500 Strafrecht RA 09/2018 Problem: Gewahrsam und Zueignungswille Einordnung: Strafrecht BT I/Diebstahl und Unterschlagung OLG Zweibrücken, Beschluss vom 02.05.2018 1 OLG 2 Ss 1/18 LEITSÄTZE 1. Hat der aus einem Arbeits- bzw. Dienstverhältnis Verpflichtete einen Bestand selbstständig zu verwalten und dessen Inhalt eigenverantwortlich abzurechnen, hat er an den zum Bestand gehörenden Sachen Alleingewahrsam. Gleiches gilt, wenn der Dienstherr keinen Zugang zu dem Bestand hat. 2. Wer ein verschlossenes Behältnis mit einem (echten) Schlüssel öffnet, den er vom Berechtigten zum Zwecke der Verwendung erhalten und daher befugt in Besitz hat, kann zwar seine Befugnis missbrauchen, "überwindet" jedoch keine besondere Sicherung gegen Wegnahme im Sinne von § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB. 3. Die bloße Preisgabe, Beschädigung oder Zerstörung einer Sache unterfällt im Regelfall nicht dem Begriff der Zueignung i.S.v. § 246 StGB. EINLEITUNG Das OLG Zweibrücken befasst sich im vorliegenden Beschluss zum einen mit den Voraussetzungen der Wegnahme beim Diebstahl, § 242 I StGB. Es führt hierbei aus, dass eine solche stets den Bruch fremden Gewahrsams voraussetzt, was ausscheide, wenn die Täterin im Tatzeitpunkt Alleingewahrsam habe. Des Weiteren geht es um die Anforderungen an den Zueignungswillen bei der Unterschlagung, § 246 I StGB. Das OLG betont, dass dieser nicht nur einen Aneignungs- und Enteignungswille voraussetze, sondern dass beide auch im selben Zeitpunkt vorliegen müssten. SACHVERHALT Als die Angeklagte A am 03.07.2015 ihre Nachtschicht als Altenpflegerin in einem Alten- und Pflegeheim antrat, händigte ihr die Pflegefachkraft der Vorgängerschicht einen Schlüsselbund aus, an dem sich unter anderem der Schlüssel für einen im Stationszimmer befindlichen Tresor befand, in welchem unter das Betäubungsmittelgesetz fallende Medikamente aufbewahrt wurden. Wurde ein solches Medikament dem Tresor entnommen und aufgrund ärztlicher Verordnung einem Bewohner ausgehändigt, hatte die Pflegekraft dies am Ende ihrer Schicht unter Verwendung eines Namenskürzels in einer Liste zu dokumentieren. A war verboten, den Schlüssel dritten Personen, etwa den eingesetzten Pflegehelfern, auszuhändigen. Ein weiterer Schlüssel zu dem Tresor existierte nicht. Im Verlaufe ihrer Schicht öffnete A mit dem ihr übergebenen Schlüssel den Tresor und entnahm diesem einen Blister mit 10 Tabletten des Medikaments Oxycodon, um dieses für sich zu behalten. In den frühen Morgenstunden des 04.07.2015 äußerte A gegenüber den Pflegehelfern S und W, sie habe den Schlüsselbund mit dem Tresorschlüssel verloren. Dieser blieb dauerhaft verschwunden. Es ist davon auszugehen, dass A den Schlüssel irgendwann nach Erlangung des Oxycodons wegwarf. Jura Intensiv Wie hat A sich nach dem StGB strafbar gemacht? PRÜFUNGSSCHEMA: UNTERSCHLAGUNG, § 246 I StGB A. Tatbestand I. Fremde bewegliche Sache II. Zueignung III. Rechtswidrigkeit der Zueignung IV. Vorsatz B. Rechtswidrigkeit und Schuld Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 09/2018 Strafrecht 501 LÖSUNG A. Strafbarkeit gem. § 246 I, II StGB bzgl. des Schlüssels Dadurch, dass A den Schlüssel, der ihr überlassen worden war, verwendete und diesen anschließend wegwarf, könnte sie sich wegen veruntreuender Unterschlagung gem. §§ 246 I, II StGB strafbar gemacht haben. I. Tatbestand A müsste zunächst den Tatbestand des Grunddelikts, § 246 I StGB, verwirklicht haben. 