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RA Digital - 09/2021

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454 Zivilrecht

454 Zivilrecht RA 09/2021 Entscheidend ist dabei letztlich, ob und in welchem Umfang der Verkäufer - nach dem im jeweiligen Fall zu ermittelnden übereinstimmenden Willen der Parteien - bei Vertragsschluss eine Beschaffungspflicht für den Fall einer Nacherfüllung übernommen hat (im Anschluss an Senatsurteile vom 17.10.2018, VIII ZR 212/17; vom 24.10.2018, VIII ZR 66/17 und vom 11.12.2019, VIII ZR 361/18, aaO; Senatsbeschluss vom 08.01.2019, VIII ZR 225/17). 2d. Ist lediglich ein Nachfolgemodell der erworbenen Sache (insbesondere eines Fahrzeugs) lieferbar, kann bei der gebotenen nach beiden Seiten interessengerechten Auslegung die den Verkäufer eines Verbrauchsguts treffende Beschaffungspflicht im Hinblick darauf, dass der Verbraucher eine Nutzungsentschädigung für die fortlaufend an Wert verlierende mangelhafte Kaufsache nicht zu zahlen hat, von vornherein nicht zeitlich unbegrenzt gelten. 3. Eine Austauschbarkeit von Kaufgegenstand und Ersatzsache ist beim Verbrauchsgüterkauf - vor allem beim Kauf von Fahrzeugen, die bereits nach kurzer Zeit einen deutlichen Wertverlust erleiden - grundsätzlich nur dann anzunehmen, wenn der Verbraucher sein Nachlieferungsbegehren innerhalb eines in der Länge der regelmäßigen kaufrechtlichen Verjährungsfrist (zwei Jahre - § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB) angelehnten Zeitraums - beginnend ab dem für die Willensbildung maßgeblichen Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses - geltend macht (Fortentwicklung von Senatsbeschluss vom 08.01.2019, VIII ZR 225/17). Diese Begründung für die Annahme des Sachmangels aus dem Hinweisbeschluss vom 08.01.2019, VIII ZR 225/17 sollten Sie sich gut merken. Jura LÖSUNG A. Anspruch des K gegen B auf Nachlieferung eines fabrikneuen VW Tiguan II Offroad, Zug um Zug gegen Rückgabe des Altfahrzeugs, gem. §§ 437 Nr. 1, 439 I 2. Alt. BGB K könnte gegen B einen Anspruch auf Nachlieferung eines fabrikneuen VW Tiguan II Offroad, Zug um Zug gegen Rückgabe des Altfahrzeugs, gem. §§ 437 Nr. 1, 439 I 2. Alt. BGB haben. I. Kaufvertrag Den hierfür erforderlichen Kaufvertrag schlossen die Parteien am 20.04.2009. II. Mangel bei Gefahrübergang Das gelieferte Fahrzeug könnte bei Gefahrübergang mit einem Sachmangel behaftet gewesen sein. Die Gefahr ging auf K gem. § 446 S. 1 BGB mit der Übergabe über. Als Sachmangel kommt § 434 I 2 Nr. 2 BGB in Betracht. Danach ist eine Sache frei von Sachmängeln, wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Für die gewöhnliche Verwendung eignet sich ein Kraftfahrzeug grundsätzlich nur dann, wenn es eine Beschaffenheit aufweist, die weder seine (weitere) Zulassung zum Straßenverkehr hindert noch ansonsten seine Gebrauchsfähigkeit aufhebt oder beeinträchtigt. Das von K bei B erworbene Fahrzeug war werkseitig mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 II 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (VO 715/2007/EG) versehen. Halter von Fahrzeugen, die entgegen zwingender unionsrechtlicher Vorschriften installierte Abschalteinrichtungen aufweisen, bei denen zur Herstellung ihrer Vorschriftsmäßigkeit eine entsprechende Nachrüstung erforderlich ist, sehen sich, so lange eine solche (noch) nicht durchgeführt worden ist, einer drohenden Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 FZV ausgesetzt. Intensiv [35] Diese im Falle einer (noch) nicht erfolgten Nachrüstung - zumindest latent - bestehende Gefahr einer Betriebsuntersagung oder -beschränkung durch die Zulassungsbehörde hat aus kaufrechtlicher Sicht zur Folge, dass bei den betroffenen Fahrzeugen die Eignung für die gewöhnliche Verwendung im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB fehlt. Eine entsprechende Eignung ist einer Kaufsache nicht erst dann abzusprechen, wenn ihre Tauglichkeit ganz aufgehoben, sondern bereits dann, wenn ihre Eignung herabgesetzt ist (...). [37] (...) In Anbetracht dessen kommt es auf die Frage, ob der Pkw die Beschaffenheit aufwies, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach Art der Sache erwarten konnte, nicht an. Denn die in der genannten Vorschrift genannten Merkmale der Sache (Verwendungseignung und übliche Beschaffenheit) müssen kumulativ vorliegen, damit die Sache frei von Sachmängeln ist (...). Folglich lag ein Sachmangel gem. § 434 I 2 Nr. 2 BGB bei Gefahrübergang vor. