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RA Digital - 08/2021

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440 Strafrecht

440 Strafrecht RA 08/2021 Auf den Streit, ob der Täter beim unechten Unterlassungsdelikt mit Verstreichenlassen der ersten oder der letzten Rettungsmöglichkeit unmittelbar ansetzt oder dann, wenn aus seiner Sicht das Rechtsgut konkret gefährdet ist (vgl. Schweinberger, JURA INTENSIV, Strafrecht AT II, Rn 794 ff.), kommt es vorliegend nicht an, da nach allen Meinungen offensichtlich ein unmittelbares Ansetzen zu bejahen ist. BGH, Beschluss vom 23.01.2018, 2 StR 238/17, NStZ-RR 2018, 119 ff) Bzgl. Entsprechungsklausel, § 13 I StGB a.E. Da sich der Tatentschluss des A ausschließlich auf subjektive Mordmerkmale bezog, stellte er sich auch Umstände vor, nach denen die Verwirklichung des Tatbestandes durch ein Unterlassen derjenigen durch ein aktives Tun entsprach, § 13 I StGB a.E. c) Unmittelbares Ansetzen, § 22 StGB Da der Tod des F eingetreten ist, hat M auch gem. § 22 StGB unmittelbar zur Verwirklichung des Tatbestandes angesetzt. d) Rechtswidrigkeit Das Verhalten des M war rechtswidrig. Eine vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat ist somit gegeben. 2. Hilfeleisten Durch den Abtransport von M und dessen Fahrzeug hat A die Tat des M gefördert und diesen so dazu Hilfe geleistet. 3. Vorsatz bzgl. 1. und 2. (sog. „Doppelvorsatz“) A handelte auch mit Vorsatz bzgl. der objektiven Tatumstände, also mit dem erforderlichen sog. „doppelten Gehilfenvorsatz“. 4. Tatbestandsverschiebung gem. § 28 II StGB Der Tatentschluss des Haupttäters M umfasste lediglich das subjektive Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht. Insofern könnte beim Teilnehmer A eine Tatbestandsverschiebung über § 28 II StGB vorzunehmen sein. Denkbar wäre allerdings auch eine Strafmilderung gem. § 28 I StGB. Welcher Absatz des § 28 StGB anzuwenden ist, wäre im Ergebnis irrelevant, wenn A selbst auch mit Verdeckungsabsicht gehandelt hätte. „[10] b) Das Landgericht hat eine Verdeckungsabsicht des Angeklagten, bei der es sich […] um ein besonderes persönliches Merkmal im Sinne von § 28 […] StGB handelt, nicht tragfähig belegt. […] Jura Intensiv [11] aa) Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und die vom Tatrichter gezogenen Schlussfolgerungen nicht nur eine Vermutung darstellen. [12] bb) Dem wird die Beweiswürdigung zur Verdeckungsabsicht des Angeklagten weder in Bezug auf die Straftaten des Mitangeklagten noch hinsichtlich der eigenen Taten des Angeklagten gerecht. [13] (1) Das Landgericht hat eine Verdeckungsabsicht des Angeklagten zugunsten der Taten des Mitangeklagten beweiswürdigend nicht belegt. [14] (2) Auch die Annahme, der Angeklagte habe dem Mitangeklagten in der Absicht geholfen, eigene Straftaten zu verdecken, erweist sich mangels einer tragfähigen Grundlage als bloße Vermutung. Zwar ist insoweit der Ausgangspunkt des Landgerichts, dass sich bei der nächtlichen Fahrt auch der Angeklagte jedenfalls wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis strafbar machte und für ihn das Risiko des Widerrufs einer früher bewilligten Strafaussetzung zur Bewährung bestand, rechtlich nicht zu beanstanden. Dem Urteil sind aber keine tatsächlichen Anhaltspunkte zu entnehmen, welche die Annahme des Landgerichts belegen, der Angeklagte habe Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 08/2021 Strafrecht 441 zum Tatzeitpunkt befürchtet, der Mitangeklagte könnte ihn bei Bekanntwerden seiner Tatbeteiligung in einer späteren Vernehmung verraten. Der Angeklagte hat sich nicht zur Sache eingelassen. Die Folgerung des Landgerichts versteht sich angesichts des Umstands, dass der Mitangeklagte das Tatgeschehen selbst verschleiern wollte, auch nicht von selbst.