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RA Digital - 08/2022

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430 Öffentliches Recht

430 Öffentliches Recht RA 08/2022 Problem: Art. 80 I 2 GG Zum Aufbau: Dieses Problem kann alternativ bereits i.R.d. Ermächtigungsgrundlage angesprochen werden. Art. 80 I 2 GG ist Ausfluss der Wesentlichkeitstheorie. Subsumtion Erheblicher GR-Eingriff Gesetzgeber hätte im Sommer 2020 handeln und genauere Vorschriften schaffen können. Zum Entwurf: BT-Drs. 19/23944 „Nach Artikel 80 Abs. 1 Satz 2 GG müssen Gesetze, die zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigen, Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung bestimmen. Danach soll sich das Parlament seiner Verantwortung als gesetzgebende Körperschaft nicht dadurch entäußern können, dass es einen Teil der Gesetzgebungsmacht der Exekutive überträgt, ohne die Grenzen dieser Kompetenzen bedacht und diese nach Tendenz und Programm so genau umrissen zu haben, dass der Bürger schon aus der gesetzlichen Ermächtigung erkennen und vorhersehen kann, was ihm gegenüber zulässig sein soll und welchen möglichen Inhalt die aufgrund der Ermächtigung erlassenen Verordnungen haben können. Je schwerwiegender die grundrechtsrelevanten Auswirkungen für die von einer Rechtsverordnung potenziell Betroffenen sind, desto strengere Anforderungen gelten für das Maß der Bestimmtheit sowie für Inhalt und Zweck der erteilten Ermächtigung. Nach diesen Maßstäben ist hier ein Verstoß des § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gegen das Bestimmtheitsgebot aus Artikel 80 Abs. 1 Satz 2 GG festzustellen. Der Eingriff in das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG war von einer erheblichen Intensität, denn durch die Untersagung von Gastronomiebetrieben wurde die Berufsausübung der Antragstellerin im Wesentlichen untersagt. Ins Gewicht fällt zudem, dass es sich im hier maßgeblichen Zeitraum bereits um den zweiten „Lockdown“ handelte, denn bereits ab dem 18.03.2020 hatte der Antragsgegner […] ein coronabedingtes Betriebsverbot für die Gastronomie angeordnet. Die Übergangszeit, in der aus übergeordneten Gründen des Gemeinwohls ein Rückgriff der Verwaltung auf Generalklauseln möglich ist, war jedenfalls im hier maßgeblichen Zeitpunkt Oktober / November 2020 bereits abgelaufen. Die „Zweite Corona-Welle“ war schon im Sommer 2020 vorhersehbar gewesen und anders als noch im März des Jahres wurde der Gesetzgeber vom Anstieg der Corona-Infektionen im Herbst nicht „überrascht“. Dennoch ist er nicht tätig geworden. […] Innerhalb einer engen Frist nach dem Auftreten einer völlig neuen Gefahrenlage können zwar Ausnahmen von den Anforderungen an die Regelungsdichte einer Verordnungsermächtigung begründet werden, so dass in einer Übergangszeit auch solche unmittelbaren Gefahren effektiv durch die Regelung von Maßnahmen auf dem Verordnungswege abgewehrt werden können, bis der Gesetzgeber darauf zu reagieren in der Lage ist. Eine solche Reaktionszeit war jedenfalls zu der Zeit, zu der die hier in Rede stehende Verordnung des Antragsgegners vom 30.10.2020 erlassen wurde, bereits überschritten. Dem Gesetzgeber wäre es möglich gewesen, jedenfalls bis zur parlamentarischen Sommerpause oder spätestens unmittelbar danach die erforderliche parlamentsgesetzliche Grundlage für die pandemiebedingten Betriebsschließungen für Gastronomieunternehmen zu erlassen. Jura Intensiv […] Die Befugnis des § 28 Abs. 1 IfSG wurde tatsächlich aber von dem Bundesgesetzgeber erst Mitte November 2020, also