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RA Digital - 08/2021

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406 Zivilrecht

406 Zivilrecht RA 08/2021 des Grundstücks und gehört damit gem. § 946 BGB dem Grundstückseigentümer. Folglich sind die K Eigentümer der Schwarzkiefer. II. Beeinträchtigung des Eigentums Ferner muss das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung beeinträchtigt sein. Vorliegend schneidet B Äste der Schwarzkiefer ab. Diese Einwirkung auf die Sachsubstanz ist weder Vorenthaltung noch Besitzentziehung, verletzt aber das Eigentum. Liegt der Fall so klar wie hier – B trennt Zweige ab – erübrigt sich ein Eingehen auf jeden Streit zum Störerbegriff. Die Voraussetzungen des Selbsthilferechts aus § 910 I BGB liegen vor. Fraglich ist allein der Ausschluss des Rechts e.A.: Das Selbsthilferecht aus § 910 I BGB hat Grenzen, wenn der Baum stirbt. OLG Saarbrücken, OLGR 2007, 927, 929; OLG Köln, SchAZtg 2011, 246, 250; LG Hamburg, ZMR 2016, 324, 326 Staudinger/Roth, BGB [2020], § 910 Rn 35 III. Störereigenschaft Der Anspruchsgegner muss Störer sein. Störer ist, wer die Möglichkeit hat, die Störung zu beenden. Der Fortbestand der Störung muss auf seinem Willen beruhen. Handlungsstörer ist, wer die Störung adäquat kausal veranlasst hat. Hier hat B die Äste des Baumes der K abgeschnitten und damit unmittelbar auf das Eigentum der K eingewirkt. Folglich ist B Störer. IV. Wiederholungsgefahr Macht der Anspruchssteller einen Anspruch aus § 1004 I 2 BGB auf Unterlassen einer Störung geltend, muss Wiederholungsgefahr bestehen. Nach vorangegangener Beeinträchtigung wird die Wiederholungsgefahr vermutet, wenn nicht der Störer die Wiederholungsgefahr widerlegt. Indem B diese nicht widerlegt hat, besteht Wiederholungsgefahr. V. Keine Duldungspflicht gem. § 1004 II BGB Der Anspruch aus § 1004 I 2 BGB ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer gem. § 1004 II BGB zur Duldung verpflichtet ist. Die K könnten gem. §§ 1004 II, 910 I BGB zur Duldung verpflichtet sein, wenn B das in § 910 I BGB normierte Selbsthilferecht zusteht. Hierfür spricht zum einen, dass Schwarzkiefernzweige vom Grundstück der K auf das Grundstück des B herüberragten und zum anderen, dass B den K erfolglos eine angemessene Frist zur Beseitigung gesetzt hatte. Folglich könnten die K wegen des Selbsthilferechts des B aus § 910 I BGB zur Duldung des Beschneidens des Baumes verpflichtet sein, was ihren Anspruch aus § 1004 I 2 BGB ausschlösse. Allein fraglich ist, ob das Selbsthilferecht des B als Eigentümer des von den Zweigen gestörten Grundstücks ausgeschlossen ist. Jura Intensiv 1. Ausschluss gem. § 910 II BGB Das Selbsthilferecht des B könnte gem. § 910 II BGB ausgeschlossen sein. [18] Nach verbreiteter Ansicht soll das Selbsthilferecht ausgeschlossen sein, wenn durch dessen Ausübung der Baum derart geschädigt wird, dass er seine Standfestigkeit verliert oder abzusterben droht. Dies wird unterschiedlich begründet. [19] Teilweise wird davon ausgegangen, dass es an einer Beeinträchtigung i.S.v. § 910 Abs. 2 BGB fehlt, wenn die Folgen, die die Beseitigung des Überhangs für den Baum hat, außer Verhältnis stehen zu den von dem Überhang ausgehenden Störungen, so dass die Beseitigung des Überhangs für den Nachbarn, auf dessen Grundstück der Baum steht, unzumutbar sei. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn die Beseitigung des Überhangs zu einem Absterben des Baumes oder zu einer erhöhten Risikolage führte, weil die Maßnahme dann auf eine verbotene Beseitigung des Baumes hinauslaufe (…). Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 08/2021 Zivilrecht 407 [20] Vereinzelt wird angenommen, dass landesrechtliche Vorschriften das zum Absterben des Baumes führende Abschneiden von Überhang ausschließen, wenn die dort - wie etwa in § 32 NachbG Bln - vorgesehene Ausschlussfrist für den Anspruch des Nachbarn auf die Beseitigung des Baumes abgelaufen ist (..). [22] Nach anderer Ansicht kann der beeinträchtigte Nachbar das Selbsthilferecht - vorbehaltlich naturschutzrechtlicher Verbote - auch dann ausüben, wenn die Beseitigung des Überhangs mit dem Risiko verbunden ist, dass der Baum abstirbt oder seine Standfestigkeit verliert (…) [23] Der Senat hält die letztgenannte Ansicht für richtig. Das Selbsthilferecht nach § 910 Abs. 1 BGB ist - vorbehaltlich naturschutzrechtlicher Beschränkungen eines Rückschnitts - nicht deshalb ausgeschlossen, weil durch die Beseitigung des Überhangs das Absterben des Baums oder der Verlust seiner Standfestigkeit droht. [24] Das Selbsthilferecht aus § 910 Abs. 1 BGB besteht im Ausgangspunkt ohne Einschränkungen, wenn seine tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen. Beschränkt ist es allein dadurch, dass dem Eigentümer das Recht nach Abs. 2 nicht zusteht, wenn die Wurzeln oder Zweige die Benutzung seines Grundstücks nicht beeinträchtigen. Eine Verhältnismäßigkeits- oder Zumutbarkeitsprüfung, mit der der Ausschluss des Selbsthilferechts teilweise begründet wird (oben Rn. 19), ist gesetzlich nicht vorgesehen und widerspräche den Vorstellungen des Gesetzgebers. Dieser hat sich bewusst für eine einfache und allgemein verständliche Ausgestaltung des Selbsthilferechts entschieden, die eine rasche Erledigung etwaiger Zwistigkeiten zwischen den Nachbarn ermöglicht (…). Diesem Ziel liefe es zuwider, wenn der durch den Überhang beeinträchtigte Nachbar von dem Selbsthilferecht nur unter der Voraussetzung Gebrauch machen dürfte, dass das Abschneiden der Wurzeln oder Zweige die Standfestigkeit des Baumes nicht gefährdet noch aus sonstigen Gründen zum Absterben des Baumes führen kann, was sich in vielen Fällen nicht ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen oder zumindest sachkundigen Dritten beurteilen lassen wird. Denn das Selbsthilferecht soll einfach handhabbar und seine Ausübung nicht mit Haftungsrisiken belastet sein. [25] Zudem weist § 910 BGB die Verantwortung dafür, dass Baumwurzeln oder Zweige nicht über die Grenzen des Grundstücks hinauswachsen, dem Eigentümer des Grundstücks zu, auf dem der Baum steht; er ist hierzu im Rahmen der ordnungsgemäßen Bewirtschaftung seines Grundstücks gehalten (…). Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach und lässt er die Zweige des Baumes über die Grundstücksgrenze wachsen, dann kann er später nicht unter Verweis darauf, dass der Baum (nunmehr) droht, durch das Abschneiden der Zweige an der Grundstücksgrenze seine Standfestigkeit zu verlieren oder abzusterben, von seinem Nachbarn verlangen, das Abschneiden zu unterlassen und die Beeinträchtigung des Grundstücks hinzunehmen. [26] Eine Einschränkung des Selbsthilferechts in diesen Fällen lässt sich auch nicht damit begründen, dass anderenfalls eine bereits abgelaufene Ausschlussfrist für einen etwaigen landesrechtlichen Anspruch auf Beseitigung des Baumes umgangen werden könnte. Derartige Vorschriften in den Nachbargesetzen der Länder regeln nicht ein Selbsthilferecht des beeinträchtigten Nachbarn in Bezug auf überhängende Zweige oder eingedrungene Wurzeln, und sie könnten das im Bürgerlichen Gesetzbuch in § 910 gewährte Selbsthilferecht zudem mangels Gesetzgebungskompetenz des Landes nicht einschränken (...). Jura Intensiv a.A.: BeckOGK/Vollkommer, BGB [15.2.2021], § 910 Rn 17; RGRK/ Augustin, BGB, 12. Aufl., § 910 Rn 11; Dehner, Nachbarrecht [September 2013], B § 21 I 2, S. 6 f Ansicht des V. Zivilsenats des BGH: Der Senat verwies die Entscheidung zurück zum OLG. Dies möge naturschutzrechtliche Beschränkungen prüfen. Gleichwohl legt der Senat seine Meinung dar, damit Instanzgerichte künftig eine Leitlinie haben. Wörtliche Auslegung des § 910 BGB: Das Gesetz sieht keine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor. Auslegung nach Sinn und Zweck: Ohne Sachverständigen ließe sich die Entscheidung mangels eigener Sachkunde des Grundstückseigentümers nicht treffen. Das Selbsthilferecht soll einfach handhabbar sein. Argument: Die Verantwortung, die Störung abzuwenden, hat der Eigentümer des Grundstücks, auf dem der Baum steht. Siehe hierzu die ausführliche Begründung am Beispiel des Berliner Nachbargesetzes weiter unten. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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