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RA Digital - 09/2020

Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

478 Öffentliches Recht

478 Öffentliches Recht RA 09/2020 1. Freiheit der Wahl Inhalt des Grundsatzes der Freiheit der Wahl Mehrfache Beeinträchtigung: 1. Wähler/innen können nicht männlich/weiblich dominierte Listen wählen 2. Parteimitglieder können die Listen nicht so besetzen, wie sie das wollen Hinweis auf freiwillige Quotenregelung in einigen Parteien hilft nicht weiter, weil es beim Paritätsgesetz um eine staatliche Zwangsregelung geht. 3. Beeinträchtigung der passiven Wahlfreiheit, weil sich Bewerber/ innen nicht auf jeden Listenplatz bewerben können „Die Freiheit der Wahl verlangt, dass Wahlen nicht durch Zwang und Druck von staatlicher Seite beeinflusst werden und dass der Prozess der Willensbildung des Volkes „staatsfrei“ verläuft. Das Paritätsgesetz schränkt hingegen die Freiheit der Wählerinnen und Wähler ein, auf die Verteilung der Geschlechter im Parlament durch die Wahl einer Liste Einfluss zu nehmen, auf der jeweils nur oder überwiegend Männer oder Frauen aufgeführt sind. Die Wählerinnen und Wähler sind nicht mehr frei, durch die Wahl einer ausschließlich oder überwiegend männlich oder weiblich dominierten Liste mit zu bewirken, dass im Landtag mehr Frauen als Männer oder umgekehrt mehr Männer als Frauen vertreten sind. Auf diese Weise wird eine bestimmte geschlechtsbezogene Zusammensetzung des Parlaments determiniert. Hinsichtlich der Listenaufstellung wird zudem die Freiheit der Parteimitglieder eingeschränkt, auf den jeweiligen Listenplatz, der aufgrund des Paritätsgesetzes für das eine Geschlecht vorgesehen ist, einen Vertreter des anderen Geschlechts zu wählen. […] Dabei ist der Hinweis der Landesregierung, paritätische Quotenregelungen in Parteisatzungen würden weitestgehend für verfassungsgemäß gehalten, für sich genommen gewiss zutreffend. Doch solche Quotenregelungen finden ihre Rechtfertigung in der durch Art. 21 Abs. 1 GG garantierten Freiheit der Parteien, ihre innere Ordnung ihren programmatischen Zielen anzupassen. Aus dieser Freiheit folgt nichts für die Frage, ob durch ein staatliches Gesetz […] die aktive Wahlfreiheit beeinträchtigt wird. Vielmehr sind infolge dieser gesetzlichen Regelung die Parteien nicht mehr frei, Quoten einzuführen; durch die gesetzliche Regelung werden sie zur Einführung einer paritätischen Quote gezwungen. Das Paritätsgesetz beeinträchtigt zudem das durch Art. 46 Abs. 1 ThürVerf garantierte Recht der passiven Wahlfreiheit. Die Freiheit der Wahl begründet nicht nur das Recht, ohne staatliche Beeinträchtigung zu wählen, sondern auch, als dessen Kehrseite, das Recht, sich ohne staatliche Beschränkungen zur Wahl zu stellen (passive Wahlfreiheit). Aufgrund der Regelung, nach der die Liste […] abwechselnd mit Frauen und Männer zu besetzen ist […], wird die Freiheit eingeschränkt, sich auf einen konkreten Listenplatz zu bewerben, sofern dieser Platz aufgrund jener gesetzlichen Regelung mit einem Vertreter des jeweils anderen Geschlechts zu besetzen ist.“ Jura Intensiv Demnach ist die Freiheit der Wahl unter mehreren Gesichtspunkten beeinträchtigt. 2. Gleichheit der Wahl Inhalt des Grundsatzes der Gleichheit der Wahl Mehrfache Beeinträchtigung: 1. Ungleichbehandlung bei der Wahlvorbereitung durch Zurückweisung einer Liste „Das Recht der Wahlgleichheit […], das sich ebenso wie das der Wahlfreiheit auch auf die Wahl einer Landesliste erstreckt, gebietet es, dass jede Stimme den gleichen Zählwert und im Rahmen des Wahlsystems auch den gleichen Erfolgswert hat. Das Paritätsgesetz sieht hingegen vor, dass Listen, die nicht oder nicht durchgängig abwechselnd mit Frauen und Männern besetzt wurden, zurückzuweisen sind (§ 30 Abs. 1 Satz 5 ThürLWG). Bei der Aufstellung einer Liste verlieren