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RA Digital - 09/2018

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498 Strafrecht

498 Strafrecht RA 09/2018 Hat A sich wegen versuchten Totschlags, §§ 212 I, 22, 23 I StGB, zum Nachteil des U strafbar gemacht? PRÜFUNGSSCHEMA: VERSUCHTER TOTSCHLAG, §§ 212 I, 22, 23 I StGB A. Vorprüfung B. Tatentschluss C. Unmittelbares Ansetzen, § 22 StGB D. Rechtswidrigkeit und Schuld E. Kein Rücktritt gem. § 24 StGB BGH, Beschluss vom 29.01.2014, 1 StR 654/13, NJW 2014, 1463 S. zum unmittelbaren Ansetzen auch Dr. Schweinberger, JURA INTENSIV, Strafrecht AT I, Rn 958 ff. BGH, Beschluss vom 20.09.2016, 2 StR 43/16, NStZ 2016, 86 LÖSUNG Durch den Schuss mit der Schreckschusspistole könnte A sich wegen versuchten Totschlags gem. §§ 212 I, 22, 23 I StGB zum Nachteil des U strafbar gemacht haben. A. Vorprüfung U ist nicht gestorben, sodass eine Strafbarkeit wegen vollendeter Tat nicht gegeben ist. Beim Totschlag handelt es sich um ein Verbrechen, §§ 212 I, 12 I StGB, sodass der Versuch strafbar ist, § 23 I StGB. B. Tatentschluss A wollte U töten. Er hatte also den Willen zur Verwirklichung der objektiven Tatumstände des § 212 I StGB und somit Tatentschluss zur Begehung eines Totschlags. C. Unmittelbares Ansetzen, § 22 StGB „[8] a) Gemäß § 22 StGB liegt der Versuch einer Straftat vor, sobald der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt. Dies ist nicht erst dann der Fall, wenn er bereits eine der Beschreibung des gesetzlichen Tatbestandes entsprechende Handlung vornimmt bzw. ein Tatbestandsmerkmal verwirklicht. Auch eine frühere, vorgelagerte Handlung kann bereits die Strafbarkeit wegen Versuchs begründen. Das ist der Fall, wenn sie nach der Vorstellung des Täters bei ungestörtem Fortgang ohne Zwischenakte zur Tatbestandsverwirklichung führt oder im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang in sie einmündet. Jura Intensiv [9] Diese abstrakten Maßstäbe bedürfen angesichts der Vielzahl denkbarer Sachverhaltsgestaltungen jedoch stets der wertenden Konkretisierung unter Beachtung der Umstände des Einzelfalles. Hierbei können etwa die Dichte des Tatplans oder der Grad der Rechtsgutsgefährdung, der aus Sicht des Täters durch die zu beurteilende Handlung bewirkt wird, für die Abgrenzung zwischen Vorbereitungs- und Versuchsstadium Bedeutung gewinnen. [10] b) Nach diesen Maßstäben hat der Angeklagte noch nicht zum Versuch der Tötung U s angesetzt. [11] Bei der rechtlichen Würdigung führt das Landgericht hierzu aus, dass zur Tötung des U unmittelbar angesetzt wurde, ‚indem der Angeklagte die Waffe aus dem Versteck holte, in Richtung des Wohnungseingangs lief, um dort oder im Treppenhaus auf U zu schießen, und dann auch einen Schuss abgab, um die Blockade der Tür zu überwinden‘. […] Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 09/2018 Strafrecht 499 [12] aa) Soweit das Landgericht danach als unmittelbar in die Tatbestandsverwirklichung mündende Handlung den Schuss durch die Wohnungstür angesehen hat, reicht dies angesichts der konkreten Umstände des Geschehens für ein unmittelbares Ansetzen nicht aus. […] Dass […] mit dem der Aufhebung der Blockade dienenden Schuss nach der Vorstellung des Angeklagten die Schwelle zum ‚jetzt geht es los‘ überschritten und objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung angesetzt wurde, wird von den Feststellungen nicht getragen. Denn hierfür war zu berücksichtigen, dass auch nach der Aufhebung der Blockade, also des Eintritts des mit dem Schuss beabsichtigen Erfolgs, nach der Vorstellung des Angeklagten noch weitere Zwischenakte erforderlich waren, um zur Tatbestandsverwirklichung übergehen zu können. Denn ihm war angesichts der geschlossenen Wohnungstür bewusst, auch wenn H die Türklinke nicht mehr festhalten würde, er selbst diese zunächst würde öffnen müssen und spätestens dies dem U Gelegenheit geben könnte, auf die Straße zu flüchten. […] Danach konnte der Angeklagte nicht davon ausgehen, durch den der Aufhebung der Blockade dienenden Schuss im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang auf U schießen zu können. Hierzu musste er erst noch die Türe öffnen und seinen Standort verändern, um sich in die Lage zu bringen, das Opfer andernorts stellen zu können und es in sein Schussfeld zu bekommen. Mit dem Schuss durch die Tür, um diese öffnen zu können, war damit aus seiner Sicht der Grad der Gefährdung des Rechtsguts Leben des U noch nicht konkret genug, da es auch bei ungestörtem Fortgang noch mehrere[r] Zwischenakte bedurfte, um auf ihn schießen zu können. [13] bb) Soweit das Landgericht […] das unmittelbare Ansetzen an die Feststellung geknüpft haben sollte, die Vorstellung des Angeklagten nach dem Schuss und bei Heraustreten aus der Wohnung sei darauf gerichtet gewesen, dass sich U noch in unmittelbarer Nähe befinde und er – der Angeklagte – vor der Haustür ungehindert auf ihn schießen könne, vermag auch dies den Übergang in das Versuchsstadium zur Tötung nicht zu belegen. […] In dem Moment, als der Angeklagte einige Sekunden nach der Schussabgabe die Wohnung verließ, befand sich U nicht mehr im Hausflur, was dem Angeklagten bewusst war. Es war daher nach seiner Vorstellung noch erforderlich, dem Flüchtenden nachzusetzen, ihn vor der Haustür zu stellen und dort die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Schussabgabe zu schaffen. Allein der Schritt aus der Wohnungstür oder das Durchschreiten des Hausflurs brachte das Leben des U nach der Vorstellung des Angeklagten damit nicht in eine konkretere Gefahr als durch die Entschlussfassung zur Tötung selbst.“ Jura Intensiv BGH, Urteil vom 16.01.1991, 2 StR 527/90, NJW 1991, 1839 A hat nicht unmittelbar angesetzt. D. Ergebnis A ist nicht strafbar gem. §§ 212 I, 22, 23 I StGB. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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