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RA Digital - 08/2022

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402 Zivilrecht

402 Zivilrecht RA 08/2022 I. Schuldverhältnis Das geforderte Schuldverhältnis zwischen B und den K besteht vorliegend durch den am 09.03.2017 geschlossenen Bauträgervertrag. Verzugsvoraussetzungen Die Anwendbarkeit des § 675u BGB regelt Art. 229, § 39 EGBGB. Weil der Vertrag vor dem 01.01.2018 geschlossen wurde, wäre § 675u BGB mit seinen Verweisungen vorliegend eigentlich nicht anwendbar. Aus didaktischen Gründen – Sie sollen in Ihren Prüfungen die Fälle mit dem aktuell geltenden Recht lösen – lösen wir den Fall unter Anwendung des § 675u BGB. § 286 II Nr. 1 BGB 1. Schwerpunkt des Falles: Es genügt nicht, wenn ein Bauunternehmen versucht, die Verschuldensvermutung dadurch zu widerlegen, indem es ohne nähere Konkretisierung z.B. vorträgt, dass Bauarbeiter diverser Nationalitäten ihren Zielort nicht erreichen konnten, dass Lieferketten, inbesondere für Baumaterialien unterbrochen gewesen seien, sowie dass Hygienevorschriften und Abstandsregeln den Arbeitsfortschritt auf der Baustelle gehemmt hätten. Dies ist nicht ausreichend, weil vollständig unklar bleibt, welcher konkrete Arbeitsablauf auf der Baustelle durch welche Störungen ab wann beeinträchtigt war, wie lange die Störung andauerte und inwieweit dies Auswirkungen auf die in Rede stehende Leistung hatte. II. Verzug gem. § 286 BGB B muss mit einer ihr obliegenden Leistungspflicht in Schuldnerverzug geraten sein. § 286 BGB fordert, dass der Schuldner eine fällige und durchsetzbare Leistungspflicht trotz Mahnung nicht pünktlich erbracht hat und dies auch zu vertreten hat. 1. Fälliger und durchsetzbarer Anspruch auf Leistung Der hier vorliegende Bauträgervertrag ist seit dem 01.01.2018 in § 675u BGB als typengemischter Vertrag geregelt, der dem Bauträger zwei Leistungspflichten auferlegt. Zum einen schuldet dieser gem. §§ 675u I 2 BGB i.V.m. §§ 650a, 631 BGB die Erbringung der in der Baubeschreibung dargelegten Bauleistung, zum anderen schuldet er gem §§ 675u I 3 BGB i. V. m. § 433 I BGB die Übereignung des Grundstücks, bzw. des Miteigentumsanteils am Grundstück zuzüglich des Sondereigentums an der Wohneinheit. Vorliegend bestand eine Pflicht zur Fertigstellung der Wohneinheit nach Baubeschreibung zum 30.06.2018. Indem die K alle Zahlungen erbracht hatten, stand dieser nicht die Einrede des § 320 BGB entgegen. Folglich haben die K gegen B einen fälligen und durchsetzbaren Anspruch auf Fertigstellung der Wohneinheit zum 30.06.2018 gehabt. 2. Mahnung, soweit nicht entbehrlich Der Schuldnerverzug erfordert gem. § 286 I BGB grundsätzlich eine Mahnung, sofern diese nicht entbehrlich ist. Gem. § 286 II Nr. 1 BGB ist sie entbehrlich, wenn sich die Parteien auf einen festen Zeitpunkt zur Leistungserbringung geeinigt haben. Dies ist mit der Vereinbarung des 30.06.2018 als Leistungszeitpunkt der Fall, weshalb die Mahnung entbehrlich ist. 3. Nichtleistung trotz Fälligkeit und Mahnung B hat die Leistung am 30.06.2018 nicht erbracht. Jura Intensiv 4. Vertretenmüssen der B § 286 IV BGB vermutet hinsichtlich der Entstehung des Schuldnerverzuges ein Vertretenmüssen des Schuldners und legt diesem die Darlegungs- und Beweislast zu seiner Entlastung auf. B hat zu seiner Entlastung den Zeitraum von Juli 2018 bis März 2020 betreffend keine Tatsachen vorgetragen. Folglich hat B für diesen Zeitraum den Schuldnerverzug zu vertreten. Bezüglich des Zeitraums zwischen März 2020 bis zum 06.07.2020 hat B auf seine Schwierigkeiten hingewiesen, die durch die Covid19-Pandemie eingetreten sind, ohne diese näher zu bezeichnen. [29] Die abstrakte Möglichkeit derartiger Erschwernisse allein genügt aber nicht, damit ein nach dem Beginn der Corona-Krise im März 2020 eingetretener Leistungsverzug nicht von einem Bauunternehmer zu vertreten wäre. Da es gemäß § 286 Abs. 4 BGB gesetzlich vermutet wird, dass ein Schuldner die Nichteinhaltung eines Termins für seine Leistung zumindest fahrlässig verschuldet hat (…), hat ein Bauunternehmer, der sich auf diesem Weg von seinem Verzug entlasten will, konkret darzulegen, wie sich der schwerwiegende und unvorhersehbare Umstand, auf den er sich beruft, auf den Ablauf