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 2 BGB, sondern um ein natürliches Risiko. (Rn 55) Zum Kissing Spines-Syndrom: Rosbach/Weiß/Meyer, Pferderecht, 2. Aufl., Kap. 8 Rn 30; Düsing/Martinez/Bemmann, Agrarrecht, 2016, § 434 BGB Rn 42) © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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