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 09/2021 Zivilrecht 455 III. Kein Ausschluss Gesetzliche sowie rechtsgeschäftliche Ausschlussgründe sind nicht ersichtlich. IV. Ausschluss des Anspruchs gem. § 275 I BGB Der Anspruch auf Nachlieferung könnte wegen echter Unmöglichkeit gem. § 275 I BGB ausgeschlossen sein. Unter echter Unmöglichkeit i.S.d. § 275 I BGB versteht man die dauerhafte Nichterbringbarkeit des Leistungserfolges. Für eine solche dauerhafte Nichterbringbarkeit könnte sprechen, dass das von K gekaufte Modell nicht mehr hergestellt wird und sich das Nachfolgemodell schon von der Motorleistung erheblich unterscheidet. [39] Im Ausgangspunkt hat das Berufungsgericht unter Zugrundelegung der einschlägigen Rechtsprechung des Senats allerdings zutreffend angenommen, dass allein aufgrund eines nach Vertragsschluss beziehungsweise nach Übergabe erfolgten Modellwechsels ein Anspruch des Käufers eines mangelbehafteten Neufahrzeugs gegen den Verkäufer auf Lieferung eines mangelfreien, fabrikneuen und typengleichen Ersatzfahrzeugs aus der aktuellen Serienproduktion des Herstellers nicht generell gemäß § 275 Abs. 1 BGB ausgeschlossen ist. Die hiergegen erhobenen Einwände der Revision greifen nicht durch. [40] Der Anspruch auf Nacherfüllung durch Lieferung einer mangelfreien Sache (§ 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB) ist - entgegen der Auffassung der Revision - nicht auf die Ersatzbeschaffung einer mangelfreien, im Übrigen aber identischen Sache beschränkt, sondern bestimmt sich vielmehr nach der vom Verkäufer im jeweiligen Einzelfall übernommenen Beschaffungspflicht. Diese kann über die ursprüngliche Leistungsverpflichtung des Verkäufers hinausgehen und sich auch auf eine vom Kaufgegenstand abweichende Sache - wie etwa ein zwischenzeitlich auf den Markt getretenes Nachfolgemodell des Kaufgegenstands - erstrecken, die nach dem Parteiwillen als gleichwertig und gleichartig anzusehen ist. [42] Ausgehend von dieser Interessenlage beider Kaufvertragsparteien beschränkt sich die „Lieferung einer mangelfreien Sache“ gemäß § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB nicht zwangsläufig auf eine mit dem Kaufgegenstand (abgesehen von der Mangelhaftigkeit) identische Sache. Vielmehr hängt die Möglichkeit einer Ersatzbeschaffung bei Unmöglichkeit der Lieferung einer dem Kaufgegenstand vollständig entsprechenden (mangelfreien) Sache im jeweiligen Einzelfall entscheidend davon ab, ob und wodurch nach dem durch interessengerechte Auslegung zu ermittelnden Willen der Parteien (...) Auf den Parteiwillen kommt es deshalb maßgeblich an, weil die Vorschrift des § 439 Abs. 1 BGB selbst keine Regelung zu der Frage trifft, welche Ersatzsache als austauschbar, also als gleichwertig und gleichartig, mit dem Kaufgegenstand zu bewerten ist. [50] Entgegen der Sichtweise der Revision führt eine - durch § 439 Abs. 1 BGB nicht versperrte und mit dessen Wertungen in Einklang stehende - interessengerechte Auslegung, aus der sich eine den Verkäufer im Fall einer Nachlieferungsverpflichtung treffende Beschaffungspflicht bezüglich eines Nachfolgemodells ergibt, auch nicht dazu, dass die (wirtschaftlichen) Interessen des Verkäufers „vollständig ausgeblendet“ würden. [51] Zum einen wird der Schutz des Verkäufers vor unverhältnismäßigen Kosten der Nachlieferung grundsätzlich bereits durch die - vorliegend auch vom Berufungsgericht berücksichtigte - Regelung in § 439 Abs. 4 BGB (im Streitfall noch § 439 Abs. 3 BGB aF) gewährleistet (...). Hinzu tritt die Jura Intensiv RA-Leser mit Zugang zum RA-Archiv sollten zunächst das Urteil des OLG Karlsruhe vom 25.05.2019, 13 U 144/17 in der RA 2019, 349 sorgfältig lesen. Das Gericht hatte die Unmöglichkeit mit ausführlicher Begründung abgelehnt und dem dortigen Kläger ein fabrikneues Nachfolgemodell zugesprochen – ohne Verpflichtung, Zug um Zug Nutzungsvergütung für die mit dem mangelhaften PKW gefahrenen Kilometer leisten zu müssen. Eine Sensation! Dieses auf die Begründungen des BGH in seinem Hinweisbeschluss vom 08.01.2019, VIII ZR 225/17 gestützte Urteil, zeigte im Tatbestand aber Besonderheiten auf, die vom hier vorliegenden Fall stark abweichen. Es ist vor allem der zeitliche Zusammenhang zwischen Übergabe, Geltendmachung des Mangels sowie Erhebung der Klage, der das Urteil des OLG Karlsruhe so besonders macht. Hier knüpft der BGH zunächst an seine Grundüberlegung aus seinem o.g. Hinweisbeschluss an, um später diesen Grundüberlegungen Grenzen zu setzen. Die Revisionskläger hatten die angebliche Schutzlosigkeit des am Skandal unschuldigen Vertragshändlers gerügt. Der BGH zeigt auf, dass diese Behauptung in der Sache nicht zutrifft. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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