“ Jedenfalls nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ ist somit davon auszugehen, dass A nicht selbst mit Verdeckungsabsicht gehandelt hat. Somit hat nur der Haupttäter M ein subjektives Mordmerkmal verwirklicht, nicht jedoch der Gehilfe A. Fraglich ist, ob dies zu einer Tatbestandsverschiebung über § 28 II StGB führt. a) Rechtsprechung Nach der Rechtsprechung stellt der Mord, § 211 StGB, ein selbstständiges Delikt und keine Qualifikation des Totschlags, § 212 I StGB, dar. Nach dieser Meinung wirken die Mordmerkmale somit strafbegründend, sodass auf die subjektiven Mordmerkmale als persönliche strafbegründende Merkmale § 28 I StGB Anwendung findet. Eine Tatbestandsverschiebung über § 28 II StGB ist nach dieser Meinung nicht vorzunehmen, sondern eine Strafmilderung (also Strafrahmenverschiebung) gem. § 28 I StGB. Nach dieser Meinung hat A also den Tatbestand der Beihilfe zum versuchten Mord durch Unterlassen, §§ 211, 13, 22, 23 I, 27 StGB, verwirklicht. b) Literatur Die Literatur sieht in § 211 StGB eine unselbstständige Qualifikation des § 212 I StGB mit der Konsequenz, dass die Mordmerkmale strafschärfend wirken und deshalb auf die subjektiven Mordmerkmale § 28 II StGB anzuwenden ist. Gem. § 28 II StGB gelten die entsprechenden Merkmale nur für den Beteiligten, der sie selbst verwirklicht. Da A die Verdeckungsabsicht des Haupttäters M nicht selbst verwirklichen kann (immerhin handelt es sich dabei um ein Motiv, also einen inneren Tatantrieb), gilt dieses Merkmal bei A nicht. Der Tatbestand der Haupttat ist also bei A gem. § 28 II StGB zum Tatbestand des versuchten Totschlags durch Unterlassen zu verschieben. Nach dieser Meinung wäre also nur der Tatbestand der Beihilfe zum versuchten Totschlag durch Unterlassen, §§ 212 I, 13, 22, 23 I, 27 StGB, durch A erfüllt. Jura Intensiv c) Stellungnahme Zwar ist der Rechtsprechung zuzubilligen, dass die gesetzliche Stellung des § 211 StGB vor § 212 I StGB und auch der Wortlaut des § 212 I StGB („ohne Mörder zu sein“) eher ein Alternativ- oder sogar Exklusivitätsverhältnis der Tatbestände zu implizieren scheinen. Jedoch ist zu beachten, dass der Tatbestand des § 211 II StGB sämtliche Tatbestandsmerkmale des § 212 I StGB zuzüglich eines weiteren (Mord-) Merkmals enthält und somit strukturell eine klassische Qualifikation darstellt. Dass diese im Gesetz vor ihrem eigenen Grunddelikt steht dient nur dazu, die herausragende Stellung des Tatbestands des Mordes im deutschen Strafrecht zu betonen und erlaubt keine zwingenden Rückschlüsse auf das Verhältnis der beiden Delikte. Schließlich erscheint es sinnvoll, eine Meinung zu vertreten, die zur Anwendung von § 28 II StGB führt, da diese Vorschrift flexibler ist als § 28 I StGB und somit gerechtere Ergebnisse ermöglicht. Der Literatur ist zu folgen. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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