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RA Digital - 08/2020

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428 Öffentliches Recht

428 Öffentliches Recht RA 08/2020 Nein, zumindest momentan noch nicht Zentrales Argument: Dynamik des Infektionsgeschehens macht detailliertere Regelung in einem formellen Gesetz nahezu unmöglich Eingehend zur Vereinbarkeit von § 32 S. 1 i.V.m. § 28 I 1 1. Hs. IfSG mit der Wesentlichkeitstheorie: OVG Münster, Beschluss vom 6.4.2020, 13 B 398/20.NE, juris Rn 37 ff.; vgl. auch VGH München, Beschluss vom 30.3.2020, 20 NE 20.632, Rn 41 ff., RA 2020, 253, 254; kritisch VGH Mannheim, Beschluss vom 9.4.2020, 1 S 925/20, juris Rn 37 ff. Verstoß gegen Art. 19 I 2 GG? Nein, da das Zitiergebot beim APR gar nicht greift Beachte: Das Zitiergebot greift nach h.M. nur bei den Grundrechten, die aufgrund ihres Wortlauts einschränkbar sind wie z.B. Art. 8 II, 11 II GG (Schildheuer, JURA INTENSIV, Grundrechte, Rn 149 f.). Unproblematisch „[…] Selbst wenn für den parlamentarischen Gesetzgeber wegen der Auswirkungen auf das [..] Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG eine Verpflichtung bestünde, die Vorschriften über die Schutzmaßnahmen im Hinblick auf die Erhebung von Kundenkontaktdaten und Aufenthaltszeiträume auf Tatbestandsund/oder Rechtsfolgenseite zu konkretisieren, führte dies aktuell (noch) nicht dazu, dass der Verordnungsgeber nicht auf die Generalklausel in § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG zurückgreifen könnte. Zwar trifft es zu, dass der Bundesgesetzgeber das Infektionsschutzgesetz seit Beginn der Corona-Pandemie bereits mehrfach weiterentwickelt und präzisiert hat. Angesichts der Dynamik des Infektionsgeschehens, das sich zudem je nach Örtlichkeit wesentlich unterscheiden kann, sind dem Bundesgesetzgeber vorausschauend alle Konstellationen erfassende gesetzliche Regelungen aber kaum möglich. Auch der nordrheinwestfälische Verordnungsgeber hat die Schutzmaßnahmen in den letzten Wochen immer wieder an das aktuelle Infektionsgeschehen anpassen müssen und dabei eine Vielzahl unterschiedlicher Maßnahmen ergriffen. Zudem kann den Entwicklungen durchaus mit unterschiedlichen Maßnahmen begegnet werden, wie die im Einzelnen variierenden landesrechtlichen Regelungen zeigen. Angesichts dessen drängt sich dem Senat jedenfalls ein unmittelbar bestehender Handlungsbedarf des Bundesgesetzgebers nicht auf.“ Es könnte jedoch ein Verstoß gegen das Zitiergebot aus Art. 19 I 2 GG vorliegen. „[…] Zwar ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, in § 32 Satz 3 IfSG nicht als Grundrecht benannt, das durch Maßnahmen nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG eingeschränkt werden kann. Dies dürfte aber nicht zu beanstanden sein, weil das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wegen der dogmatischen Zuordnung zu Art. 2 Abs. 1 GG zu den Grundrechten gehört, die von vornherein nur unter dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet werden, sodass das Zitiergebot keine Anwendung findet.“ Jura Intensiv Demnach genügen § 32 S. 1, 2 i.V.m. § 28 I 1 1. Hs. IfSG den verfassungsrechtlichen Anforderungen und sind somit eine wirksame Rechtsgrundlage für die umstrittenen Bestimmungen der CoronaSchVO. II. Formelle Rechtmäßigkeit der CoronaSchVO In formeller Hinsicht bestehen keine Bedenken an der Rechtmäßigkeit der CoronaSchVO. III. Materielle Rechtmäßigkeit der CoronaSchVO Materiell sind die umstrittenen Vorschriften der CoronaSchVO rechtmäßig, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage erfüllt sind und der Verordnungsgeber das ihm auf der Rechtsfolgenseite eröffnete Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat. Unproblematisch 1. Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten Gem. § 28 I 1 IfSG muss eine übertragbare Krankheit aufgetreten sein, deren Verbreitung verhindert werden soll. Das ist hier der Fall. Die weltweite Ausbreitung von COVID-19 stellt eine Pandemie dar. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 08/2020 Öffentliches Recht 429 2. Schutzmaßnahmen Weiterhin muss der Verordnungsgeber Schutzmaßnahmen i.S.v. § 28 I 1 IfSG ergriffen haben. „Der Vorschrift liegt die Erwägung zugrunde, dass sich die Bandbreite der Schutzmaßnahmen, die bei Auftreten einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, nicht im Vorfeld bestimmen lässt. Der Gesetzgeber hat § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG daher als (offene) Generalklausel ausgestaltet. Der Begriff der Schutzmaßnahme ist folglich umfassend und eröffnet der Infektionsschutzbehörde bzw. über den Verweis in § 31 Satz 1 IfSG dem Verordnungsgeber ein möglichst breites Spektrum an geeigneten Maßnahmen, das durch die Notwendigkeit der Maßnahme im Einzelfall begrenzt wird. Schutzmaßnahmen im Sinne von § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG können danach auch die Verpflichtung zur Erhebung, Aufbewahrung und Weitergabe von Kundenkontaktdaten und Aufenthaltszeiträumen sein.“ 3. Rechtsfolge Auf der Rechtsfolgenseite eröffnet § 32 S. 1 IfSG dem Verordnungsgeber ein Ermessen. Dieses muss er rechtmäßig ausgeübt haben. a) Adressatenkreis Fraglich ist zunächst, wem gegenüber Schutzmaßnahmen ergriffen werden dürfen. „[…] Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG können aber auch die Allgemeinheit und (sonstige) Dritte („Nichtstörer“) Adressaten von Maßnahmen sein, wenn ein Tätigwerden allein gegenüber Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheidern eine effektive Gefahrenabwehr nicht gewährleistet, beispielsweise um sie vor Ansteckung zu schützen. So verhält es sich hier schon deshalb, weil aus tatsächlichen Gründen vielfach gar nicht klar ist, ob eine Person „Störer“ oder „Nichtstörer“ ist. Nach aktuellem Erkenntnisstand kann nämlich eine Übertragung des Virus durch eine infizierte Person schon bis zu drei Tage vor Symptombeginn oder auch bei einem asymptomatischen Verlauf der Erkrankung, den der Betroffene selbst gar nicht wahrgenommen hat, stattfinden. Es reicht mithin nicht aus, im Zusammenhang mit bevölkerungsbezogenen Maßnahmen, die darauf abzielen, infektionsrelevante soziale Kontakte zu unterbinden oder zumindest zu beschränken, allein „Störer“ in die Pflicht zu nehmen.“ Jura Intensiv b) Verhältnismäßigkeit Weiterhin müssen die umstrittenen Bestimmungen der CoronaSchVO dem Verhältnismäßigkeitsprinzip gerecht werden. Sie dienen dem legitimen Zweck, im Falle eines Infektionsnachweises mögliche Infektionsketten aufzudecken und zu unterbrechen. Zum Prüfungsaufbau: Es dürfte vertretbar sein, diesen Punkt erst im Rahmen der Rechtsfolge anzusprechen. Generalklausel Schutzmaßnahmen“ umfasst auch Erhebung von Kontaktdaten Gegen wen dürfen Schutzmaßnahmen ergriffen werden? Gegen alle • § 28 I 1 IfSG beinhaltet eine spezielle Störervorschrift • kein Rückgriff auf das allg. Polizeirecht Zum Prüfungsaufbau: Es dürfte vertretbar sein, diesen Punkt bereits im Rahmen des Tatbestands anzusprechen. Legitimer Zweck „Auch wenn sich das Infektionsgeschehen aufgrund der ergriffenen Maßnahmen in letzter Zeit verlangsamt hat und insbesondere die Anzahl der festgestellten Neuinfektionen rückläufig ist, besteht die Gefahr der Verbreitung der Infektion und daran anknüpfend einer © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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