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RA Digital - 09/2018

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482 Öffentliches Recht

482 Öffentliches Recht RA 09/2018 Problem: Vorlauffrist zwischen Aufstellen eines Haltverbotsschildes und Abschleppen eines Kfz Einordnung: POR/Verwaltungsvollstreckungsrecht BVerwG, Urteil vom 24.05.2018 3 C 25.16 LEITSATZ Ist ein ursprünglich erlaubt geparktes Fahrzeug aus einer nachträglich eingerichteten Haltverbotszone abgeschleppt worden, muss der Verantwortliche die Kosten nur tragen, wenn das Verkehrszeichen mit einer Vorlaufzeit von mindestens drei vollen Tagen aufgestellt wurde. Eine stundenscharfe Berechnung des Vorlaufs findet nicht statt. Eine vollständige Rechtmäßigkeitsprüfung findet sich bei der Darstellung des Berufungsurteils in der RA 2016, 592 EINLEITUNG Die angemessene Vorlauffrist zwischen dem Aufstellen eines Haltverbotsschildes und dem Abschleppen eines zuvor bereits abgestellten Kfz ist ein „Klassiker“ des Verwaltungsvollstreckungsrechts. Die „RA“ hatte bereits über das Berufungsurteil berichtet (OVG Münster, Urteil vom 13.09.2016, 5 A 470/14, RA 2016, 592), das nunmehr vom BVerwG aufgehoben wurde. SACHVERHALT Die Klägerin (K) stellte ihr Fahrzeug am 19.08.2013 ordnungsgemäß ab und flog anschließend in den Urlaub. Am Vormittag des 20.08.2013 wurden in diesem Straßenabschnitt zur Vorbereitung eines privaten Umzugs zwei mobile Haltverbotsschilder für den Zeitraum vom 23. bis zum 24.08.2013, jeweils von 7:00 bis 18:00 Uhr, aufgestellt. Am Nachmittag des 23.08.2013 beauftragte ein Mitarbeiter der beklagten Stadt, nachdem er mehrfach erfolglos an der Wohnung der K geklingelt hatte, ein Abschleppunternehmen mit der Entfernung des Fahrzeugs. Dort holte K es am 5.09.2013 gegen Zahlung von 176,98 € ab. Die beklagte Stadt setzte für den Vorgang überdies eine Verwaltungsgebühr i.H.v. 62,- € fest. Die auf Erstattung der an den Abschleppunternehmer gezahlten Kosten und Aufhebung des Gebührenbescheids gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht hat zur Begründung u.a. ausgeführt, die Abschleppmaßnahme sei erforderlich gewesen, um die blockierte Fläche für die mit der temporären Verkehrsregelung bezweckte Durchführung der Umzugsarbeiten freizugeben und die eingetretene Behinderung der Umzugsarbeiten zu beenden. Mildere Mittel zur Störungsbeseitigung hätten nicht bestanden, weil die in unmittelbarer Nähe wohnende Klägerin nicht erreichbar gewesen sei. Auch die Kostenbelastung der Klägerin sei nicht unangemessen. Der Umstand, dass Haltverbotsschilder erst nach dem rechtmäßigen Abstellen eines Fahrzeugs aufgestellt worden seien, stehe der Verhältnismäßigkeit der Belastung des Fahrzeugverantwortlichen mit den Kosten für das Abschleppen des Fahrzeugs aus dem Haltverbot im Regelfall nicht entgegen, wenn zwischen dem Aufstellen der Haltverbotsschilder und der Abschleppmaßnahme - wie hier - eine Frist von 48 Stunden verstrichen sei. Prüfen Sie, ob die Abschleppmaßnahme mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist und K zur Tragung der Kosten herangezogen werden darf. Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 09/2018 Öffentliches Recht 483 LÖSUNG A. Verhältnismäßigkeit der Abschleppmaßnahme „Insbesondere ist die Abschleppmaßnahme mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar. Nach den tatsächlichen Feststellungen im Berufungsurteil war eine konkrete Behinderung der Umzugsarbeiten bereits eingetreten, sodass die Entfernung des Fahrzeugs zur Erreichung des mit der Einrichtung der temporären Haltverbotszone angestrebten Zwecks erforderlich war. Mildere Mittel als die angeordnete Abschleppmaßnahme standen nicht zur Verfügung, nachdem die Kontaktaufnahmeversuche zu der Klägerin nicht erfolgreich waren.