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RA Digital - 08/2021

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426 Öffentliches Recht

426 Öffentliches Recht RA 08/2021 Gegenargument: Gesetzessystematik zeigt, dass der Gesetzgeber strikt zwischen Verhütungs- und Bekämpfungsmaßnahmen trennen wollte (vgl. LG Hannover, Urteil vom 9.7.2020, 8 O 2/20, RA 2020, 537, 538). „Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Infektionsschutzgesetz […] strikt zwischen Maßnahmen zur Verhütung (4. Abschnitt des IfSG) einerseits und Maßnahmen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten (5. Abschnitt des IfSG) andererseits unterscheidet, verbietet sich eine über den Wortlaut hinausgehende Ausweitung des § 65 IfSG auf Einschränkungen durch Rechtsverordnungen auf Grundlage der §§ 28 Abs. 1, 32 IfSG.“ Somit scheidet eine erweiternde Auslegung des § 65 I IfSG aus, sodass K aus dieser Vorschrift keinen Anspruch geltend machen kann. Analogievoraussetzungen BGBl. I, 2020, S. 587 https://www.bundestag.de/resource/ blob/692602/352cce5e021a097d​ 9d87700cbb4f0409/WD-3-069-20- pdf-data.pdf Planwidrige Regelungslücke (-), Gesetzgeber ist bewusst untätig geblieben III. Anspruch analog §§ 56, 65 IfSG Möglicherweise ist hier aber eine analoge Anwendung der §§ 56, 65 IfSG geboten. Das setzt die Existenz einer planwidrigen Regelungslücke bei vergleichbarer Interessenlage voraus. „Gegen eine planwidrige Regelungslücke […] spricht […] entscheidend das weitere gesetzgeberische Verhalten im Laufe der Pandemie. Mit Gesetz vom 27.03.2020 hat der Gesetzgeber während der bereits andauernden Pandemie den § 56 IfSG mit dem Absatz 1a um einen weiteren Entschädigungstatbestand ergänzt, welcher Sorgeberechtigten betreuungsbedürftiger Kinder den Verdienstausfall ersetzt, den diese aufgrund von Schließungen von Schulen oder Betreuungseinrichtungen erleiden. Dieser Gesetzesergänzung vorausgegangen ist eine Stellungnahme des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages vom 16.03.2020, die sich mit der Entschädigung von Nachteilen aufgrund von Verordnungen nach dem IfSG auseinandersetzt. Dabei kam der wissenschaftliche Dienst zu dem Ergebnis, dass beispielsweise für die Schließung von Bars aufgrund von Verordnungen zur Eindämmung des Corona-Virus keine Entschädigungsansprüche im IfSG vorgesehen seien und auch Ansprüche auf sonstiger rechtlicher Grundlage, insbesondere unter dem Gesichtspunkt des enteignenden Eingriffs nicht bestünden. Jura Intensiv Dem Gesetzgeber war mithin bei Verabschiedung des Infektionsschutzgesetzes i.d.F. vom 27.03.2020 bekannt, dass es für Betriebsschließungen […] keinen Entschädigungstatbestand gab. Letzteres, obwohl entsprechende Schließungen bereits angeordnet waren oder zumindest absehbar bevorstanden: Die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten hatten sich am 16.03.2020 auf weitreichende Schließungen, unter anderem von Restaurants und Einzelhandelsgeschäften verständigt. […] Selbst bei der Einfügung des § 28a IfSG durch Gesetzesänderung vom 18.11.2020 hat der Gesetzgeber von der Ergänzung des Infektionsschutzgesetzes um eine entsprechende Entschädigungsregelung abgesehen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt waren der Politik aus der so genannten 1. Welle und damals aktuellen 2. Welle der Pandemie die teilweise existenzbedrohenden Auswirkungen der - inzwischen zeitlich ausgedehnten - Schließungsanordnungen bekannt. […]“ Demnach scheitert eine analoge Anwendung der §§ 56, 65 IfSG daran, dass eine planwidrige Regelungslücke fehlt. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 08/2021 Öffentliches Recht 427 IV. Anspruch aus § 39 I lit. a) OBG NRW Möglicherweise steht der Klägerin ein Entschädigungsanspruch aufgrund des von ihr ausdrücklich geltend gemachten § 39 I lit. a) OBG NRW zu. Diese Vorschrift verlangt eine Schadensverursachung durch Maßnahmen der Ordnungsbehörde, die sich gegen einen Nichtstörer i.S.v. § 19 OBG NRW richten. „Unabhängig davon, ob § 39 Abs. 1 OBG NRW als Auffangtatbestand in Anbetracht der abschließenden Regelungen im Infektionsschutzgesetz überhaupt anwendbar ist, liegen dessen tatbestandliche Voraussetzungen nicht vor. Denn erforderlich ist […] eine Maßnahme einer Ordnungsbehörde. Die CoronaschutzVO wurde indessen von dem zuständigen Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales erlassen, welches nicht als Ordnungsbehörde zu qualifizieren ist. Der Kreis der Ordnungsbehörden i.S.d. § 39 OBG NRW wird in § 3 OBG NRW legal definiert: Dazu gehören zum einen die Gemeinden als örtliche Ordnungsbehörden, zum anderen die Kreise und kreisfreien Städte als Kreisordnungsbehörden. Landesordnungsbehörden sind gem. § 3 Abs. 2 OBG NRW die Bezirksregierungen. Nicht zu den Ordnungsbehörden i.S.d. § 3 OBG NRW gehören die Ministerien, da der staatsleitende, steuernde und kontrollierende Aufgabenzuschnitt der Ministerien gem. Art. 55 und Art. 77 Landesverfassung NRW sich von der operativen Vollzugstätigkeit der genannten Ordnungsbehörden abhebt. Nichts anderes ergibt sich - entgegen der Ansicht der Klägerin - aus § 1 OBG NRW, welcher lediglich das Aufgabengebiet der Ordnungsbehörden im Sinne des Gesetzes näher umschreibt, ohne in die Definition des § 3 OBG NRW einzugreifen.“ Folglich kann die Klägerin ihr Entschädigungsbegehren auch nicht auf § 39 I lit. a) OBG NRW stützen. V. Enteignender Eingriff Schließlich kommt noch ein Entschädigungsanspruch aus dem gewohnheitsrechtlich anerkannten Haftungsinstitut des enteignenden Eingriffs in Betracht. Jura Intensiv „Ebenso wie bei der Prüfung des § 39 OBG mag im Ergebnis wiederum dahinstehen, ob Ansprüche aus enteignendem Eingriff bereits deshalb ausgeschlossen sind, weil den spezialgesetzlichen Regelungen des Infektionsschutzgesetzes ein abschließender Regelungscharakter zukommt. Für Letzteres sprechen die […] Umstände, welche bereits eine analoge Anwendung der Entschädigungsvorschriften der §§ 56, 65 IfSG ausschließen. […] Jedenfalls aber fehlt es an den tatbestandlichen Voraussetzungen eines Entschädigungsanspruchs aus enteignendem Eingriff. Ein Anspruch aus enteignendem Eingriff setzt voraus, dass eine an sich rechtmäßige hoheitliche Maßnahme bei einem Betroffenen unmittelbar zu Nachteilen in Form von Eigentumsbeeinträchtigungen führt, die er aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen hinnehmen muss, die aber die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren übersteigen. Zu den geschützten Rechtspositionen im Sinne des Art. 14 GG gehört auch der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb. Jedoch liegt ein enteignender Eingriff in einen Gewerbetrieb als Eigentum Voraussetzungen des § 39 I lit. a) OBG NRW Anwendbarkeit äußerst strittig (vgl. LG Hannover, Urteil vom 9.7.2020, 8 O 2/20, RA 2020, 537, 539; Fischer- Uebler/Gölzer/Schaub, JA 2021, 491, 492f.; Reschke, DÖV 2020, 423, 426f.). In einer Klausur darf das Problem nicht unerörtert bleiben. § 39 I lit. a) OBG NRW jedenfalls (-), weil keine Ordnungsbehörde gehandelt hat Vgl. Schönenbroicher/Heusch, OBG NRW, § 3 Rn 22 Gewohnheitsrecht Auch hier gilt: In einer Klausur darf diese Frage nicht unbeantwortet bleiben. Überdies steht der Anwendbarkeit des enteignenden Eingriffs die Wesentlichkeitstheorie entgegen; schon wegen der im Raum stehenden Haftungssumme muss eine ausdrückliche Entschädigungsregelung in einem Parlamentsgesetz erfolgen (vgl. LG Hannover, Urteil vom 9.7.2020, 8 O 2/20, RA 2020, 537, 540). Voraussetzungen des enteignenden Eingriffs Problem: Eingriff in das Eigentum © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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