464 Zivilrecht RA 09/2018 Problem: Zugangsrecht zum Facebook-Account des Erblassers Einordnung: Erbrecht, Schuldrecht BGH, Urteil vom 12.07.2018 III ZR 183/17 LEITSATZ Beim Tod des Kontoinhabers eines sozialen Netzwerks geht der Nutzungsvertrag grundsätzlich nach § 1922 BGB auf dessen Erben über. Dem Zugang zu dem Benutzerkonto und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten stehen weder das postmortale Persönlichkeitsrecht des Erblassers noch das Fernmeldegeheimnis oder das Datenschutzrecht entgegen. Diese Entscheidung des BGH hebt das Berufungsurteil des KG Berlin vom 31.05.2017, 21 U 9/16 auf, das wir in der RA 2017, 404 dargestellt hatten. EINLEITUNG Mit der zunehmenden Digitalisierung stellen Daten einen immer größeren Bestandteil des Nachlasses dar. Dabei ist man sich weitgehend einig, dass diese grds. nach § 1922 BGB auf die Erben übergehen können. Äußerst umstritten ist hingegen die Frage, ob das in § 88 III TKG geregelte Fernmeldegeheimnis einem Zugriff der Erben auf die Daten des Erblassers entgegensteht. SACHVERHALT (LEICHT ABGEWANDELT) Die Beklagte (B) betreibt das soziale Netzwerk „Facebook“, für dessen Nutzung die Eingabe von Kontozugangsdaten in Form von Benutzername und Passwort erforderlich ist. Am 04.01.2011 registriert sich die Erblasserin (E) mit Erlaubnis ihrer Mutter bei dem Dienst der B und unterhält unter dem Nutzernamen „E“ einen entsprechenden Account. Am Abend des 03.12.2012 wird sie von einer U-Bahn erfasst und verunglückt im Alter von 15 Jahren tödlich. Daraufhin versetzt B das Benutzerkonto der E am 09.12.2012 in den sog. Gedenkzustand. Die Klägerin (K) ist die Mutter und gem. § 1925 I, II BGB gesetzliche Alleinerbin der E. Trotz bekannter Kontozugangsdaten kann sich K seit dem 09.12.2012 nicht mehr in den Account ihrer Tochter einloggen. Das Konto und die auf den Servern der B gespeicherten Inhalte bleiben allerdings im Gedenkzustand bestehen. Die Regelungen dazu sind im Hilfebereich der Internetseite der B abrufbar. K verlangt daraufhin von B Zugang zum Benutzerkonto. K benötigt den Zugang, um Aufschluss darüber zu erhalten, ob ihre Tochter kurz vor ihrem Tod Suizidabsichten hegte. Zu Recht? Jura Intensiv Prüfungsvermerk: Datenschutzrechtliche Belange sind nicht zu prüfen. Ziffer 4 der Facebook-Nutzungsbedingungen: „Du wirst Facebook nicht verwenden, wenn du unter 13 Jahre alt oder ein verurteilter Sexualstraftäter bist.“ § 3 Nr. 6 TKG: „Diensteanbieter" ist jeder, der ganz oder teilweise geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder an der Erbringung solcher Dienste mitwirkt. § 3 Nr. 24 TKG: „Telekommunikationsdienste" sind i.d.R. gegen Entgelt erbrachte Dienste, die ganz oder überwiegend in der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze bestehen. § 88 II 1 TKG: Zur Wahrung des Fernmeldegeheimnisses ist jeder Diensteanbieter verpflichtet. § 88 III 1 TKG: Den nach Abs. 2 Verpflichteten ist es untersagt, sich oder anderen über das für die geschäftsmäßige Erbringung der Telekommunikationsdienste einschließlich des Schutzes ihrer technischen Systeme erforderliche Maß hinaus Kenntnis vom Inhalt oder den näheren Umständen der Telekommunikation zu verschaffen. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 09/2018 Zivilrecht 465 PRÜFUNGSSCHEMA A. K gegen B gem. §1922 I BGB I. Erbenstellung der K II. Vererblichkeit des Accounts 1. Entgegenstehende Nutzungsbedingungen 2. Wesen des Vertrags analog § 399 BGB 3. Postmortales Persönlichkeitsrecht 4. § 88 III 1 TKG B. Ergebnis LÖSUNG A. K gegen B gem. § 1922 I BGB K könnte gegen B einen Anspruch auf Zugang zum vollständigen Benutzerkonto ihrer verstorbenen Tochter E gem. § 1922 I BGB haben. I. Erbenstellung der K K ist gem. § 1925 I, II BGB gesetzliche Alleinerbin ihrer Tochter E. II. Vererblichkeit des Accounts Weiterhin müsste der Facebook-Account vererblich sein. „[18] Der Anspruch auf Zugang zu dem Benutzerkonto und den dort gespeicherten Inhalten ergibt sich aus dem auf die Erben übergegangenen schuldrechtlichen Vertrag zwischen E und B. [19] B und E haben mit Einwilligung ihrer gesetzlichen Vertreter (§ 107 BGB) einen schuldrechtlichen Vertrag über die Einrichtung und Nutzung eines „Accounts" geschlossen. Die Rechtsnatur dieses Vertrags kann dahingestellt bleiben, da diese für die hier relevanten Rechtsfragen nicht erheblich ist.“ Das Vertragsverhältnis mit seinen Rechten und Pflichten könnte mit dem Tod der E nach § 1922 I BGB auf K übergegangen sein. Dadurch wäre sie in dieses eingetreten und hätte deshalb als Vertragspartner einen Anspruch auf Zugang zu dem Benutzerkonto der E sowie den darin enthaltenen vermögensrechtlichen und höchstpersönlichen (digitalen) Inhalten. Jura Intensiv [22] Nach § 1922 I BGB geht das Vermögen als Ganzes auf die Erben über. Hierzu gehören grds. auch Ansprüche und Verbindlichkeiten aus schuldrechtlichen Verträgen – wie dem hier vorliegenden Nutzungsvertrag –, wobei der Erbe in die vertragliche Rechtsstellung mit sämtlichen Rechten und Pflichten eintritt. 1. Entgegenstehende Nutzungsbedingungen Dieser Vererbbarkeit des „Account-Inhalts” im Wege der Gesamtrechtsnachfolge jedoch darf der Inhalt und die Gestaltung der Facebook-Verträge nicht entgegenstehen. „[25] Die Nutzungsbedingungen der B enthalten keine Regelung zur Vererbbarkeit des Benutzungsvertrags und der Inhalte des Benutzerkontos. Die Regelungen beziehen sich lediglich auf das Verhalten des Nutzers zu Lebzeiten und enthalten keine Aussage für den Todesfall. Offen bleiben kann dementsprechend, ob die Vererbbarkeit des vertraglichen Nutzungsverhältnisses und des daraus folgenden Kontozugangsrechts in Allgemeinen Geschäftsbedingungen ausgeschlossen werden kann. Das KG hatte in RA 2017, 404 die Frage offen gelassen, ob mit der Vererblichkeit des Facebook–Accounts auch der Zugang zu den höchstpersönlichen Inhalten vererblich ist und Facebook aus datenschutzrechtlichen Gründen Recht gegeben. Weil der BGH auch dies anders sieht (s.u.) entschied er hier, dass der Facebook-Account (und damit auch andere digitale Präsenzformen anderer sozialer Netzwerke) grundsätzlich mit allen Rechten und Pflichten gem. § 1922 BGB vererblich ist. Keine Regelung zum Todesfall des Nutzers in den Nutzungsbedingungen © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis
Unsere Skriptenreihen Stand: Septem
Laden...
Laden...
Laden...
Follow Us
Facebook
Twitter