“ B. Kostentragung durch K Die Verhältnismäßigkeit der Abschleppmaßnahme hat möglicherweise aber nicht zwingend zur Folge, dass K auch die entstandenen Kosten tragen muss. „Aus der Rechtmäßigkeit der Abschleppmaßnahme folgt grundsätzlich die Möglichkeit einer kostenrechtlichen Inpflichtnahme des Verantwortlichen. Ausnahmen hiervon sind aber geboten, wenn ein Fahrzeug ursprünglich ordnungsgemäß und erlaubt geparkt wurde und sich die Verkehrslage durch das Aufstellen neuer Verkehrszeichen erst nachträglich ändert. Die Rechtsordnung gewährt zwar grundsätzlich keinen Schutz der allgemeinen Erwartung, die geltende Rechtslage werde zukünftig unverändert fortbestehen. Knüpfen künftige Rechtsfolgen aber an zurückliegende Sachverhalte an, muss das betätigte Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes berücksichtigt werden. Diese Abwägung hat einerseits die berechtigten Interessen des Fahrzeugverantwortlichen in den Blick zu nehmen. Grundsätzlich ist das Parken von zugelassenen und betriebsbereiten Fahrzeugen auch dauerhaft und auf öffentlichem Straßengrund erlaubt. Hierauf sind insbesondere diejenigen Fahrzeughalter angewiesen, die nicht über eine eigene Garage oder einen privaten Stellplatz verfügen. Auch der ruhende Verkehr ist vom Gemeingebrauch erfasst und straßenverkehrsrechtlich zugelassen. Andererseits muss ein Verkehrsteilnehmer stets mit Situationen rechnen, die eine kurzfristige Änderung der bestehenden Verkehrsregelungen erforderlich machen. […] Der Fahrzeugverantwortliche ist als Inhaber der Sachherrschaft über das an der betreffenden Stelle geparkte Fahrzeug verpflichtet, angemessene Vorsorge für den Fall einer Änderung der Verkehrslage zu treffen. Jura Intensiv Das Bundesverwaltungsgericht hat eine Vorlaufzeit von drei vollen Tagen gebilligt und eine Kostenbelastung für Abschleppmaßnahmen am vierten Tag nach der Aufstellung des Verkehrszeichens als verhältnismäßig erachtet. Im Anschluss hieran ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung für die Auferlegung einer Kostentragungspflicht überwiegend eine Mindestvorlaufzeit von drei vollen Tagen verlangt worden. Den hiergegen vom Berufungsgericht vorgetragenen Einwänden folgt der erkennende Senat nicht. Beachte: Zeitraum zwischen Aufstellen des Haltverbotsschildes und Abschleppen des Kfz spielt hier keine Rolle. Stattdessen ist wichtig, ob andere Verkehrsteilnehmer behindert werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18.2.2002, 3 B 149/01; Beschluss vom 1.12.2000, 3 B 51.00; Urteil vom 14.5.1992, 3 C 3.90) Grds. Kostentragungspflicht Ausnahme: Kfz wird ordnungsgemäß abgestellt und dann erst ändert sich die Verkehrslage Kernproblem: Rückwirkung Ausnahme erfordert Abwägung Interesse des Kfz-Halters Interesse der Allgemeinheit BVerwGE 102, 316, 320 Nicht geklärt hatte das BVerwG bisher, ob es mindestens 3 volle Tage sein müssen. OVG Bautzen, NJW 2009, 2551, 2552; VGH Kassel, Urteil vom 17.12.1996, 11 UE 2403/96, juris Rn 25;VGH Mannheim, NJW 2007 Bestätigung dieser obergerichtlichen Respr. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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