folglich Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 09/2020 Öffentliches Recht 479 Stimmen ihren Einfluss auf das Wahlergebnis und damit ihren Erfolgswert, wenn diese für eine Frau oder einen Mann abgegeben werden, obwohl deren Kandidatur auf dem konkreten Listenplatz […] nicht zulässig war. Gleiches gilt mit Blick auf die Wahl der Liste bei der Landtagswahl. Würde eine Liste gebildet, die nicht in vollem Umfang den Anforderungen des Paritätsgesetzes entspräche, […] wären die gesetzeswidrigen Platzierungen zu streichen (§ 30 Satz 4, 2. Halbsatz ThürLWG). Erhielte eine Partei aus diesem Grund weniger Mandate als sie erhalten hätte, wenn sie auch die nicht zurückgewiesenen Kandidatinnen und Kandidaten hätte zur Wahl stellen dürfen, so führte auch dies zu einem anderen Erfolgswert. Der Erfolgswert der Stimmen, die für diese Partei mit den zurückgewiesenen Kandidatinnen und Kandidaten abgegeben worden wären, wäre geringer als der Erfolgswert der Stimmen, die eine Partei mit einer in vollem Umfang dem Paritätsgesetz entsprechenden Liste erhalten würde. Das Paritätsgesetz beeinträchtigt schließlich die passive Wahlrechtsgleichheit, die durch Art. 46 Abs. 1 ThürVerf in Verbindung mit Art. 46 Abs. 2 ThürVerf geschützt wird. Indem Art. 46 Abs. 2 ThürVerf jeden Bürger, der das achtzehnte Lebensjahr vollendet und im Freistaat Thüringen seinen Lebenswohnsitz hat, als „wählbar“ erklärt, garantiert er jedem einzelnen Bürger […] das Recht, sich zur Wahl zu stellen (passives Wahlrecht). Als Wahlbewerberinnen und Wahlbewerbern garantiert ihnen Art. 46 Abs. 1 ThürVerf zudem ein Recht auf Chancengleichheit. Diese passive Wahlrechtsgleichheit sichert eine chancengleiche Möglichkeit zur Kandidatur im innerparteilichen Aufstellungsverfahren; […]. Infolge des Paritätsgesetzes haben jedoch die jeweiligen Bewerber und Bewerberinnen mit Blick auf die konkreten Listenplätze nicht mehr die gleichen Chancen, einen Listenplatz zu erringen. Für die Kandidaten, gleich ob Mann oder Frau, fällt jeweils die Hälfte der Listenplätze weg, auf die sie sich bewerben könnten, wenn es das Paritätsgesetz nicht gäbe. Jura Intensiv Verfassungsrechtlich ist dabei nicht von Belang, dass das Paritätsgesetz […] Männern und Frauen jeweils die Hälfte der Listenplätze zuweist, so dass die Chance für die Vertreter der beiden Geschlechter, auf einen Listenplatz gewählt zu werden, im Ergebnis gleich wäre. Denn bei einer solchen Betrachtung würde verkannt, dass das Recht der passiven Wahlrechtsgleichheit das Recht einer jeden einzelnen Bürgerin und eines jeden einzelnen Bürgers ist. […]“ 2. Ungleichbehandlung bei der Wahl durch Streichung von Kandidaten/ innen 3. Beeinträchtigung der passiven Wahlrechtsgleichheit, weil Bewerber/ innen bzgl. konkreter Listenplätze, die dem anderen Geschlecht vorbehalten sind, nicht die gleiche Chance bei einer Kandidatur haben Hälftige Aufteilung der Gesamtzahl der Sitze ändert nichts, weil es hier um das Recht auf die Bewerbung um einen ganz bestimmten Sitz geht. Somit ist der Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit ebenfalls unter mehreren Gesichtspunkten beeinträchtigt. II. Beeinträchtigung des Art. 21 GG „Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG garantiert für politische Parteien die Gründungsund Betätigungsfreiheit, die sich auch auf die Organisations- und Programmfreiheit erstreckt. […] Die Betätigungsfreiheit von Parteien umfasst auch die Freiheit von Parteien, das Personal zu bestimmen, mit dem sie in den Wettbewerb um Wählerstimmen eintreten wollen. Diese Freiheit wird durch das Paritätsgesetz beeinträchtigt. […] Schutzgehalt des Art. 21 I 2 GG Mehrfache Beeinträchtigung: 1. Partei darf die Wahlbewerber/ innen nicht mehr frei auswählen © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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