484 Öffentliches Recht RA 09/2020 wollte, für die Organe und Einrichtungen des Freistaates paritätische Quotierungen einzuführen. Würde der Thüringer Verfassungsgerichtshof sich bei seiner Deutung und Anwendung des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 ThürVerf darüber hinwegsetzen, überschritte er die ihm durch die Verfassung übertragenen Kompetenzen und legte dieser Verfassungsnorm einen Gehalt bei, um den sie nur im Wege einer Verfassungsänderung gemäß Art. 83 ThürVerf erweitert werden könnte.“ Somit kann die in Art. 2 II 2 ThürVerf normierte Gleichstellungsverpflichtung die durch das Paritätsgesetz verursachten Beeinträchtigungen der Rechtspositionen aus Art. 46 I ThürVerf und Art. 21 I GG nicht rechtfertigen. Das Paritätsgesetz steht daher nicht im Einklang mit der Thüringer Verfassung. Literaturhinweise FAZIT Neben den Ausführungen zur speziellen Verfassungsrechtslage in Thüringen trifft der VerfGH mehrere wichtige rechtliche Feststellungen, die auf die anderen Bundesländer und das Grundgesetz übertragen werden können: • Die Wahlrechtsgrundsätze entfalten auch schon bei der Wahlvorbereitung ihre Schutzwirkung. • Die gesetzlich verpflichtende paritätische Besetzung einer Wahlliste beeinträchtigt die Wahlrechtsgrundsätze der Freiheit und Gleichheit der Wahl sowie die Rechte der Parteien aus Art. 21 I GG. • Die Zusammensetzung eines Parlaments ist kein genaues Spiegelbild der Gesellschaft, sondern das Ergebnis einer politischen Entscheidung der Wählerinnen und Wählern. • Das verfassungsrechtliche Gleichstellungsgebot von Frauen und Männern kann Eingriffe in die Wahlrechtsgrundsätze und in Art. 21 I GG grundsätzlich rechtfertigen, seine Anwendung wird also nicht durch spezielle wahlrechtliche Gleichheitssätze ausgeschlossen. Für die Klausurbearbeitung ist darüber hinaus wichtig, dass die einzelnen Ungleichbehandlungen ganz genau herausgearbeitet werden, wie dies der VerfGH gemacht hat. Denn jede Ungleichbehandlung bedarf einer separaten Rechtfertigung. Ferner ist in einer Klausur unbedingt auf die genaue Ausgestaltung des Paritätsgesetzes zu achten. So hatte der ursprüngliche Gesetzentwurf in Thüringen Ausnahmen von der geschlechterparitätischen Listenbesetzung vorgesehen, was durchaus Auswirkungen auf ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit haben kann. Die Ausführungen des VerfGH sind im Übrigen nicht frei von rechtlichen Zweifeln, wie schon die beiden Sondervoten beweisen. Die Argumentation zum Wortlaut und zur Entstehungsgeschichte des Art. 2 II 2 ThürVerf muss nicht restlos überzeugen. Andererseits ist es auch nicht unbedingt zwingend, die Gleichstellungsverpflichtung des Art. 2 II 2 ThürVerf (auf Bundesebene: Gleichstellungsauftrag des Art. 3 II 2 GG) im Rahmen der Wahlrechtsgrundsätze für anwendbar zu halten. Eine eingängige Darstellung der verfassungsrechtlichen Probleme der Paritätsgesetzgebung findet sich bei Morlok/Hobusch, NVwZ 2019, 1734 ff. Umfassend beleuchtet wird das Problem vom juristischen Dienst des Landtags des Landes Brandenburg, abrufbar unter: https://www.parlamentsdokumentation.brandenburg.de/starweb/LBB/ELVIS/parladoku/w6/gu/48.pdf. Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 09/2020 Referendarteil: Öffentliches Recht 485 Speziell für Referendare Problem: Beseitigung einer Schwimmbadeinhausung Einordnung: Baurecht VG Stuttgart, Urteil vom 07.07.2020 2 K 435/18 EINLEITUNG Das Verwaltungsgericht Stuttgart hatte über eine Anfechtungsklage zu entscheiden, mit der sich die Kläger gegen eine auf die Beseitigung einer Schwimmbadeinhausung gerichtete bauaufsichtliche Verfügung zur Wehr setzten. Das Gericht erörtert, ob es sich bei der Schwimmbadeinhausung um eine zulässige Nebenanlage im Sinne des § 14 I BauNVO handelt, und hat sich zudem intensiv mit zahlreichen Einwänden auseinandergesetzt, die die Kläger gegen die Verfügung vorgebracht hatten. TATBESTAND „Die Kläger wenden sich gegen eine Beseitigungsverfügung des Beklagten hinsichtlich einer Schwimmbadeinhausung. Die Kläger sind Eigentümer der Grundstücke Flst.-Nrn. X, Y und Z, Gemarkung X. Das nördliche der drei, Flst.-Nr. X, ist mit einem Wochenendhaus sowie einer an dieses anschließenden Schwimmbadeinhausung bebaut. Die Grundstücke befinden sich im Geltungsbereich des Bebauungsplans „X“ der Stadt X vom .... Dieser setzt für die Grundstücke u.a. ein Sondergebiet „Gartenhausgebiet“, ein Vollgeschoss, eine maximale Grundfläche von 12 m², eine offene Bauweise sowie überbaubare Grundstücksflächen fest. Weiter sind Nebenanlagen, die nicht der gärtnerischen oder der Freizeitnutzung der Grundstücke dienen, im gesamten Geltungsbereich des Bebauungsplans ausgeschlossen. Mit Bescheid vom 19.01.1956 erteilte die Stadt X einem Rechtsvorgänger der Kläger eine Baugenehmigung „in stets widerruflicher Weise“ zur Errichtung eines Wochenendhauses mit einer Grundfläche von circa 54 m². Im November 2010 traten die Kläger unter Vorlage von Skizzen an die Baurechtsbehörde des Beklagten hinsichtlich der Errichtung eines „Natur-Pools“ nördlich ihres Gebäudes heran. Bei einer Baukontrolle am 10.02.2011 stellte der Beklagte fest, dass der Bereich nördlich des Wochenendhauses abgegraben und dort in nordöstlicher Richtung Stützmauern und eine Teilüberdachung aus Beton errichtet wurden. Mit Verfügung vom 18.02.2011 duldete die Baurechtsbehörde die Fertigstellung des „Schwimmbades“ („Schwimmbecken mit Teichfilter“) an der Nordseite des Wochenendhauses unter den Nebenbestimmungen, sofern eine Leerung des „Schwimmbads“ erforderlich sei, der Inhalt durch ein Leerungsfahrzeug abgefahren werde (Ziff. 1) und die Standsicherheit des Geländes in diesem Bereich gewährleistet sei (Ziff. 2). Die bereits hergestellten Einfriedungen im Bereich des „Schwimmbades“ würden bis auf Weiteres geduldet. Am 06.09.2012 wurden bei einer Baukontrolle durch die Baurechtsbehörde zahlreiche bauliche Veränderungen festgestellt. Die Außenwände und der Dachstuhl des Wochenendhauses waren vollständig erneuert, Innenwände und Bodenplatten entfernt. Jura Intensiv LEITSÄTZE 1. Eine in massiver Bauweise „bunkerartig“ errichtete Schwimmbadeinhausung mit einer Grundfläche von etwa 58 qm ist keine Nebenanlage im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO in einem Gartenhausgebiet, das Gartenhäuser mit einer Grundfläche von bis zu 12 qm zulässt. 2. Auch wenn die LBO keine ausdrückliche Regelung hierzu trifft, kann die Baurechtsbehörde schriftlich „aktive“ Duldungen baulicher Anlagen im Sinne der Zusicherung eines Nichteinschreitens nach § 38 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG erteilen. Ist im Rubrum unter „wegen“ eine Zusammenfassung des Streitgegenstandes erfolgt, ist ein Einleitungssatz nicht erforderlich. Beschreibungen, die die Gegenwart betreffen, werden im Indikativ Präsens wiedergegeben (im Baurecht typischerweise die Ortsbeschreibung). Im Übrigen erfolgt die Geschichtserzählung im Indikativ Imperfekt Die Baurechtsbehörde heißt in den anderen Bundesländern „Bauaufsichtsbehörde“. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis
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