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RA Digital - 08/2021

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446 Referendarteil:

446 Referendarteil: Strafrecht RA 08/2021 II. Fraglich ist, ob die N im Zusammenhang mit ihren Vernehmungen verfahrensfehlerhaft belehrt worden ist und ihre Angaben deshalb einem Verwertungsverbot unterliegen. Richtet sich ein einheitliches Strafverfahren gegen mehrere Beschuldigte, steht der Zeuge aber nur zu einem von ihnen in einem Angehörigenverhältnis nach § 52 I StPO, so ist er zur Verweigerung des Zeugnisses gegenüber allen Beschuldigten befugt, soweit der Sachverhalt, zu dem er aussagen soll, auch seinen Angehörigen betrifft (BGH, Beschluss vom 10.01.1984, 5 StR 732/83). Liegen nur fahrlässige Fehlleistungen bzw. Fehlinformationen der Ermittlungsbeamten vor, fehlt es an einem gezielten Einsatz unzulässiger Mittel i.S.v. § 136a StPO (BGH, Beschluss vom 21.05.2004, 1 StR 170/04). “[18] Zwar stand ihr das Recht zu, das Zeugnis auch betreffend den P zu verweigern. Denn in Verfahren gegen mehrere Beschuldigte ist der Zeuge zur Verweigerung des Zeugnisses hinsichtlich aller Beschuldigter berechtigt, sofern der Sachverhalt, zu dem er aussagen soll, auch seinen Angehörigen betrifft. Dieser Fall war hier gegeben. Über ihr auch den P betreffendes Zeugnisverweigerungsrecht hätte die N vor ihren polizeilichen und ermittlungsrichterlichen Vernehmungen belehrt werden müssen (§ 52 III S. 1 StPO). [19] Daraus folgt jedoch kein Verwertungsverbot nach § 136a III S. 2, § 69 III StPO. Denn diese Regelungen sind jedenfalls auf versehentliche Belehrungsfehler nicht anwendbar. [20] Die Norm des § 136a I StPO konkretisiert das verfassungsrechtliche Gebot, auch im Strafverfahren die Menschenwürde des Vernommenen zu achten; sie ist Ausdruck des Grundsatzes, dass die Wahrheit nicht um jeden Preis, sondern nur auf „justizförmige“ Weise, d.h. in einem rechtsstaatlich geordneten Verfahren erforscht werden darf. Die Vorschrift stellt für die staatlich veranlasste Informationsgewinnung elementare Grundsätze auf, die sich unabdingbar aus dem grundgesetzlichen Verständnis des Rechtsstaats ableiten. Deshalb nennt Absatz 1 schwerwiegende, zum Teil mit hoher Strafe bedrohte Verstöße und versieht sie mit der strengen Rechtsfolge des absoluten Beweisverwertungsverbots (§ 136a III S. 2 StPO). Dem Vernommenen wird hierüber kein Verfügungsrecht eingeräumt (§ 136a III S. 1 und 2 StPO). Der Regelung kommt daher zum einen eine Sanktionsfunktion zulasten verbotswidrig handelnder Strafverfolgungsorgane zu; zum anderen soll sie der Anwendung unzulässiger Methoden präventiv entgegenwirken. Jura Intensiv [21] Entsprechend diesen Gesetzeszwecken erfasst § 136a I StPO nur die Beeinträchtigung der Aussagefreiheit durch gezielten Einsatz unzulässiger Mittel. Eine unvorsätzliche Irreführung ist keine Täuschung im Sinne des § 136a I S. 1 StPO. Diese setzt vielmehr die wissentliche Irreleitung voraus; fahrlässige Fehlleistungen genügen nicht. Dieser Grundsatz ist von der Rechtsprechung für die Vernehmung von Beschuldigten anerkannt und gilt nach § 69 III StPO gleichermaßen für die Vernehmung von Zeugen. [22] Der Schutz des Zeugen vor Konflikten zwischen prozessualer Wahrheitspflicht und engen sozialen Bindungen, dem das in § 52 StPO eingeräumte Zeugnisverweigerungsrecht dienen soll, wird demgegenüber durch die zum Verstoß gegen Belehrungspflichten entwickelten Grundsätze gewährleistet. Insoweit gilt, dass aus dem (versehentlichen) Verstoß gegen die Belehrungspflicht zwar ein Beweisverwertungsverbot folgt; er kann aber geheilt werden, wenn der aussageverweigerungsberechtigte Zeuge der Verwertung seiner Aussage nach ordnungsgemäßer Belehrung zustimmt. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 08/2021 Referendarteil: Strafrecht 447 [23] Anhaltspunkte, die auf eine vorsätzlich falsche Belehrung hinweisen, sind […] nicht dargetan. Gerade der Wortlaut der erteilten Belehrungen, die das Zeugnisverweigerungsrecht der N gegenüber der Mutter einerseits und ihre - angebliche - Aussagepflicht gegenüber deren Lebensgefährten andererseits betonen, weisen vielmehr darauf hin, dass die Vernehmenden einem Rechtsirrtum erlegen waren. Hätten diese bewusst über die wahre Rechtslage täuschen wollen, wäre eingedenk der möglichen rechtlichen Folgen einer vorsätzlich falschen Belehrung keine solchermaßen detaillierte Protokollierung, sondern ein formelhafter Hinweis auf eine vorgenommene Belehrung zu erwarten gewesen”. Die Geltendmachung des Zeugnisverweigerungsrechts hindert den Zeugen nicht, nach ordnungsgemäßer Belehrung die Verwertung der bei einer nichtrichterlichen Vernehmung gemachten Aussage zu gestatten (BGH, Urteil vom 23.09.1999, 4 StR 189/99). Die fehlerhafte Belehrung der N begründet kein Verwertungsverbot. Ergebnis: Die Angaben der N sind, auch unter Berücksichtigung der von ihr zu Protokoll erklärten Gestattung der Verwertung, entgegen der Auffassung des Verteidigers verwertbar. FAZIT Die vorliegende Entscheidung bildet eine mustergültige Vorlage für Prüfungsaufgaben im Assessorexamen, weil – verfahrensrechtlich gesehen – mit § 136a StPO ein offensichtlich nicht zutreffender Einstieg in die Prüfung gegeben ist. Es handelt sich vielmehr um eine klassische Fragestellung aus dem Bereich der §§ 52, 252 StPO. Nichtsdestotrotz nimmt der 6. Strafsenat des BGH den Fall zum Anlass, wesentliche Grundsätze des Regelungsgehalts von § 136a StPO hervorzuheben und zu bestätigen. Ergänzend ist anzuführen, dass § 136a I 1 StPO nach § 163a IV 2 StPO auch für Polizeibeamte gilt. Die Regelung schließt nicht jede List bei der Vernehmung aus, verbietet aber eine Lüge, durch die der Beschuldigte bewusst irregeführt und seine Aussagefreiheit beeinträchtigt wird. Wird hiergegen verstoßen, sieht § 136a III StPO zwingend ein (gesetzlich geregeltes) Verwertungsverbot vor. Eines Widerspruches gegen die Verwertung bedarf es deshalb nicht. Jura Intensiv © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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