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RA Digital - 09/2020

Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

470 Referendarteil:

470 Referendarteil: Zivilrecht RA 09/2020 dass alle Bars und Schankwirtschaften den Betrieb einzustellen haben. Dieses Verbot galt bis zum (…). K hat aus staatlichen Mitteln eine Soforthilfe für den Betrieb der Gaststätte „…“ i. H. v. 25.000 € erhalten. Nach den Bedingungen des Zuwendungsbescheides ist dieser Betrag jedoch zurückzuzahlen, soweit B Leistungen aus dem streitgegenständlichen Versicherungsverhältnis erbringt. Mit Schreiben vom (…) lehnte B den Versicherungsschutz ab. Der streitige Klägervortrag wird im Präsens und indirekter Rede dargestellt. Trennen Sie – sofern beides vorgetragen wird – zwischen Tatsachenbehauptungen und Rechtsansichten. Aktuelle Anträge sind hervorzuheben. Dies erfolgt stets durch Einrücken, Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 313 Rn 19. Formalien: Klagen werden abgewiesen, zivilgerichtliche Anträge zurückgewiesen und behördliche Anträge werden abgelehnt. Der streitige Beklagtenvortrag wird – wie der des Klägers – im Präsens und indirekter Rede dargestellt. Trennen Sie hier ebenfalls – sofern beides vorgetragen wird – zwischen Tatsachenbehauptungen und Rechtsansichten. Der Verfügungsanspruch ist der zu sichernde Anspruch, dessen Bestehen aufgrund einer summarischen Prüfung festzustellen ist. Dies bedeutet, dass kein Vollbeweis erforderlich ist, sondern auch eine Glaubhaftmachung ausreicht. Um eine Tatsache glaubhaft zu machen, stehen der Partei sämtliche Beweismittel der ZPO zur Verfügung und die eidesstattliche Versicherung. K vertritt die Rechtsauffassung, dem Eintritt des Versicherungsfalls stehe nicht entgegen, dass zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Jahr 2018 weder das neuartige Corona-Virus als Krankheitserreger noch die bei einer Infektion auftretende Krankheit Covid-19 in der Auflistung unter (…) enthalten seien. Denn den Versicherungsbedingungen sei zu entnehmen, dass diese Auflistung maßgeblich auf die gesetzlichen Regelungen im Infektionsschutzgesetz (IfSG) verweisen solle. Zudem vertritt K die Rechtsauffassung, dass die erhaltene staatliche Soforthilfe der Annahme des Verfügungsgrundes nicht entgegenstehe, da diese autark zu betrachten sei. K beantragt, die B zu verpflichten, an die Verfügungsklägerin 30.465,71 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.04.2020 zu zahlen. B beantragt, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen. B vertritt die Rechtsansicht, dass ein Versicherungsfall nicht vorliege. Darüber hinaus fehle es an einer bedingungsgemäßen behördlichen Schließungsmaßnahme. Bei den von der Verfügungsklägerin ins Feld geführten Maßnahmen handele es sich um allgemeingültige social-distancing- Maßnahmen zur Regulierung des gesellschaftlichen Zusammenlebens als Teil der weltweiten Reaktion auf das neuartige Corona-Virus. ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE Der zulässige Antrag ist unbegründet. Die Voraussetzungen der §§ 945, 940 ZPO liegen nicht vor. Ein Verfügungsanspruch ist nicht gegeben. Darüber hinaus fehlt es am erforderlichen Verfügungsgrund. K hat keinen Anspruch gegen B auf bedingungsgemäße Versicherungsleistungen aus der Betriebsschließungsversicherung. Ein Versicherungsfall besteht nicht. Das Corona-Virus gehört nicht zu dem mit dem Versicherungsvertrag abgedeckten Katalog meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger. Jura Intensiv [27] Maßgeblich ist die Bedingung in Ziff. (…), die eine enumerative Auflistung der einzelnen Krankheiten (…) und Krankheitserreger (…) beinhaltet, auf die sich der Versicherungsschutz beziehen soll. Der Einleitungssatz in Ziff. (…) enthält mit dem Wort „nur“ eine ausdrückliche Erklärung, wonach eben nur die im Folgenden aufgeführten meldepflichtige Krankheiten oder meldepflichtigen Krankheitserreger solche im Sinne dieses Vertrages sind. Das zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht bekannte Corona-Virus ist in dieser enumerativen Auflistung nicht enthalten. