506 Referendarteil: Strafrecht RA 09/2018 I. In diesem Zusammenhang ist zwischen Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverboten zu unterscheiden. Während Beweiserhebungsverbote die Gewinnung von Beweismitteln im Strafverfahren einschränken, insb. in der Hauptverhandlung die Pflicht des Gerichts zur Amtsaufklärung (§ 244 II StPO) und das Recht der Staatsanwaltschaft und Verteidigung auf Beweiserhebung begrenzen (§ 244 III 1 StPO), untersagen es die Beweisverwertungsverbote, bestimmte bereits festgestellte Tatsachen bei der Beweiswürdigung und Urteilsfindung zu berücksichtigen. Innerhalb der Beweisverwertungsverbote wird dabei zwischen selbstständigen und unselbstständigen unterschieden. § 52 StPO trägt der besonderen Lage eines Zeugen Rechnung, der als Angehöriger des Beschuldigten der Zwangslage ausgesetzt sein kann, seinen Angehörigen zu belasten oder die Unwahrheit sagen zu müssen. Niemand soll gezwungen sein, aktiv zur Überführung eines Angehörigen beizutragen, weil der Zwang zur Belastung von Angehörigen mit dem Persönlichkeitsrecht des Zeugen unvereinbar wäre wie ein gegen den Zeugen geübter Zwang zur Selbstbelastung. Die Regelung lässt das öffentliche Interesse an möglichst unbehinderter Strafverfolgung hinter das persönliche Interesse des Zeugen zurücktreten, nicht gegen einen Angehörigen aussagen zu müssen. II. Fraglich ist, ob die Angaben der Ehefrau des A in dem familiengerichtlichen Verfahren dem Anwendungsbereich des § 252 StPO unterfallen und deshalb ein Beweisverwertungsverbot nach sich ziehen. § 252 StPO verbietet es insoweit, die Aussage eines vor der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Recht, das Zeugnis zu verweigern, Gebrauch macht, zu „verlesen“. Nach fast einhelliger Auffassung enthält die Vorschrift – über ihren Wortlaut als Verlesungsverbot für Urkunden (vgl. § 249 I StPO) hinaus – ein absolutes Verbot, den Inhalt der bei einer nicht richterlichen Vernehmung gemachten früheren Aussage in irgendeiner Form zu verwerten. „[12] […] Die ursprünglich den Angeklagten durch ihre umfassenden Aussagen im Zuge polizeilicher Vernehmungen belastende Ehefrau hat zwar angekündigt, in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 I Nr. 2 StPO Gebrauch zu machen; dies hatte sie bereits kurz vor Abschluss des Ermittlungsverfahrens auch schon im Zuge von polizeilichen Nachvernehmungen getan. […] Die Zeugin hatte […] Angaben vor dem Familiengericht des Amtsgerichts gemacht, bei dem sie einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Schutzanordnung nach § 1 des Gesetzes zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen (Gewaltschutzgesetz - GewSchG) gestellt hatte. Diese unterstehen nicht dem Beweisverwertungsverbot des § 252 StPO. Jura Intensiv [13] Die von § 252 StPO vorgesehene Rechtsfolge eines Verlesungsverbots wird als allgemeines Beweisverwertungsverbot verstanden. Diese Rechtsfolge erstreckt sich indes nur auf solche Angaben, die der Zeugnisverweigerungsberechtigte im Rahmen einer Vernehmung vor der Hauptverhandlung getätigt hat. [14] Der Vernehmungsbegriff ist zwar weit auszulegen und erfasst - unabhängig davon, ob die Angaben förmlich protokolliert oder nur in einem internen Vermerk festgehalten werden - alle Bekundungen über wahrgenommene Tatsachen auf Grund einer offen von einem staatlichen Organ durchgeführten Befragung. Im Wege einer entsprechenden Anwendung der Norm sollen auch frühere vernehmungsbasierte Aussagen eines Zeugnisverweigerungsberechtigten in einem Zivilrechtsstreit erfasst sein, da sich ein Zeuge, der in einem Zivilrechtsstreit oder aber in einem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit Aussagen zu machen hat, die geeignet sind, einen Angehörigen zu belasten, in einer Lage befindet, die derjenigen des Zeugen im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vergleichbar ist. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 09/2018 Referendarteil: Strafrecht 507 [15] Unabhängig von der jeweils zugrunde liegenden Prozessordnung bleibt für eine Verwertung im Strafverfahren aber erkennbar stets maßgeblich, ob die Angaben des Zeugnisverweigerungsberechtigten im Zuge einer amtlich initiierten Vernehmung erfolgten. Von § 252 StPO nicht erfasst sind daher Äußerungen, die der Zeuge unabhängig von einer Vernehmung - etwa gegenüber Privatpersonen - gemacht hat. Dies gilt gleichermaßen für Erklärungen gegenüber Amtspersonen, die er von sich aus außerhalb einer Vernehmung, etwa bei der Bitte um polizeiliche Hilfe, bei einer nicht mit einer Vernehmung verbundenen Strafanzeige (§ 158 StPO) oder aber bei sonstigen Verlangen nach behördlichem Einschreiten „spontan“ und „aus freien Stücken“ abgegeben hat. [16] An einer Vernehmung fehlte es hier. Die Zeugin ersuchte im Wege eines privatautonomen und eigeninitiativ gestellten Antrags um den Erlass einer einstweiligen gerichtlichen Schutzanordnung nach § 1 GewSchG. [17] Diese Schutzanordnung wird allein auf Antrag hin nach §§ 210, 214 I S. 1 FamFG in Verbindung mit den weiteren verfahrensrechtlichen Maßgaben aus §§ 26, 51 FamFG erwirkt. Schon begrifflich gibt es daher keine Übereinstimmung mit einem initialen und hoheitlichen Auskunftsverlangen. [18] Diese Auslegung wird bestätigt durch eine nähere Betrachtung des hier maßgeblichen Prozessrechts. Für einen formell ordnungsgemäßen Antrag sind die behaupteten Verletzungs- oder Bedrohungshandlungen im Einzelnen konkret nach Zeit, Ort, Beteiligten, Ablauf und Folgen schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle darzulegen und nach § 51 I S. 2 FamFG glaubhaft zu machen, um hierdurch eine Entscheidung nach Aktenlage zu ermöglichen. Das Gericht kann hierüber sodann ohne mündliche Verhandlung nach summarischer Prüfung entscheiden (§ 51 II S. 2, § 31 FamFG). Vor diesem prozessualen Hintergrund ist erkennbar, dass es noch nicht einmal zu einer Befragung des Antragstellers kommen muss. [19] Etwas anderes folgt auch nicht aus der Sachaufklärungspflicht des für den Erlass der einstweiligen Schutzanordnung zuständigen Familiengerichts (§ 26 FamFG). Zwar soll die Tatsache, dass ein Zeuge von sich aus Kontakt zu einer Behörde aufnimmt, jedenfalls in den Fällen, in denen die staatliche Stelle von Amts wegen tätig werden muss, für sich allein nicht ohne weiteres ausreichen, um die Verwertbarkeit der entsprechenden Angaben zu begründen. So liegt es hier indes nicht. Denn das Familiengericht hatte - wie in aller Regel im Gewaltschutzverfahren - allein aufgrund des schlüssigen Antragsvorbringens entschieden und damit aus sachlichen Gründen von einer vorherigen mündlichen Verhandlung und von einer Beweisaufnahme durch Vernehmung der Beteiligten (vgl. § 33 I FamFG) abgesehen. Jura Intensiv Nach ganz herrschender Meinung umfasst der Begriff der „Vernehmung“ in § 252 StPO auch Angaben bei einer nur informatorischen Befragung durch Polizeibeamte, da hier das Schutzbedürfnis des Zeugen sogar noch größer ist als bei einer förmlichen Vernehmung mit vorgeschriebener Belehrung (vgl. BayObLG, Beschluss vom 06.10.2004, 1 St RR 101/04; Weidemann/Scherf, Die Revision im Strafrecht, Rn 348). Wendet sich eine Auskunftsperson unaufgefordert aus freien Stücken an die Polizei, um deren Schutz nachzusuchen oder eine Strafanzeige zu erstatten, so stellen derartige sog. Spontanäußerungen keine „Aussage“ bei einer Vernehmung“ i.S.v. § 252 StPO dar. Da sie nicht in Erfüllung von Zeugenpflichten erfolgen, sind sie uneingeschränkt verwertbar. [20] Für eine entsprechende Anwendung der Vorschrift auf Aussagen, die außerhalb von Vernehmungen getätigt wurden, ist kein Raum. Es fehlt für diese - mehrfach analoge - Anwendung schon an einer erkennbaren planwidrigen Regelungslücke. Der Rechtsprechung ist es daher versagt, den Konflikt zwischen Zeugeninteressen und dem legitimen Allgemeininteresse an der Aufklärung strafbarer Sachverhalte und an einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege zulasten der Allgemeinheit aufzulösen. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis
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