1. Fremde bewegliche Sache Bei dem im Eigentum der Pflegeeinrichtung stehenden Schlüssel handelt es sich um eine für A fremde bewegliche Sache. 2. Zueignung „[13] a) Tathandlung der Unterschlagung ist, dass der Täter eine für ihn fremde bewegliche Sache sich oder einem Dritten zueignet, wofür nach ständiger Rechtsprechung eine nach außen erkennbar gewordene Manifestation des Zueignungswillens erforderlich ist. Das schlichte Behalten einer überlassenen Sache über den Zeitpunkt des Behaltendürfens hinaus, genügt in der Regel nicht zur Annahme einer Unterschlagung; denn bloßes Unterlassen der geschuldeten Rückgabe kann nicht als Manifestation des Zueignungswillens angesehen werden. Wie beim Diebstahl (§ 242 StGB) muss der Vorsatz des Täters sich nicht nur auf eine Enteignung des Berechtigten erstrecken. Er muss - quasi spiegelbildlich hierzu - vielmehr auch auf eine (Dritt-) Aneignung gerichtet sein. Der Täter muss den Willen haben, die Sache der Substanz oder dem Sachwert nach dem eigenen Vermögen (bzw. dem eines Dritte) ‚einzuverleiben‘, sie - wenn auch nur für begrenzte Zeit - seinem Sachoder Substanzwert nach ‚für sich auszunutzen‘. Daher erfüllt eine bloße Preisgabe, Beschädigung oder Zerstörung einer Sache den Begriff der Zueignung i.S.v. § 246 StGB im Regelfall nicht. Wer eine ihm überlassene Sache lediglich dem Eigentümer entziehen will, etwa indem er sie zerstört, handelt ohne Aneignungswillen. Gleiches gilt für denjenigen, der eine ihm überlassene Sache wegwirft, um sie so auf Dauer dem Zugriff des Eigentümers zu entziehen. [14] b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das Landgericht seine Annahme, die Angeklagte habe den Schlüssel an sich genommen, ‚um ihn für sich zu behalten‘ nicht tragfähig begründet. Allein der Verweis auf das Motiv der Angeklagten, dafür Sorge tragen zu wollen, dass dieser nicht mehr an ‚die Berechtigten zurückgelangte‘, genügt dafür nicht. Denn dadurch wird lediglich der Wille zur Enteignung des Berechtigten dokumentiert; ein Grund, weshalb es der Angeklagten zugleich auf eine Aneignung des Schlüssels angekommen sein soll, ergibt sich daraus nicht ohne weiteres. Denn ein Zurückgelangen des Schlüssels hätte die Angeklagte auch dadurch verhindern können, dass sie sich dessen entäußert, etwa indem sie ihn wegwirft. [15] c) Zwar kommt in Betracht, dass der Wille zur Aneignung in der den Interessen des Berechtigten zuwiderlaufenden Verwendung des Schlüssels seinen Ausdruck gefunden hat. Dass die Angeklagte zu diesem Zeitpunkt aber bereits den Willen gefasst hatte, den Schlüssel anschließend nicht Jura Intensiv Sache ist jeder körperliche Gegenstand. Beweglich ist eine Sache, die tatsächlich fortgeschafft werden kann. Fremd ist eine Sache, die im Eigentum einer anderen Person steht. BGH, Beschluss vom 07.12.1959, GSSt 1/59, NJW 1960, 684 Vgl. hierzu Schumacher, JURA INTENSIV, Strafrecht BT I, Rn 196 ff. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 21.08.2009, 1 Ss 57/09 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.01.1987, 5 Ss 414/86, NJW 1987, 2526 © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis
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