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 09/2020 Referendarteil: Zivilrecht 471 [28] Entgegen der Auffassung der Verfügungsklägerin kommt eine Auslegung dieser Klausel dahingehend, dass auch künftige, erst später in das Infektionsschutzgesetz aufgenommene Krankheiten oder Krankheitserreger dem Versicherungsschutz unterfallen, nicht in Betracht. [29] Maßstab für die Auslegung ist, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse die jeweilige Klausel bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Zusammenhangs verstehen muss, ein individuelles Sonderwissen eines Versicherungsnehmers ist zu berücksichtigen, die Entstehungsgeschichte der Bedingung hingegen nicht (vgl. BGH (…)). Verbleibende Zweifel gehen nach § 305 c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders. [30] Legt man diesen Maßstab an, kann angesichts des klaren Wortlauts und des eindeutigen Sinnzusammenhangs der Klauseln zu Ziff. 8.2. ff. ABF ein Verständnis dahin, dass auch weitere, etwa erst zum Zeitpunkt der Betriebsschließung bekannte und in das Infektionsschutzgesetz aufgenommene Krankheiten oder Krankheitserreger vom Versicherungsschutz umfasst seien, obwohl sie in der Auflistung nicht genannt sind, nicht angenommen werden. Anders als in dem vom Landgericht Mannheim entschiedenen Fall (LG Mannheim, (…)) stellt sich bei der hier einschlägigen Klausel schon gar nicht die Auslegungsfrage, ob eine statische oder dynamische Verweisung auf das Infektionsschutzgesetz gegeben ist. Denn die Klauseln zu Ziff. 8.2 ff. ABF beinhalten überhaupt keine Verweisung auf das Infektionsschutzgesetz, sondern listen eigenständig die vom Versicherungsschutz umfassten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger auf. Aufgrund des unmissverständlichen Wortlauts der abschließenden Auflistung, welcher einleitend noch durch die Bezeichnung „nur“ verstärkt wird, verbietet sich eine Auslegung dahin, dass die Aufzählung etwa lediglich beispielhaft gemeint sein könnte. Klarstellend bleibt auszuführen, dass ebenfalls kein Verfügungsgrund vorliegt. Jura Intensiv [34] Bei einer Leistungsverfügung - wie vorliegend - als Unterfall der Regelungsverfügung gemäß § 940 ZPO ist ein Verfügungsgrund aufgrund der dadurch eintretenden Vorwegnahme der Hauptsache nur in Ausnahmefällen und unter strengen Vorgaben anzunehmen. Hierzu müssen kumulativ drei Voraussetzungen erfüllt sein: Die Verfügungsklägerin muss sich in einer existenziellen Notlage befinden, die die erstrebte Zahlung so dringlich macht, dass sie nicht bis zum Erlass eines vollstreckbaren Urteils in der Hauptsache warten kann; sie muss mit hoher bis an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Hauptsacheverfahren obsiegen und das Interesse der Verfügungsklägerin an der Zuerkennung des Zahlungsanspruchs bereits im Verfahren der einstweiligen Verfügung muss das Interesse der Verfügungsbeklagten unter Abwägung der beiderseitigen Belange, insbesondere des der Verfügungsklägerin aus der Nichterfüllung entstehenden oder drohenden Schadens einerseits und des von der Verfügungsbeklagten aus der sofortigen Erfüllung zu erwartenden Schadens andererseits, bei weitem überwiegen. (vgl. OLG Koblenz (…)). Keine Auslegung der Klausel über den eindeutigen Wortlaut hinaus BGH, Urteil vom 23.06.2004, IV ZR 130/03 LG Mannheim, Urteil vom 29.04.2020, 11 O 66/20 Grundsätzlich: Dynamische Verweisung: Verweisung auf eine Norm „in ihrer jeweils geltenden Fassung“. Statische Verweisung: Verweisung auf eine bestimmte Fassung einer Norm. Prüfung des Verfügungsgrundes nach der Prüfung des Verfügungsanspruches. Diese Konstellation wird in Ihrer Klausur wahrscheinlich nicht geprüft werden, da die Ausführungen zum Verfügungsgrund – strenggenommen – überhaupt nicht mehr zu erfolgen haben, da bereits der Verfügungsanspruch verneint wurde. Daher die Einleitung „Klarstellend bleibt auszuführen (…).“. OLG Koblenz, Urteil vom 03.02.2012, 10 U 610/11 © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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