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RA Digital - 09/2019

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484 Öffentliches Recht

484 Öffentliches Recht RA 09/2019 Weitere denkbare Grundrechte (insbes. Art. 4 I, II GG) hat das OVG nicht angesprochen, was aber in einer Klausur erfolgen müsste. Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, § 47 Rn 156 Eine Antragsfrist gibt es im Eilrechtsschutz nicht. Obersatz = Wortlaut des § 47 VI VwGO Gleicher Maßstab wie bei § 32 BVerfGG • Folgenabwägung Grundsatz: Erfolgsaussichten in der Hauptsache irrelevant Ausnahme: Antrag in der Hauptsache ist evident erfolglos oder evident erfolgreich In einer Klausur ist die Wirksamkeit der angegriffenen Vorschrift hingegen immer zu prüfen! Eine bloße Folgenabwägung ist zu wenig. § 14 II GemO: „Die Einwohner der Gemeinde sind im Rahmen des geltenden Rechts berechtigt, die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde zu benutzen. […]“ Schlüsselwort: Anstaltsgewalt = Hausrecht jedenfalls in ihrem aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz – GG – folgenden Anspruch auf Gleichbehandlung verletzt und daher antragsbefugt. […]“ IV. Antragsgegner Der Antrag richtet sich gem. § 47 II 2, VI VwGO zu Recht gegen die Stadt Koblenz, die die umstrittene Vorschrift erlassen hat. V. Beteiligungs- und Prozessfähigkeit Die Beteiligungs- und Prozessfähigkeit folgt für A aus §§ 61 Nr. 1 Alt. 1, 62 I Nr. 1 VwGO und für die Stadt Koblenz aus §§ 61 Nr. 1 Alt. 2, 62 III VwGO, die gem. § 47 I 1 GemO durch ihren Oberbürgermeister vertreten wird. Demnach ist der Eilantrag gem. § 47 VI VwGO zulässig. B. Begründetheit des Antrags Der Eilantrag ist gem. § 47 VI VwGO begründet, wenn der Erlass der einstweiligen Anordnung zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. „Da sich der Wortlaut des § 47 Abs. 6 VwGO an § 32 Bundesverfassungsgerichtsgesetz […] anlehnt, sind die vom Bundesverfassungsgericht hierzu entwickelten Grundsätze auch bei der Anwendung des § 47 Abs. 6 VwGO heranzuziehen. Danach sind bei der Prüfung, ob eine einstweilige Anordnung auf Aussetzung einer Norm geboten ist, die Folgen abzuwägen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag später aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber erfolglos bliebe. Bei der gebotenen Abwägung haben die Gründe, die der um vorläufigen Rechtsschutz Nachsuchende für die Unwirksamkeit der Norm anführt, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, der Antrag in der Hauptsache erweist sich von vornherein als unzulässig oder die angegriffene Norm als offensichtlich gültig oder offensichtlich ungültig.“ Jura Intensiv Hier könnte die umstrittene Regelung über die zulässige Badekleidung evident ungültig sein. I. Ermächtigungsgrundlage für die Badekleidungsvorschrift Als Ermächtigungsgrundlage für die Badekleidungsvorschrift kommt Art. 28 II 1 GG i.V.m. § 14 II GemO in Betracht. „Die Befugnis der Antragsgegnerin, die Schwimmbäder als öffentliche Einrichtungen zu betreiben, umfasst auch die Ermächtigung, das Benutzungsverhältnis generell durch Sonderverordnung zu regeln. Aufgrund ihrer Anstaltsgewalt ist sie auch ohne ausdrückliche Rechtsgrundlage zur Ermöglichung und Verwirklichung der Anstaltszwecke der öffentlichen Einrichtung „Schwimmbad“ berechtigt, einseitig hoheitlich abstrakte und generelle Bestimmungen zur Regelung dieses Sonderverhältnisses zu erlassen. II. Formelle Rechtmäßigkeit der Badekleidungsvorschrift In formeller Hinsicht begegnet die umstrittene Vorschrift keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere ist sie wirksam bekannt gegeben worden. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 09/2019 Öffentliches Recht 485 „[…] Da es sich bei der Badeordnung nicht um eine Rechtsverordnung im Sinne der Art. 80 Abs. 1 GG […] handelt, müssen die dortigen besonderen Anforderungen an die formelle Rechtmäßigkeit nicht eingehalten werden. Zur Festlegung der Modalitäten des Zugangsanspruchs innerhalb des Widmungszwecks bedarf es des Weiteren […] weder unbedingt des Erlasses einer Satzung auf der Grundlage des § 24 GemO noch einer öffentlichen Bekanntmachung der Badeordnung. Vielmehr reicht es aus, dass diese als Sonderverordnung an gut sichtbarer Stelle in den Schwimmbädern der Antragsgegnerin ausgehängt wird. […]“ Reduzierte Formerfordernisse, da Badeordnung weder Rechtsverordnung noch Satzung • gut sichtbarer Aushang genügt für Bekanntmachung III. Materielle Rechtmäßigkeit der Badekleidungsvorschrift Materiell-rechtlich könnte die Bekleidungsvorschrift gegen Art. 3 I GG verstoßen. Das setzt eine Ungleichbehandlung ohne sachlichen Grund voraus, die hier bzgl. der Neoprenanzüge in Betracht kommt. „Neoprenanzüge können ebenso wie Burkinis den ganzen Körper bedecken und haben unter Umständen auch eine Kopfhaube, lassen daher zur Kontrolle durch das Badepersonal nicht weniger Körperteile frei als Burkinis. Dass Neoprenanzüge nur während des Schwimmtrainings zugelassen sind, vermag daran nichts zu ändern. Dadurch dürfte zwar die Zahl der Badegäste, die in einem solchen schwimmen (und folglich auch die von ihnen ausgehenden potentiellen Gesundheitsgefahren), eher gering sein. Dies gilt aber in gleicher Weise für die Trägerinnen von Burkinis, weil nach den Angaben der Antragsgegnerin die städtischen Schwimmbäder zur Zeit von nur fünf Burkini-Trägerinnen besucht werden. Es ist auch nicht ansatzweise erkennbar, dass diese weniger verantwortungsvoll handeln, wenn sie an Krankheiten leiden. Dass im Falle des Tragens von Neoprenanzügen während des Schwimmtrainings der Schwimmtrainer diesbezügliche Verantwortung übernimmt und die Körper der Athleten vor dem Überziehen der Neoprenanzüge kontrolliert, erscheint fernliegend, […]. […] Die fehlende Konsequenz der angegriffenen Vorschrift wird im Übrigen auch dadurch deutlich, dass nach Ziff. IV Nr. 5 Badeordnung UV-Protektionsshirts und -hosen, die insbesondere für Kinder im Freibad einen guten Schutz vor Sonneneinstrahlung bieten, nicht gestattet sein dürften. Der Senat geht nicht davon aus, dass dies gewollt ist. Unklar bleibt letztlich auch, warum der Schutz vor Gesundheitsgefahren nachrangig ist, wenn der Burkini im Rahmen des Schulschwimmens getragen wird. Auch insoweit erscheint eine wirksame Kontrolle durch das Lehrpersonal lebensfremd.“ Jura Intensiv Vergleichbarkeit von Burkinis und Neoprenanzügen Verstoß gegen Art. 3 I GG ist so eindeutig, dass eine komprimierte Prüfung zulässig ist. Auf weitere Grundrechtsverstöße (Art. 2 I, 4 I, II GG) geht das OVG nicht ein, was in einer Klausur aber verlangt wird. Somit verstößt die umstrittene Bekleidungsvorschrift eindeutig gegen Art. 3 I GG und ist damit evident ungültig. Folglich ist der Eilantrag der A gem. § 47 VI VwGO zulässig und begründet, hat also Erfolg. FAZIT Wie sich im Frühjahr dieses Jahres gezeigt hat, können auch eher unbekannte prozessuale Verfahren wie § 32 BVerfGG Gegenstand einer Examensklausur sein. Da § 47 VI VwGO durchaus mit § 32 BVerfGG vergleichbar ist, sollte die Entscheidung dazu genutzt werden, sich mit den Grundzügen beider Verfahren zu beschäftigen. Merkhilfe für die Prüfung ist dabei, dass Eilrechtsschutzverfahren im Wesentlichen genau so geprüft werden wie das spätere Hauptsacheverfahren. Materiell-rechtlich bemerkenswert sind vor allem die gerichtlichen Ausführungen zur Anstaltsgewalt und zur Bekanntmachung der Badeordnung. § 32 BVerfGG war im Febr. 2019 im 1. Examen Gegenstand einer Ringtauschklausur in Bad.-Württ., Hessen, NRW, Rh.-Pfalz und dem Saarland. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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