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RA Digital - 08/2020

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402 Zivilrecht

402 Zivilrecht RA 08/2020 Ein Kissing Spines-Befund ist nur ein Tiermangel, wenn er sich durch eine klinische Auffälligkeit zeigt oder wenn die hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass das Pferd aufgrund der Veränderungen der Dornfortsätze alsbald erkranken wird. So war es hier nicht. Rittigkeitsprobleme als Sachmangel Typische klinische Erscheinungen Rittigkeitsprobleme sind nicht zwingend eine klinische Erscheinung eines Kissing Spines-Befunds Keine Feststellung eines Schmerzgeschehens im vorliegenden Fall Klarstellung der ständigen Rspr.: Bloße Widersetzlichkeiten sind keine klinischen Erscheinungen des Kissing Spines-Syndroms, RA 2018, 1 ff. sowie RA 2007, 195 ff. Schmerzen, Lahmheit oder pathologisch eingeschränkte Beweglichkeit müssen hinzukommen. Gemeint ist das Urteil des BGH vom 27.05.2020, VIII ZR 2/19, das die Rittigkeitsmängel noch stärker in den Fokus rückt. Wer schon mal ein Haustier hatte, weiß: Ein Tier ist empfindsam und ist zur Antipathie genauso fähig wie zur Sympathie. Möglicherweise mochte Santiano weder K noch T. Abgewiesen zu werden gehört zum Leben – bei Menschen wusste man es bereits. Veränderungen der Dornfortsätze der Wirbelsäule alsbald erkranken wird (…) und es infolgedessen für die vertraglich vorausgesetzte (oder die gewöhnliche) Verwendung nicht mehr einsetzbar wäre. Diese Voraussetzungen sind nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht gegeben. bb) Rittigkeitsprobleme als Mangel gem. §§ 90a, 434 I 2 Nr. 2 BGB Zu prüfen ist, ob die dargelegten Rittigkeitsprobleme einen Mangel im Sinne des §§ 90a, 434 I 2 Nr. 2 BGB begründen. Dies wäre der Fall, wenn feststünde, dass das Blocken, bzw. das Blockieren des Pferdes eine klinische Erscheinung des Röntgenbefundes sei. [39] Klinische Erscheinungen eines Kissing Spines-Befunds können etwa Lahmheit, krankhafte Störungen des Bewegungsapparats oder offensichtliche Schmerzen sein. Zwar können “Rittigkeitsdefizite” eines Pferds unter Umständen - mittelbar - auf einem Engstand der Dornfortsätze beruhen, weil Veränderungen der Dornfortsätze - wie der Sachverständige ausgeführt hat - eine mögliche Ursache von Rückenschmerzen sein können. Ein Schmerzgeschehen ist hier jedoch nicht in Erscheinung getreten, denn eine krankhafte (Rücken-) Symptomatik, wie etwa (Druck-)Schmerzempfindlichkeit, hat das Berufungsgericht gerade nicht festgestellt. Den bisher vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen ist bereits nicht zu entnehmen, dass die Klägerin dahingehende Symptome überhaupt dargelegt hat. Daher stehen im gegebenen Fall bloße Widersetzlichkeiten beim Reiten in Rede, bei denen es sich - wie ausgeführt - nicht um klinische Erscheinungen von Kissing Spines handelt. Soweit einzelne Passagen in den Senatsurteilen vom 7. Februar 2007 (VIII ZR 266/06, aaO Rn. 13) und vom 18. Oktober 2018 - VIII ZR 32/16, aaO Rn. 29) anders verstanden werden könnten, hält der Senat hieran nicht fest; vielmehr bedarf es der Feststellung krankhafter Beeinträchtigungen wie etwa Schmerzen, Lahmheit oder einer pathologisch eingeschränkten Beweglichkeit. [40] Bloße Widersetzlichkeiten (“Rittigkeitsmängel”) stellen - ohne besondere Beschaffenheitsvereinbarung oder besondere Vertragszwecke, wie etwa ein Verkauf als “Anfängerpferd” - regelmäßig keine gewährleistungspflichtige Abweichung von der Sollbeschaffenheit eines Reitpferds dar. So können bestimmte Formen der Widersetzlichkeit lediglich Ausdruck des natürlichen Verhaltensmusters des Pferds als Fluchttier sein (vgl. Senatsurteil vom heutigen Tag - VIII ZR 2/19, zur Veröffentlichung bestimmt, unter II 1 b bb (3) (b) [zum Durchgehen eines Reitpferds]). Sie können aber auch, wie es im gegebenen Fall in Betracht kommt, auf unzureichender Verständigung zwischen Reiter und Pferd beruhen. Zwar hat das Berufungsgericht reiterliche Fehler, wie etwa eine Überforderung des Pferds durch die Ausbildung bei der Zeugin K. ausgeschlossen. Folgt ein Pferd dem Reiter nicht, sondern widersetzt sich ihm, kann jedoch - auch bei qualifizierten Reitern - nicht ausgeschlossen werden, dass dies weder auf klinischen Symptomen des Pferdes noch dem Reitstil oder der sonstigen Handhabung des Pferdes durch den Reiter beruht, sondern auf einem natürlichen Risiko, etwa - wie der Sachverständige ausgeführt hat - auf einer “Disharmonie” beziehungsweise einer unzureichenden Verständigung zwischen Pferd und Reiter. Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 08/2020 Zivilrecht 403 [41] Entspricht die “Rittigkeit” eines Pferdes nicht den Vorstellungen des Reiters, realisiert sich für den Käufer daher - wenn nicht klinische Auswirkungen hinzukommen - grundsätzlich lediglich der Umstand, dass es sich bei dem erworbenen Pferd um ein Lebewesen handelt, das - anders als Sachen - mit individuellen Anlagen ausgestattet und dementsprechend mit sich daraus ergebenden unterschiedlichen Risiken behaftet ist. (…) Der Käufer eines lebenden Tiers kann redlicherweise nicht erwarten, dass er - auch ohne besondere (Beschaffenheits-)Vereinbarung - ein Tier mit “idealen” Anlagen erhält, mit dem er gänzlich unproblematischen Umgang pflegen und von ihm etwa erhoffte (rasche) Ausbildungsfortschritte und Wettkampferfolge tatsächlich erzielen kann. Dies wird - aus tiermedizinischer Sicht - auch anhand des Röntgen-Leitfadens 2018 deutlich, in dem es unter anderem heißt: “Der Kauf des Lebewesens Pferd wird jedoch weiterhin […] ein nicht mit anderen ‘Handelsgütern’ vergleichbares Risiko beinhalten […]”. cc) Mangelvermutung gem. § 477 BGB Fraglich ist, ob K die Mangelvermutung gem. § 477 BGB zugute kommt. Hierzu muss zunächst ein Verbrauchsgüterkauf gem. § 474 BGB vorliegen. Gem. § 90a S. 3 BGB wird das Tier wie eine bewegliche Sache behandelt. Ferner ist die Käuferin Verbraucher gem. § 13 BGB und die Verkäuferin Unternehmer gem. § 14 BGB. Folglich liegt ein Verbrauchsgüterkauf gem. § 474 BGB vor. Ferner muss zur Vermutung, dass ein Mangel vorliegt und dieser bei Gefahrübergang vorhanden sein, der Käufer zumindest eine so genannte Mangelerscheinung dargelegt haben. Eine Mangelerscheinung ist ein vom Käufer darzulegender akut vertragswidriger Zustand. Fraglich ist, ob dies K gelungen ist. Fest steht nur, dass das Pferd bereits am 05.10.2013 einen anlagebedingten Kissing Spines-Befund aufgewiesen hat, nämlich Veränderungen zwischen den Dornfortsätzen der Brustwirbelsäule. [47] Das Berufungsgericht hat jedoch nicht festgestellt, dass der Engstand der Dornfortsätze, der für sich gesehen nicht pathologisch ist, Ursache der (vermeintlichen) Mangelerscheinung war. Das Berufungsgericht hat vielmehr gemeint, dahingehend bedürfe es einer Entscheidung nicht, weil im Streitfall die Vermutungswirkung des § 476 BGB aF zur Anwendung komme. Dies trifft indes nicht zu. (…) [53] (…) hat das Berufungsgericht verkannt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 476 BGB aF nicht erfüllt sind. Die Beweislastumkehr zugunsten des Klägers setzt voraus, dass sich innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang eine Mangelerscheinung des erworbenen Pferds zeigt. Eine solche ist hier jedoch nicht zu Tage getreten. [55] Nach dieser Maßgabe kommt die Vermutungswirkung des § 476 BGB aF im Streitfall jedoch nicht zum Tragen, weil „Rittigkeitsprobleme“ durch Widersetzlichkeiten eines Reitpferds keine Mangelerscheinung sind. Wie ausgeführt, handelt es sich nicht um eine Abweichung von der Sollbeschaffenheit eines Reitpferds, sondern um ein natürliches Risiko. „Rittigkeitsprobleme“ des Reiters mit seinem Pferd sind daher nicht gleichzusetzen mit Mangelerscheinungen unbelebter Gegenstände, wie etwa Getriebefehlern eines Fahrzeugs oder - wie im Fall der durch den Senat umgesetzten Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union - einem Fahrzeugbrand. Jura Intensiv Ein Tier ist kein Industrieprodukt. Ideale Anlagen sind nicht zu erwarten. GPM-Fachinformation, Röntgen-Leitfaden 2018, S. 14; siehe auch Stadler/ Bemmann/Schüle, RdL 2018, S. 120) Nach der „Faber-Entscheidung“ des EuGH, RA 2015, 355, musste der BGH seine Rechtsprechung zum Vortrag eines „Grundmangels“ ändern. Seit RA 2017, 1 ff. gilt, dass die Beweislastumkehr zugunsten des Käufers schon dann greift, wenn diesem der Nachweis gelingt, dass sich innerhalb von sechs Monaten ab Gefahrübergang eine Mangelerscheinung gezeigt hat. Mit § 476 BGB aF ist § 477 BGB gemeint. Der BGH rügt, dass das Berufungsgericht die Vermutungswirkung angenommen hat, ohne den hinreichenden Vortrag einer Mangelerscheinung zu prüfen. § 477 BGB entbindet K nicht vom stichhaltigen Vortrag einer Mangelerscheinung. Rittigkeitsprobleme allein sind noch keine Mangelerscheinung. Rittigkeitsprobleme sind ein natürliches Risiko, so auch BGH, Urteil vom 27.05.2020, VIII ZR 2/19. Sie sind nicht gleichzusetzen mit Mangelerscheinungen unbelebter Gegenstände. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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