des Bauvorhabens ausgewirkt hat („bauablaufbezogene Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 08/2022 Zivilrecht 403 Darlegung“). Der Unternehmer hat vorzutragen, welcher seiner Arbeitsabläufe durch einen solchen Umstand wann gestört wurde, wie lange die Störung andauerte und wie dies konkret die Fertigstellung der Arbeiten beeinflusst hat. Dabei ist zu beachten, dass die Störung eines einzelnen Ablaufs nicht zwangsläufig zur Verzögerung des Gesamtablaufs führen muss, nämlich dann nicht, wenn andere Abläufe, die von der Störung nicht betroffen sind, vorgezogen und der gestörte Ablauf nachgeholt werden kann, ohne dass sich die Gesamtfertigstellungszeit hierdurch verlängert. Indem B dieser Darlegungslast nicht nachgekommen ist, steht fest, dass sie sich vom 01.07.2018 bis zur Übergabe an die K am 06.07.2020 im in Schuldnerverzug mit der Fertigstellung und Übergabe der Wohneinheit. 5. Kausaler, ersatzfähiger Verzögerungsschaden Unter einem Verzögerungsschaden versteht man die unfreiwillige Vermögenseinbuße, die adäquat auf der Verzögerung der Leistung beruht und auch bei späterer Erfüllung nicht entfällt. a) Bereitstellungszinsen in Höhe von 7.054,70 € Die aufgrund des Nichtabrufs des Darlehens anfallenden Bereitstellungszinsen der Bank, welche dieser einen Ausgleich für die erst ab Auszahlung des Gelddarlehens anfallenden Zinsen gewährt, beruhen als Haftungsschaden auf der nicht am 30.06.2018 erbrachten Leistung der B. Dieser Schaden ist auch durch die Übergabe am 06.07.2020 nicht entfallen und ist folglich ein Verzögerungsschaden. b) Aufgewendete Wohnungsmiete in Höhe von 21.755 € Fraglich ist aber, ob die aufgewendete Wohnungsmiete als Verzögerungsschaden verlangt werden kann. Fraglich ist, ob die Nichtnutzbarkeit einer Sache überhaupt einen materiellen Schaden darstellt. Die Nichtnutzbarkeit einer Sache stellt einen materiellen Schaden dar, wenn sie so hinreichend kommerzialisiert ist, dass die ständige Verfügbarkeit der Sache für die wirtschaftliche Lebensführung von zentraler Bedeutung ist. Dies ist bei einer Wohnung der Fall. Ein Schaden liegt nicht nur vor, wenn das Integritätsinteresse beeinträchtigt ist, sondern auch dann, wenn das berechtigte, aus dem Anspruch auf Vertragserfüllung stammende Erwartungsinteresse verletzt wird. Dies kann durch die verspätete Leistung geschehen. Fraglich ist aber, ob dies hier der Fall ist. Problematisch ist nämlich, dass die Wohnung nicht selbst benutzt, sondern vermietet wird. Jura Intensiv [37] Allerdings können die Kläger als Schaden nicht die Zahlungen geltend machen, die sie im Verzugszeitraum zur Anmietung der von ihnen selbst genutzten Wohnung aufwendeten, worauf die Beklagte zu Recht hinweist. Ein Schadensersatzgläubiger kann immer nur verlangen, durch den Schadensersatz so gestellt zu werden, wie er bei pflichtgemäßen Verhalten des Schuldners gestanden hätte. Im vorliegenden Fall sind die Kläger in die streitgegenständliche Wohnung nach Übergabe unstreitig nicht eingezogen, sondern sie haben sie vermietet. Solange nichts Abweichendes vorgetragen wird, ist anzunehmen, dass die Kläger die Wohnung auch vermietet hätten, wenn sie ihnen fristgerecht im Juni 2018 übergeben worden wäre. Folglich hätten die Kläger für die von ihnen selbst genutzte Wohnung auch dann durchgängig selbst Miete zahlen müssen. Die Bereitstellungszinsen sind ein typischer Verzögerungsschaden. 2. Schwerpunkt des Falles: Kurios ist, dass die Kläger zunächst nicht auf den entgangenen Gewinn abgestellt haben, der durch die fehlende Möglichkeit der Vermietbarkeit im fraglichen Zeitraum nicht erzielt werden konnte. Der Schadensersatz umfasst gem. § 252 BGB den entgangenen Gewinn. Vielmehr hatten sich die Kläger auf die Rechtsprechung zum „Kommerzialisierungsschaden“ bezogen. Diesen hatte der BGH im Beschluss des Großen Senates vom 09.07.1986, GSZ 1/86 anerkannt. In seinem Urteil vom 20.02.2014, VII ZR 172/13 hatte der VII. Zivilsenat die Grundsätze auf einen ähnlich gelagerten Fall wie den vorliegenden ausgedehnt. Vorliegend fehlt es am Nachweis, dass die bestellte Wohnung zur eigenen wirtschaftlichen Lebensführung dienen sollte. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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