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RA Digital - 08/2022

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418 Nebengebiete

418 Nebengebiete RA 08/2022 Nach § 293 BGB kommt der Arbeitgeber in Annahmeverzug, wenn er im erfüllbaren Arbeitsverhältnis die ihm angebotene Leistung nicht annimmt. [34] 1. Der Kläger hat die Arbeitsleistung ordnungsgemäß angeboten. [35] a. Die Arbeitsleistung ist so anzubieten, wie sie zu bewirken ist, also am rechten Ort, zur rechten Zeit und in der rechten Art und Weise entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen bzw. deren Konkretisierung kraft Weisung nach § 106 Satz 1 GewO. Dies ist eine wichtige Differenzierung, die in Klausuren unbedingt zu beachten ist. Unterscheiden Sie die tatsächliche und die rechtliche Unmöglichkeit, auf wenn die Folgen identisch sind. Das LAG unterscheidet zutreffend zwischen staatlich angeordneter und vom Arbeitgeber „angeordneter“ Quarantäne. [36] b. Der Kläger hat die Arbeitsleistung am rechten Ort, zur rechten Zeit und in der rechten Art und Weise angeboten. Dem steht das Hygienekonzept seitens der Beklagten nicht entgegen. Anders als bei einer – nach Auffassung der Kammer ohne weiteres zulässigen – Anordnung einer Maskenpflicht oder Testpflicht vor Arbeitsaufnahme konkretisiert die Beklagten mit dem Hygienekonzept bereits nicht den Inhalt der Arbeitsleistung und legt nicht fest, wie diese zu erbringen ist, sondern untersagt die Arbeitsleistung und legt fest, dass der Entgeltanspruch des Arbeitnehmers entfällt. [37] 2. Der Kläger war nicht iSd. § 297 BGB außerstande, die Leistung zu erbringen. [38] a. Nach § 297 BGB kommt der Gläubiger nicht in Verzug, wenn der Schuldner zur Zeit zu der für die Handlung des Gläubigers bestimmten Zeit außerstande ist, die Leistung zu bewirken. Unerheblich ist die Ursache für die Leistungsunfähigkeit des Arbeitsnehmers. Das Unvermögen kann auf tatsächlichen Umständen (wie zB Arbeitsunfähigkeit) beruhen oder ihre Ursache im Rechtlichen haben, etwa wenn ein gesetzliches Beschäftigungsverbot besteht (…). [39] b. Danach war der Kläger nicht iSd. § 297 BGB unvermögend. [40] aa. Der Kläger war tatsächlich in der Lage, seine Arbeitsleistung zu erbringen. [41] bb. Dem Kläger war es auch rechtlich möglich, seine Arbeitsleistung zu erbringen. [42] (1) Eine rechtliche Unmöglichkeit hätte zwar im Falle einer gesetzlich angeordneten Quarantäne vorgelegen. Der Kläger war aber nicht aufgrund gesetzlicher Vorgaben rechtlich verpflichtet, sich in Quarantäne zu begeben. (Wird auf Basis der einschlägigen Corona-Verordnungen ausgeführt.) Jura Intensiv [46] (2) Die Anordnung der Arbeitgeberin durch das Hygienekonzept begründet anders als staatlich angeordnete Quarantänepflicht kein rechtliches Unvermögen. Nach dem Wortlaut des Hygienekonzepts „Rückkehrer aus Risikogebieten bleiben 14 Tage zu Hause“ ist kein reines Betretungsverbot des Betriebs, sondern mit einer Pflicht, „zu Hause zu bleiben“, eine Quarantänepflicht angeordnet, für die der Arbeitgeber ersichtlich keine Regelungskompetenz hätte. Aber auch, wenn man die Anordnung als reines Betretungsverbot des Betriebs auslegt, begründet dies kein rechtliches Unvermögen des Klägers. [47] (a) Es kann offenbleiben, ob ein durch eine Betriebsvereinbarung oder Gesamtbetriebsvereinbarung angeordnete Quarantäne/Betretungsverbot wirksam gewesen und ein rechtliches Unvermögen hätte begründen können. Das Hygienekonzept erfüllt bereits nicht die formellen Voraussetzungen nach § 77 II BetrVG und entfaltet bereits deswegen – wie auch die Beklagte einräumt – keine Wirkung auf das Arbeitsverhältnis nach § 77 IV BetrVG. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 08/2022 Nebengebiete 419 [48] (b) Das durch die Beklagte angeordnete Betretungsverbot begründet kein rechtliches Unvermögen. Zwar kann auch die Erteilung eines Hausverbots durch einen Dritten ein rechtliches Unvermögen begründen, wenn die Arbeitsleistung in den Räumlichkeiten des Dritten zu erbringen ist (…). Die Anordnung eines Betretungsverbots durch den Vertragspartner selbst begründet demgegenüber aber kein rechtliches Unvermögen. Andernfalls könnte der Arbeitgeber durch die schlichte Anordnung eines Betretungsverbots den Entgeltanspruch des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsvertrag iVm. § 615 Satz 1 BGB beseitigen. [49] cc. Der Kläger war nicht leistungsunwillig. [50] (1) Neben der (tatsächlichen oder rechtlichen) Leistungsfähigkeit umfasst § 297 BGB auch die nicht ausdrücklich genannte Leistungswilligkeit. Dies folgt daraus, dass ein leistungsunwilliger Arbeitnehmer sich selbst außerstande setzt, die Arbeitsleistung zu bewirken. Die objektive Leistungsfähigkeit und der subjektive Leistungswille sind von dem Leistungsangebot und dessen Entbehrlichkeit unabhängige Voraussetzungen, die während des gesamten Annahmeverzugszeitraums vorliegen müssen. [51] (2) Der Kläger war leistungswillig. [52] (a) Dem steht nicht entgegen, dass sich das Erfordernis der Leistungsbereitschaft auf die vertraglich vorgesehene Tätigkeit bezieht (…). Der Kläger war bereit, seine vertraglich vorgesehene Tätigkeit zu erbringen. [53] (b) Eine andere Betrachtungsweise ergibt sich auch nicht aus den Entscheidung des LAG München (…) sowie des LAG Hamburg (…). In den dortigen Verfahren ging es jeweils um die Frage, wie die Arbeitsleistung zu erbringen ist, nämlich unter Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung bzw. mit vorheriger Testung auf das Coronavirus. Das LAG Hamburg hat dort – auch aus Sicht der hiesigen Berufungskammer zutreffend – die Anordnung des Tragens einer Mund-Nasen-Bedeckung als zulässig angesehen. Das LAG München hat – auch dies aus Sicht der hiesigen Kammer zutreffend – die Anordnung eines Coronatests als zulässig angesehen. Anders als vorliegend hatten die Arbeitgeber aber die Erbringung der Arbeitsleistung nicht untersagt und den gleichzeitigen Verlust des Entgeltanspruchs angeordnet, sondern lediglich geregelt, wie die Arbeitsleistung zu erbringen ist, bzw. Ordnung und Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb iSd. § 106 Satz 2 GewO geregelt (…). Der Vergütungsanspruch ging allein deswegen verloren, weil die jeweiligen Arbeitnehmer die Arbeitsleistung nicht vertragsgemäß erbringen wollten und deswegen leistungsunwillig waren. Vorliegend regelt aber die Beklagte nicht den Inhalt der Arbeitsleistung, sondern einseitig einen Verlust des Entgeltanspruchs. Dies ist vom arbeitgeberischen Direktionsrecht nicht gedeckt. Insoweit kann zwar der Arbeitgeber zum Schutz seiner Beschäftigten vor einer Infektion mit dem Coronavirus die Art und Weise der Arbeitserbringung regeln, und zwar auch mit der Folge, dass derjenige Arbeitnehmer, der nicht bereit ist, seine Arbeitsleistung entsprechend der Festlegung zu erbringen, mittelbar unter Berücksichtigung der § 293 ff. BGB seinen Entgeltanspruch verliert. Er kann aber nicht ohne Konkretisierung der arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung unmittelbar über den Entgeltanspruch des Arbeitnehmers disponieren. Das arbeitgeberische Direktionsrecht umfasst nicht die Befugnis, das Entfallen des Entgeltanspruchs einseitig festzulegen. Die Anordnung einer Quarantänepflicht/ eines Betretungsverbots mit gleichzeitigem Wegfall des Entgeltanspruchs Jura Intensiv Auch diese Überlegung des LAG erscheint als zwingend: Der Arbeitgeber kann dem Arbeitnehmer kein Hausverbot erteilen, daraus ein Unvermögen des Arbeitnehmers gem. § 297 BGB herleiten und deshalb dem Arbeitnehmer nicht den Lohn zahlen. LAG München, Urteil vom 26.10.2021, 9 Sa 332/21 LAG Hamburg, Urteil vom 13.10.2021, 7 Sa 23/21 Die tragende Unterscheidung ist diejenige zwischen einer Regelung des „Wie“ der Arbeitsleistung und des „Ob“ der Arbeitsleistung. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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