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RA Digital - 09/2019

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488 Referendarteil:

488 Referendarteil: Öffentliches Recht RA 09/2019 Widerspruchsverfahren als Teil der Geschichtserzählung: In Mecklenburg- Vorpommern ist bei belastenden Verwaltungsakten grundsätzlich ein Widerspruchsverfahren durchzuführen. Es entfällt nur in den – hier nicht einschlägigen – Fällen des § 13 Gerichtsstrukturgesetz. Da der Kläger hier am 13. April 2018 und damit eindeutig innerhalb der Monatsfrist Klage erhoben hat, ist die Nennung des Zustellungsdatums eigentlich nicht erforderlich. Klageerhebung: Indikativ Perfekt Klägervorbringen: Konjunktiv Präsens Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 28. Januar 2018 Widerspruch ein. Darin führte er aus, dass juristisch nicht bestimmt sei, was „Reichsbürger“ seien. Der Begriff „Reichsbürger“ sei zudem auf das menschenverachtende und intolerante NS-Gesetz gleichen Namens vom 15. September 1935 zurückzuführen. Damit sei eine persönliche und nicht hinnehmbare Entehrung verbunden. [...] Anders als im Bescheid unterstellt werde, akzeptiere er die bestehende Rechtsordnung selbstverständlich als verbindlich und halte vertragliche Verpflichtungen peinlich genau ein. Dies zeige er dadurch, dass er die Verfahrenskosten fristgemäß überweisen und die Waffen unter Übersendung der Waffenbesitzkarten innerhalb der sechswöchigen Frist an einen Berechtigten übergeben werde. Mit Schreiben vom 14. Februar 2018 beantragte der Kläger, die sechswöchige Frist zur Überlassung der Waffen an einen Berechtigten und zur Aushändigung der Waffenbesitzkarten erst mit Zustellung des Widerspruchsbescheides wirken zu lassen. Weiter heißt es in dem Schreiben: „Falls bis zum 19.02.2018 keine gegenteilige Mitteilung vorliegen sollte, wird diesseits davon ausgegangen, daß der Antrag positiv entschieden wurde.“ Mit Schreiben vom 20. Februar 2018 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass mangels Äußerung bis zum vorangegangenen Tag konkludent festgestellt werde, dass der Termin 7. März 2018 hinfällig geworden sei. Mit weiterem Schreiben vom 25. Februar 2018 teilte er dem Beklagten mit: „Da der gestellte Antrag vom 14. bzw. 20. d. M., den Beginn der sechs-​Wochenfrist auf den Zeitpunkt der Zustellung des Widerspruchsbescheids zu verlagern, nicht angesprochen bzw. beschieden wurde, gilt er im Wege der Konklusion als genehmigt, wofür ebenfalls gedankt wird.“ Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16. März 2018, zugestellt am 17. März 2018, zurück. Es wurde zudem die sofortige Vollziehung der Ziffern 2 und 3 des Ausgangsbescheids angeordnet und in Ziffer 3 bestimmt, dass die im Ausgangsbescheid gesetzte sechswöchige Frist am 7. März 2018 abgelaufen ist. Zur Begründung wurde unter Bezugnahme auf die Begründung des Ausgangsbescheids ergänzend ausgeführt, dass die Zugehörigkeit zur „Reichsbürgerszene“ und die zweifelhafte Rechtstreue des Klägers durch dessen Einlassungen im laufenden Widerspruchsverfahren noch verstärkt worden seien. Der Antrag, den Beginn der Sechswochenfrist auf die Zustellung des Widerspruchsbescheides zu verschieben, verbunden mit der Annahme durch das Schweigen des Beklagten darauf sei eine Genehmigungsfiktion („Konklusion“) eingetreten, zeige, dass er nicht die Behörde, sondern sich selbst als regelsetzungs- und anweisungsbefugt ansehe. [...] Jura Intensiv Der Kläger hat am 13. April 2018 Klage erhoben. Er meint, der Schluss, ein „Reichsbürger“ lehne stets die Rechtsordnung ab und sei daher unzuverlässig, treffe nicht zu. [...] Die Prognose, dass er Vorschriften des Waffengesetzes missachten würde, sei fernliegend und auch nach den Regeln des Anscheinsbeweises nicht haltbar. Er erkenne das gesamte Rechtssystem mit allen Rechtsvorschriften vorbehaltlos an. Als beseeltes Lebewesen besitze er ausschließlich Rechte auch „gegenüber dem Staat“, wie etwa die Verweigerung der Zahlungen an die Stadt Sassnitz, wenn dadurch niemand einen Schaden erleide. [...] Mit der Instrumentalisierung der „Reichsbürger“-Sekten und deren Ideologie werde darüber hinaus die Unschuldsvermutung ausgehebelt und eine Beweislastumkehr eingeführt. