460 Zivilrecht RA 09/2020 B1 hat die konkreten Pflichten delegiert. [22] Soweit eine Gefahrenquelle dem Einflussbereich des zunächst Verkehrssicherungspflichtigen - wie im vorliegenden Fall durch die Überlassung des Grundstücks an die Beklagte zu 2 - ganz oder teilweise entzogen ist, kommt es für die haftungsrechtliche Zurechnung vor allem darauf an, wer in der Lage ist, die zur Gefahrenabwehr erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Dies hängt - worauf die Beklagte zu 1 zutreffend verweist - wesentlich von der tatsächlichen Verfügungsgewalt über die jeweilige Gefahrenquelle ab (…). Wird die Verkehrssicherungspflicht auf einen Dritten unter gleichzeitiger Einräumung des unmittelbaren Besitzes delegiert, so wird der Dritte für den Gefahrenbereich nach allgemeinen Deliktsgrundsätzen verantwortlich. Damit steht fest, dass B1 keine unmittelbare winterliche Räumungs- und Streupflicht traf. Verbleiben einer Aufsichts- und Kontrollpflicht Auf § 831 BGB kommt es hier nicht an. Es geht um Verkehrssicherungspflichten. Stets bei Überwachungspflichten zu überprüfen: Liegen Anhaltspunkte vor, dass derjenige, der die aufgabenbezogenen Pflichten faktisch übernommen hat, diese nicht mit der nötigen Sorgfalt erfüllt? 2. Verletzung einer Aufsichts- und Kontrollpflicht Fraglich ist, ob B1 eine Aufsichts- und Kontrollpflicht durch Unterlassen verletzt hat und dies kausal zur Körperverletzung geführt hat. [23] Damit ist der ursprüngliche Verkehrssicherungspflichtige - hier also die Beklagte zu 1 - jedoch nicht völlig entlastet. Dass die Beklagte zu 2 selbst originär verkehrssicherungspflichtig ist, ändert daran nichts. Der ursprünglich Verkehrssicherungspflichtige bleibt zur Überwachung des Dritten verpflichtet und ist insofern neben diesem selbst noch verantwortlich (…). Erforderlichenfalls muss der originär Verpflichtete die Einhaltung der Verkehrssicherungspflicht sogar erzwingen (…). [24] Die Haftung für die Verletzung von Auswahl- und Überwachungspflichten ist unabhängig davon, ob die Voraussetzungen des § 831 BGB vorliegen. Denn bei diesem Haftungstatbestand handelt es sich um einen Fall normierter Verkehrssicherungspflichten, die grundsätzlich bei § 823 BGB zu lokalisieren sind, bezüglich derer aber die Beweislastverteilung besonders ausgestaltet ist (…) [25] Werden Räum- und Streupflichten delegiert, ist mit Rücksicht auf die durch Eis- und Schneeglätte drohenden Gefahren für Leben und Gesundheit an das Maß der bei der Überwachung anzuwendenden Sorgfalt grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen (…). In Grenzen kann der ursprünglich Verpflichtete jedoch darauf vertrauen, dass der (nunmehr) Verpflichtete der Pflicht auch nachkommt, solange nicht konkrete Anhaltspunkte hervortreten, die dieses Vertrauen erschüttern müssen (…). Dies gilt insbesondere dann, wenn die primäre Zuständigkeit für einen Gefahrenbereich auf ein Fachunternehmen übergeht; der Beaufsichtigung eines Fachunternehmens sind durch das Erfordernis einer vertrauensvollen Zusammenarbeit sowie durch dessen Selbstständigkeit und Weisungsunabhängigkeit Grenzen gesetzt (…). Hiervon kann im vorliegen-den Fall in Bezug auf die Beklagte zu 2 ausgegangen werden. Denn die Organisation eines Winterdienstes ist typischerweise Teil der Tätigkeit einer Gesellschaft, deren Geschäftszweck - wie es der Betrieb eines Bahnhofs voraussetzt - die Verwaltung und Betreuung einer Liegenschaft umfasst. Jura Intensiv B1 oblag es allerdings, sich stichprobenartig ein Bild davon zu verschaffen, ob B2 dieser Pflicht auch nachkam. Indem B2 die Pflichten wiederum an X delegierte, musste B1 überprüfen, ob B2 X pflichtgemäß kontrollierte. Eine solche Stichprobe geschah am 05.12.2016. Zu einer weiteren