Aufrufe
vor 2 Jahren

RA Digital - 08/2021

  • Text
  • Ifsg
  • Beklagte
  • Entscheidung
  • Verlags
  • Anspruch
  • Urteil
  • Inhaltsverzeichnis
  • Stgb
  • Intensiv
  • Jura
Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

394 Zivilrecht

394 Zivilrecht RA 08/2021 LÖSUNG A. Anspruch der K gegen B auf Rückzahlung der 202,05 € aus § 355 III BGB K könnte gegen B einen Anspruch auf Rückzahlung der an B geleisteten und noch nicht zurückgezahlten 202,05 BGB aus § 355 III BGB haben. Erste Voraussetzung: Widerrufserklärung der K Zweite Voraussetzung: Widerrufsrecht der K Persönlicher Anwendungsbereich gem. §§ 310 III, 312 BGB Sachlicher Anwendungsbereich: Fernabsatzvertrag gem. § 312c BGB Dritte Voraussetzung: Einhaltung der Widerrufsfrist gem. § 355 II BGB Erste Voraussetzung der Aufrechnung: Aufrechnungserklärung gem. § 388 BGB Zweite Voraussetzung der Aufrechnung: Aufrechnungslage gem. §§ 387, 390 BGB Problem: Gegenforderung der B aus §§ 355, 357 VIII BGB I. Anspruch entstanden Das Rückgewährschuldverhältnis aus § 355 III BGB setzt eine Widerrufserklärung, ein Widerrufsrecht des Widerrufenden sowie die Einhaltung der Widerrufsfrist voraus. K erklärte gegenüber B den Widerruf gem. § 355 I BGB in eindeutiger Art und Weise. K muss ein Verbraucherwiderrufsrecht zur Zeit der Widerrufserklärung zugestanden haben. In Betracht kommt ein Widerrufsrecht gem. §§ 312, 312c, 312g BGB. K schloss den Vertrag zu ausschließlich privaten Zwecken und ist mithin Verbraucher gem. § 13 BGB. B betreibt gewerblich ein Portal für Online- Partnerschaftsvermittlungen und ist folglich Unternehmer i.S.d. § 14 BGB. Folglich liegt ein Verbrauchervertrag zwischen K und B gem. §§ 310 III, 312 BGB vor. Indem der Vertrag mit wechselseitig zugesendeten E-Mails, mithin mit Fernkommunikationsmitteln geschlossen wurde und die Leistungen der Unternehmerin B gegen Geldzahlung erfolgten, war der Vertrag ein Fernabsatzvertrag gem. §§ 312, 312c BGB. Der Widerruf erfolgte 5 Tage nach Vertragsschluss, mithin innerhalb der 14-tägigen Widerrufsfrist des § 355 II BGB. Folglich ist ein Rückzahlungsanspruch gem. § 355 III BGB entstanden. Indem von der an B gezahlten Summe nur ein Teilbetrag zurückgezahlt wurde und noch 202,05 € ausstehen, ergibt sich zunächst ein Rückzahlungsanspruch, es sei denn, dieser ist erloschen. II. Anspruch erloschen Der Anspruch könnte gem. § 389 BGB durch Aufrechnung der B erloschen sein. Dies setzt eine Aufrechnungserklärung, eine Aufrechnungslage und das Fehlen eines Aufrechnungsverbotes voraus. B hat mit einem ihr angeblich zustehenden Wertersatzanspruch in Höhe von 202,05 € aus § 355 III, 357 VIII BGB gem. § 388 BGB die Aufrechnung erklärt. Die Aufrechnungserklärung führte aber nur zum Erlöschen der Hauptforderung, wenn eine Aufrechnungslage gem. §§ 387, 390 BGB vorlag, insbesondere B eine Gegenforderung gegenüber K zustand. K meint, ihr stünde ein Wertersatzanspruch wegen erbrachter Leistungen aus §§ 355 III, 357 VIII BGB zu. B hat einerseits das Persönlichkeitsgutachten erstellt und Kontaktanbahnungen ermöglicht. Dabei handelt es sich um Dienstleistungen. Diese Leistungen wurden auf ausdrückliches Verlangen der K auch vor Ablauf der Widerrufsfrist erbracht, was per E-Mail und damit auf einem dauerhaften Datenträger gem. § 358 VIII 3 BGB geschah, weshalb die Voraussetzungen des § 357 VIII 1 BGB erfüllt sind. § 357 VIII 2 BGB verlangt aber darüber hinaus, dass B die K ordnungsgemäß nach Artikel 246a II 1 Nr. 1 und 3 EGBGB informiert hat. Dies ist wegen der von B verwendeten Klausel zur Berechnung des Wertersatzes hier fraglich. Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 08/2021 Zivilrecht 395 [15] Der Beklagten steht kein Anspruch auf Wertersatz für die bis zum Widerruf erbrachten Leistungen nach § 357 Abs. 8 Satz 1 BGB zu. Dieser Anspruch setzt gemäß § 357 Abs. 8 Satz 2 BGB insbesondere voraus, dass der Unternehmer den Verbraucher ordnungsgemäß nach Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 3 EGBGB über das Widerrufsrecht informiert hat. Zwar hat die Beklagte die Muster-Widerrufsbelehrung nach Anlage 1 zum EGBGB nach Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 2 EGBGB verwendet. Jedoch kann sich der Unternehmer auf die Schutzwirkung dieser Vorschrift nicht berufen, wenn der Verbraucher durch eine weitere - formal oder inhaltlich nicht ordnungsgemäße - Belehrung irregeführt oder von einer rechtzeitigen Ausübung seines Rechts abgehalten wird (…). So liegt es hier. Die von der Beklagten verwendete Klausel zur Berechnung des Wertersatzes weicht erheblich zum Nachteil des Verbrauchers von der in dem Muster der Widerrufsbelehrung zutreffend dargestellten gesetzlichen Regelung ab (hierzu a). Die Klausel ist daher unwirksam (hierzu b). Dadurch wird der Verbraucher in die Irre geführt, so dass die Widerrufsbelehrung insgesamt nicht als ordnungsgemäß gewertet werden kann (hierzu c = Rz.23). [16] Die von der Beklagten verwendete Klausel kann zu einem Wertersatzanspruch führen, der nahezu das Zwanzigfache des gesetzlich höchstens geschuldeten Betrags erreichen kann. [17] Nach der gesetzlichen Regelung beträgt der Wertersatzanspruch höchstens 10,33 €. [18] Gemäß § 357 Abs. 8 Satz 4 BGB ist zur Bemessung des Wertersatzes nach dem Widerruf eines Vertrags auf den im Vertrag vereinbarten Preis für die Gesamtheit der vertragsgegenständlichen Leistungen abzustellen. Hiervon ausgehend ist der geschuldete Betrag nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Senats grundsätzlich zeitanteilig zu berechnen (...). Eine Ausnahme hiervon gilt nur, wenn der geschlossene Vertrag ausdrücklich vorsieht, dass eine oder mehrere der Leistungen gleich zu Beginn der Vertragsausführung vollständig und gesondert zu einem getrennt zu zahlenden Preis erbracht werden; nur unter dieser Voraussetzung kann der Verbraucher sachgerecht entscheiden, ob er von dem Unternehmer verlangen soll, mit der Ausführung der Dienstleistung während der Widerrufsfrist zu beginnen (...). [19] Ist der Verbraucher bei Vertragsschluss ordnungsgemäß belehrt worden und daher die 14-tägige Widerrufsfrist sofort in Gang gesetzt (§ 356 Abs. 3 Satz 1 BGB) sowie die Wertersatzpflicht (§ 356 Abs. 1 Satz 8 BGB) begründet worden, beträgt der zeitanteilig zu berechnende Wertersatzanspruch bei einem unter Ausschöpfung der Frist erklärten Widerruf also 10,33 € (= 269,40 € : 365 x 14). [20] Ein Ausnahmefall, der eine Abweichung von einer zeitanteiligen Berechnung des Werts der Leistungen der Beklagten rechtfertigen könnte, liegt nicht vor. Eine Leistungspflicht der Beklagten, die vollständig und gesondert zu einem getrennt zu zahlenden Preis erbracht werden soll, ist nicht vorgesehen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf das Persönlichkeitsgutachten. Dass dieses von anderen Kunden zu einem Preis von 149 € erworben werden kann, ist unerheblich. Mit Kunden, die, wie die Klägerin, eine Premium-Mitgliedschaft eingehen, wird eine solche Vereinbarung nicht getroffen. Diesen Verbrauchern wird daher insbesondere nicht vor Augen geführt, dass sie die Erstellung dieses Gutachtens im Fall eines Widerrufs in dieser Höhe vergüten müssen, wenn sie von der Beklagten verlangen, sofort mit der Ausführung der Dienstleistung zu beginnen. Jura Intensiv Obwohl B die Musterbelehrung benutzt hat, genießt sie keinen Musterschutz, weil sie mit der o.g. Klausel die Vertragspartner in die Irre führt. Der Wertersatzanspruch lt. Klausel übersteigt den gesetzlichen Anspruch um das Zwanzigfache. Bezug auf das Urteil des EuGH vom 08.10.2020, C-641/19 und das Urteil des BGH vom 06.05.2021, III ZR 169/20, das zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung BGHZ bestimmt ist und ebenfalls lesenswert ist. Der BGH rechnet vor, wie der gesetzliche Wertersatzanspruch berechnet wird. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

RA - Digital

Rspr. des Monats