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 09/2019 Referendarteil: Öffentliches Recht 489 Die Wahrheit seiner Behauptungen stehe zudem aufgrund seines an das Gericht versandten „Affidavits“ vom 27. Dezember 2018 fest, weil der Beklagte den darin enthaltenen selbst beeideten Tatsachen nicht innerhalb einer Frist von sieben Tag in Form eines Gegenaffidavits widersprochen habe. Der Kläger beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 19. Januar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. März 2018 aufzuheben. Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Er verteidigt seine getroffene Entscheidung und ergänzt, dass die vorliegende Einschätzung durch das vom Kläger ausgestellte „Affidavit“, mit dem der Kläger zu erkennen gebe, dass er sich auch über prozessuale Regeln hinwegsetze, besonders deutlich werde. Zudem gebe es Einlassungen des Klägers zwischen Dezember 2018 und Februar 2019 gegenüber dem Zweckverband Wasser und Abwasser Rügen (ZWAR), in denen sich der Kläger, statt die Gebührenforderung zu begleichen, als öffentlicher Kreditgeber geriere und den ZWAR mit einem Haftungsakzept abspeisen wolle. Dies sei für die „Reichsbürgerszene“ typisch und belege die weiter fortschreitende Radikalisierung des Klägers. Gleiches gelte für das klägerische Verhalten gegenüber dem Landesamt für Finanzen. Am 28. Mai 2018 ist die Sicherstellung der beim Beklagten vorgefundenen Waffen, Waffenteile und Munition erfolgt. [...] ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO). Die Klage hat keinen Erfolg. Die nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet. Der Bescheid vom 19. Januar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. März 2018 ist rechtmäßig und der Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Jura Intensiv Der Widerruf der Waffenbesitzkarten gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG in Ziffer 1 des Bescheides vom 19. Januar 2018 ist rechtmäßig. Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG ist eine waffenrechtliche Erlaubnis – vorliegend die Waffenbesitzkarte nach § 10 Abs. 1 WaffG – zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Eine waffenrechtliche Erlaubnis ist nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 WaffG zu versagen, wenn der Antragsteller nicht die erforderliche Zuverlässigkeit i.S.v. § 5 WaffG besitzt. Die erforderliche Zuverlässigkeit besitzen gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG Personen nicht, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden (Buchst. a) oder mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren werden (Buchst. b) oder Waffen oder Munition Personen überlassen werden, die zur Ausübung der tatsächlichen Gewalt über diese Gegenstände nicht berechtigt sind (Buchst. c). Anträge: Indikativ Präsens Beklagtenvorbringen: Präsens Konjunktiv Zeitform: Indikativ Perfekt, da die Sicherstellung nach Klageerhebung erfolgte. Allerdings werden in der Praxis Ereignissen nach Klageerhebung, die keine direkten prozessualen Auswirkungen haben, oftmals auch als Teil der Geschichtserzählung angesehen und im Indikativ Imperfekt wiedergegeben. Dass die Entscheidung im schriftlichen Verfahren ergeht, ist üblicherweise nur im Prozessvorspann zu Beginn der Entscheidungsgründe zu erwähnen. Die Einverständniserklärung der Beteiligten findet in der Praxis in der Regel keine Erwähnung im Tatbestand. Wichtig: Die Ermächtigungsgrundlage genau und vollständig zitieren! Sehr anschaulich ist hier der „Schachtelaufbau“: 1. Wann ist waffenrechtliche Erlaubnis zu widersagen? 2. Liegen nachträgliche Tatsachen vor, die zur Versagung hätten führen müssen? 3. Ist Kläger unzuverlässig? © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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