Stichprobe Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 09/2020 Zivilrecht 461 bestand mangels Auffälligkeiten bei Erfüllung der Pflichten seitens X kein Anlass. Fraglich, ob die Körperverletzung kausal auf einer fehlenden Kontrolle seitens B1 beruht. Es entspricht nicht der Lebenserfahrung, dass der verkehrssicherungspflichtige Zustand, der zum Unfall geführt hat, bei einer weiteren stichprobenartigen Kontrolle der X durch B1 und B2 festgestellt und rechtzeitig vor dem Unfall beseitigt worden wäre. [35] Soweit anerkannt ist, dass im Fall des Verstoßes gegen Schutzgesetze oder technische Regelwerke wie Unfallverhütungsvorschriften, die dem Schutz vor bestimmten Gefahren dienen, der Anscheinsbeweis hinsichtlich der Kausalität für solche Schäden, die vom Schutzzweck umfasst sind, zu bejahen ist, und dies auch beim Verstoß gegen Verkehrssicherungspflichten in Betracht kommt (…), lässt sich hieraus nichts Gegenteiliges herleiten. Denn dieser auf der allgemeinen Lebenserfahrung gestützte Ursächlichkeitszusammenhang betrifft allein die „primäre“ Pflicht, gefahrträchtige Zustände durch geeignete Vorkehrungen zu beherrschen. Im Streitfall steht jedoch allein die „sekundäre“ Pflicht in Rede, die Durchführung zulässigerweise übertragener Pflichten zu überwachen. [36] Allein die Erwägung, dass der Verstoß gegen Kontrollpflichten nicht sanktionslos bleiben dürfe und deshalb Beweisschwierigkeiten des Geschädigten zulasten des pflichtwidrig Handelnden gehen müssen, rechtfertigt keine Beweislastumkehr (…). Dieser Ansicht steht entgegen, dass bei der Delegation von Verkehrssicherungspflichten die Haftung derjenigen in den Vordergrund tritt, welche die drohenden Gefahren vor Ort beherrschen können. Der Geschädigte ist nicht darauf beschränkt, den ursprünglich Verpflichteten in Anspruch zu nehmen. Darüber hinaus legt selbst ein vollständiges Unterlassen der Kontrollund Überwachungspflichten eine Schädigung nicht besonders nahe. Folglich liegt kein haftungsbegründender Kausalzusammenhang vor. B1 haftet nicht aus § 823 I BGB. V. Zwischenergebnis B1 haftet der K nicht auf Schmerzensgeld. Jura Intensiv B. Ansprüche der K gegen B2 auf Zahlung von Schmerzensgeld Entscheidender Aspekt des Urteils: Der Anscheinsbeweis der Kausalität greift bei der Verletzung sekundärer Verkehrssicherungspflichten nicht! Entscheidender Aspekt des Urteils: Das Opfer muss denjenigen in Anspruch nehmen, der die drohenden Gefahren vor Ort beherrschen sollte und versagt hat. I. Anspruch aus § 781 BGB B2 hat ein konstitutives Anerkenntnis erklärt, K 7.500 € zu zahlen. Damit steht eine Zahlungspflicht aus einem Anerkenntnis gem. § 781 BGB fest. II. Anspruch aus §§ 280 I, 311 II, 241 BGB K könnte gegen B2 einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes gem. §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB i. V. m. § 253 II BGB haben. [38] Ebenso wenig wie mit der Beklagten zu 1 bestand ein Schuldverhältnis mit der Beklagten zu 2, was einen Schadensersatzanspruch gemäß § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB (ggf. in Verbindung mit § 311 Abs. 2 BGB) ausschließt. III. Haftung aus § 1 HaftpflichtG K könnte gegen B2 einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes gem. §§ 1 HaftpflichtG, 253 II BGB haben. An dieser Stelle müssen Sie in Examensklausuren genau hinschauen: Der Anwendungsbereich des § 311 II Nr. 2 BGB kann stets eröffnet sein, wenn die Gelegenheit zum Vertragsschluss geboten wird, etwa im Kaufhaus. Im vorliegenden Fall fehlten genauere Angaben hierzu im Tatbestand des Urteils. Die erstinstanzliche Entscheidung liegt der Redaktion nicht vor. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis
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