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RA Digital - 08/2020

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426 Öffentliches Recht

426 Öffentliches Recht RA 08/2020 Kriterium: Form der Äußerung • Sofortige oder geplante Äußerung? • Berufliche Stellung, Bildung, Erfahrung des Äußernden • Nachvollziehbarer Anlass für die Äußerung? „Kampf um das Recht“? Kriterium: Verbreitung und Wirkung der Äußerung • Kleiner oder großer Adressatenkreis? • Mündliche oder schriftliche Äußerung? • Wiederholende, anprangernde Äußerung? • Nutzung von Bildnissen des Betroffenen? • Verwendung eines öffentlich zugänglichen Mediums? Anwendung der Kriterien im konkreten Fall [33] Mit Blick auf Form und Begleitumstände einer Äußerung kann nach den Umständen des Falles insbesondere erheblich sein, ob sie ad hoc in einer hitzigen Situation oder im Gegenteil mit längerem Vorbedacht gefallen ist. […] Abwägungsrelevant kann […] auch sein, ob Äußernden aufgrund ihrer beruflichen Stellung, Bildung und Erfahrung zuzumuten ist, auch in besonderen Situationen – beispielsweise gerichtlichen und behördlichen Verfahren – die äußerungsrechtlichen Grenzen zu kennen und zu wahren. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls erheblich, ob und inwieweit für die betreffende Äußerung ein konkreter und nachvollziehbarer Anlass bestand oder ob sie aus nichtigen oder vorgeschobenen Gründen getätigt wurde. Hierbei ist auch der Gesichtspunkt des sogenannten „Kampfs um das Recht“ zu berücksichtigen. Danach ist es im Kontext rechtlicher Auseinandersetzungen grundsätzlich erlaubt, auch besonders starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, um Rechtspositionen und Anliegen zu unterstreichen. [34] Ebenfalls bei der Abwägung in Rechnung zu stellen ist die konkrete Verbreitung und Wirkung einer Äußerung. […] Erhält nur ein kleiner Kreis von Personen von einer ehrbeeinträchtigenden Äußerung Kenntnis oder handelt es sich um eine nicht schriftlich oder anderweitig perpetuierte Äußerung, ist die damit verbundene Beeinträchtigung der persönlichen Ehre geringfügiger und flüchtiger als im gegenteiligen Fall. Demgegenüber ist die beeinträchtigende Wirkung einer Äußerung beispielsweise gesteigert, wenn sie in wiederholender und anprangernder Weise, etwa unter Nutzung von Bildnissen der Betroffenen, oder besonders sichtbar in einem der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglichen Medium getätigt wird. […].“ Unter Zugrundelegung dieser Kriterien ist zu konstatieren, dass die Strafgerichte in nachvollziehbarer Weise auf die wiederkehrende, besonders hartnäckige und durch die Namensnennung, den anklagenden Duktus und die Untermalung durch Bilder anprangernde Form der Äußerungen abgestellt haben, ferner darauf, dass es sich um Äußerungen handelt, die die berufliche Integrität der betroffenen Richter grundsätzlich infrage stellen und gegenüber einer unbestimmten Vielzahl von Personen in einem der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglichen Internetblog verbreitet wurden. Die persönliche Kränkung des B überlagert weitgehend sein sachliches Anliegen, seinen „Kampf um das Recht“. Daher haben die Strafgerichte zu Recht dem Ehrschutz der Betroffenen den Vorrang gegeben, sodass der Eingriff in Art. 5 I 1 1. Hs. GG gerechtfertigt ist. Die strafgerichtliche Verurteilung verletzt demnach nicht die Meinungsfreiheit des B. Jura Intensiv Z.B. NRW und Berlin, 1. Examen, Termin April 2018, 2. Klausur FAZIT Die Entscheidung spricht ein Problem an, das immer wieder Gegenstand von Examensklausuren ist, die Strafbarkeit von Äußerungen unter Berücksichtigung der Wertungen des Art. 5 I 1 1. Hs. GG. Stets kommt es bei diesen Klausuren darauf an, den Inhalt der Äußerung ganz genau zu ermitteln – was der Beschluss des BVerfG exemplarisch verdeutlicht. Merken sollte man sich vor allem die Konkretisierung der Begriffe „Schmähkritik, Formalbeleidigung, Verletzung der Menschenwürde“ sowie die zentralen Abwägungskriterien (Inhalt, Form, Anlass und Wirkung der betreffenden Äußerung, Person und Anzahl der Äußernden, der Betroffenen und der Rezipienten). Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 08/2020 Öffentliches Recht 427 Problem: Corona-Pandemie: Datenerhebung von Kunden Einordnung: Grundrechte/Staatsorganisationsrecht OVG Münster, Beschluss vom 23.06.2020 13 B 695/20.NE EINLEITUNG Wieder geht es um die Corona-Pandemie, das aktuelle - auch juristische - „Megathema“. Nachdem in den vorangegangenen Ausgaben der „RA“ die Art. 3, 8, 12 GG im Mittelpunkt standen, geht es diesmal um die Wesentlichkeitstheorie, das Zitiergebot und das Allgemeine Persönlichkeitsrecht. SACHVERHALT Die Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 NRW (CoronaSchVO) sieht zur Rückverfolgbarkeit möglicher Infektionsketten für bestimmte Wirtschaftsbereiche die papiergebundene Erfassung der Kundenkontaktdaten (Name, Adresse, Telefonnummer, Zeitraum des Aufenthalts bzw. Zeitpunkt von An- und Abreise) vor. Die Kontaktdaten sind vier Wochen aufzubewahren und danach zu vernichten. Gegen die Regelungen zur Kontaktdatenangabe in Restaurants, Fitnessstudios und Friseursalons wendet sich Rechtsanwalt R und macht geltend, die Datenerhebung verletze ihn in seinem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I 1 GG). Es fehle bereits an einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Verordnungsermächtigung, da die maßgeblichen Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes der sog. Wesentlichkeitstheorie nicht genügen würden. Weiterhin sei das in Art. 19 I 2 GG verankerte Zitiergebot verletzt. Den angegriffenen Vorschriften der CoronaSchVO lägen des Weiteren fehlerhafte Einschätzungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) zugrunde. Es habe zu keinem Zeitpunkt einen exponentiellen Anstieg der Neuinfektionen gegeben. Die vom RKI angenommenen Steigerungsraten beruhten vielmehr auf der Zunahme der Testkapazitäten und punktuellen Ausbruchsgeschehen. Zudem sei die Gefahr der Infektionsübertragung in der häuslichen Umgebung höher als bei Alltagskontakten. Auch eine Überlastung des Gesundheitssystems sei nicht erkennbar. Im Übrigen gebe eine Vielzahl von Personen keine korrekten Daten an, sodass eine Personenidentifizierung nicht möglich sei. Schließlich fehle den Gesundheitsämtern die personelle Ausstattung, sie könnten bei einem Ausbruchsgeschehen die bezweckte Personennachverfolgung also gar nicht gewährleisten. Sind die angegriffenen Bestimmungen rechtmäßig? Jura Intensiv LÖSUNG Die streitgegenständlichen Bestimmungen der CoronaV sind rechtmäßig, wenn sie auf einer wirksamen Rechtsgrundlage beruhen, die formell und materiell rechtmäßig angewendet wurde. I. Rechtsgrundlage für die CoronaSchVO Rechtsgrundlage für die streitgegenständlichen Bestimmungen der CoronaSchVO ist § 32 S. 1, 2 i.V.m. § 28 I 1 1. Hs. Infektionsschutzgesetz (IfSG) in der Fassung durch das „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ vom 27.3.2020. Fraglich ist jedoch, ob diese Normen den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen. R ist der Ansicht, sie genügten nicht der sog. Wesentlichkeitstheorie. LEITSATZ Die in der nordrhein-westfälischen Coronaschutzverordnung vorgesehene Datenerhebung zum Zweck der Kontaktpersonennachverfolgung im Bereich der Gastronomie, des Friseurhandwerks und der Fitnessstudios ist voraussichtlich rechtmäßig. Obersatz § 32 S. 1, 2 i.V.m. § 28 I 1 IfSG BGBl. 2020 I, S. 587 Problem: Verfassungsmäßigkeit der EGL Wesentlichkeitstheorie verletzt? © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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