insbesondere nach dem Inkrafttreten der hier streitigen Verordnung, mit den weitreichenden Rechtsfolgen des 28a IfSG ausgestattet. Erst der Entwurf eines Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 03.11.2020 sah die Einführung des § 28a IfSG mit einem Beispielskatalog für notwendige Schutzmaßnahmen gegen die Ausbreitung von Covid-19 im Sinne von § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 08/2022 Öffentliches Recht 431 vor. Die erste Beratung im Bundestag erfolgte am 6.11.2020. Bundestag und Bundesrat haben am 18.11.2020 die Änderungen beschlossen. Am 19.11.2020 ist das neue IfSG in Kraft getreten. Es ist auch nicht anzunehmen, dass die Dauer des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens, regelungstechnische Schwierigkeiten oder politische Verständigungsbedarfe eine Übergangszeit von über einem halben Jahr erforderten. Der Gesetzgeber hat schon seit Beginn der Pandemie Änderungen am IfSG vorgenommen und damit seine Handlungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Der parlamentarische Gesetzgeber ist durch Erlass des Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27.3.2020 tätig geworden, ohne aber an den materiellen Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 IfSG etwas geändert zu haben, obwohl bereits zuvor Verordnungen der Landesregierungen mit Regelungen von der hier in Rede stehenden Eingriffstiefe und -breite erlassen worden waren. Auf die Bund-Länder-Vereinbarung vom 16.3.2020 hatten alle 16 Bundesländer mit einschneidenden Maßnahmen reagiert […], soweit sie es nicht schon im Vorfeld der Vereinbarung getan hatten. Die Regelungen der Bundesländer sahen bereits Schließungen von Schulen, Kitas, Einzelhandelsgeschäften (mit Ausnahme von Lebensmittelgeschäften), Clubs vor, aber auch von Theatern, Spielplätzen und verbalen Zusammenkünften in Kirchen, Moscheen und Synagogen. Am 22.3.2020 hatten sich Bund und Länder auf noch weitergehende Maßnahmen geeinigt. Die Bundesländer erließen umfangreiche Kontaktbeschränkungen und Dienstleistungsbetriebe mussten schließen. Auch Restaurants und Gaststätten blieben geschlossen. Die einzelnen Schutzmaßnahmen, die später in den § 28a IfSG aufgenommen wurden, waren daher bereits zu diesem frühen Zeitpunkt hinreichend konkretisiert und hätten innerhalb der darauf folgenden Wochen bis zur parlamentarischen Sommerpause oder […] unmittelbar danach die erforderliche parlamentsgesetzliche Grundlage erhalten können. Dass die Dauer des Gesetzgebungsverfahrens in Eilsituationen verkürzt werden kann, belegen die bisherigen parlamentarischen Verfahren in Zusammenhang mit der Pandemie. […]“ Jura Intensiv Demnach verstieß § 7 I 1 VO-CP gegen Art. 80 I 2 GG und war somit rechtswidrig und unwirksam, sodass der Normenkontrollantrag erfolgreich ist. Gesetzgeber hätte rechtzeitig Spezialvorschriften erlassen können. Handlungsfähigkeit des Gesetzgebers (+) Gesetzgebungsverfahren hätte verkürzt werden können. FAZIT Die zentralen Erkenntnisse der Entscheidung: • Trotz des Außerkrafttretens der streitgegenständlichen Norm ist ein Antrag nach § 47 VwGO zulässig, wenn die Antragstellerin ein berechtigtes Interesse an einer gerichtlichen Entscheidung hat (Rechtsgedanke des § 113 I 4 VwGO). • Die infektionsschutzrechtliche Generalklausel des § 32 S. 1 i.V.m. § 28 I 1 IfSG konnte zwar übergangsweise massive Grundrechtseingriffe rechtfertigen, längstens aber nur bis zur parlamentarischen Sommerpause 2020. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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