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RA Digital - 09/2021

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470 Referendarteil:

470 Referendarteil: Zivilrecht RA 09/2021 Urteilsstil ((…), denn (…)) Grundsätzlich ergehen gerichtliche Entscheidungen gem. § 128 I ZPO aufgrund einer mündlichen Verhandlung. Da aber die Entscheidung über die sofortige Beschwerde gem. § 764 III ZPO in Form eines Beschlusses ergeht, ist eine mündliche Verhandlung gem. § 128 IV ZPO nicht erforderlich. Ermittlung der rechtlichen Grundlage für die Durchführung der Zwangsvollstreckung Erzwingung von Unterlassungen und Duldungen Prüfung, ob ein Duldungsanspruch auch aktive Mitwirkungshandlungen mitumfasst Zuletzt: BGH, Beschluss vom 09.07.2020, I ZB 79/19 Siehe hierzu: Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 890 Rn 2c BGH, Beschluss vom 11.10.2017, I ZB 96/16 BGH, Beschluss vom 10.08.2006, I ZB 126/05 Der Titel ist folglich nicht unbestimmt. §§ 766 II, 764 III ZPO ist eine Entscheidung, die ohne mündliche Verhandlung erging. Die sofortige Beschwerde ist aber unbegründet. Die Erinnerung der G war zulässig, aber unbegründet. Insbesondere war die Erinnerung gemäß §§ 766 I 1, II ZPO statthaft. G erhebt Einwendungen gegen die Ablehnung der Durchführung der Zwangsvollstreckung aufgrund der Unbestimmtheit des Titels sowie aufgrund des fehlenden (Mit-)Gewahrsams des S an dem Zählerraum. Ebenfalls besteht das erforderliche Rechtsschutzinteresse der G. Dieses besteht von Beginn bis zur vollständigen Beendigung der Zwangsvollstreckung. Das Amtsgericht hat die Erinnerung der G gemäß § 766 II ZPO rechtsfehlerfrei zurückgewiesen. Der zuständige Gerichtsvollzieher hat die Zwangsvollstreckung zutreffend abgelehnt, weil die G den erforderlichen (Mit-)Gewahrsam des Schuldners an dem verschlossenen Kellerraum, in dem sich die Zähler für alle Wohnungen des Mehrfamilienhauses nach seinen Angaben befinden, noch nicht einmal behauptet hat. Grundsätzlich besteht eine Duldungsverpflichtung des S, welche die G wahlweise nach § 890 ZPO oder nach § 892 ZPO vollstrecken kann. Die titulierte Verpflichtung, Zutritt zu einer Stromabnahmestelle zu gewähren und deren Sperrung durch Wegnahme des Stromzählers zu dulden, stellt eine Verpflichtung zur Duldung einer Handlung im Sinne des § 890 ZPO dar. Unerheblich ist, dass die Duldungsverpflichtung ebenfalls ein positives Tun des S mitenthält, welche nicht ausdrücklich tenoriert ist. [11] (…). Die Zwangsvollstreckung würde unzumutbar erschwert, wenn der Gläubiger stattdessen darauf verwiesen werden müsste, jeweils einzelne Handlungstitel zu erwirken. Ob ein Titel Handlungspflichten auferlegt oder eine Duldung fordert, ist im Wege der Auslegung mit Blick auf den Schwerpunkt der jeweils in Rede stehenden Verpflichtung zu beurteilen (vgl. BGH (…)). [12] (…). Die Gewährung des Zutritts zu der Stromabnahmestelle, die typischerweise durch die Öffnung von Türen erfolgt, stellt sich lediglich als zur Erfüllung der Duldungspflichten erforderliche Hilfshandlung dar. Jura Intensiv Der hier zu vollstreckende Titel begründet die ergänzende Handlungspflicht des S, der G den Zutritt zu den Gemeinschaftsräumen des von ihm bewohnten Mehrfamilienhauses zu gewähren. [15] Die vom Schuldner im Rahmen seiner Duldungspflicht geschuldeten ergänzenden Handlungen ermittelt der Gerichtsvollzieher durch Auslegung des Duldungstitels (vgl. BGH (…)). Die Suche nach einem Stromzähler in einer Wohnung ist zwar keine Durchsuchung im Sinne des Art. 13 Abs. 2 GG, stellt aber einen Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 Abs. 1 GG dar, der gemäß Art. 13 Abs. 7 GG einer richterlichen Ermächtigung bedarf (vgl. BGH (…)). An dieser fehlt es, wenn sich aus dem Titel auch durch Auslegung nicht ergibt, dass die vom Schuldner zu duldende Handlung Zutritt zur Wohnung erfordert. [16] Im Streitfall wird der Stromzähler, dessen Wegnahme der Schuldner nach dem Tenor des Vollstreckungstitels zu dulden hat, durch die Adresse des Mehrfamilienhauses, in dem er sich befindet, und durch seine Nummer individualisiert. Darüber hinaus enthält der Tenor die nicht näher konkretisierte Pflicht des Schuldners, Zutritt zur Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 09/2021 Referendarteil: Zivilrecht 471 Stromabnahmestelle zu gewähren. Wo innerhalb des Mehrfamilienhauses sich diese befindet, ergibt sich aus dem Vollstreckungstitel nicht. Eine dahingehende Konkretisierung wäre der Gläubigerin auch nicht ohne Weiteres möglich, weil nicht der Energieversorger, sondern der Netzbetreiber für den Ein- und Ausbau von Stromzählern zuständig ist (…). Durch Auslegung lässt sich dem Titel jedoch zumindest eine ergänzende Handlungspflicht des Schuldners entnehmen, Zutritt zu den Gemeinschaftsräumen zu gewähren, in denen sich bei Mehrfamilienhäusern zumeist die Stromzähler befinden. Die Voraussetzungen für eine Hinzuziehung des Gerichtsvollziehers nach § 892 ZPO sind im Streitfall erfüllt. Ausreichend ist, dass G eine dem S zurechenbare Widerstandshandlung als bevorstehend behauptet. Eine Glaubhaftmachung ist nicht erforderlich. [20] (…). Der Schuldner ist ausreichend dadurch geschützt, dass der Gläubiger die Kosten des Gerichtsvollziehers zu tragen hat, soweit ein Widerstand des Schuldners weder aus objektiver ex-ante-Sicht zu erwarten gewesen ist noch sich die Hinzuziehung des Gerichtsvollziehers ex post wegen des tatsächlich geleisteten Widerstands des Schuldners als notwendig erwiesen hat (…). [21] Der Gerichtsvollzieher hat die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner jedoch zu Recht eingestellt, weil die Gläubigerin den erforderlichen (Mit-)Gewahrsam des Schuldners an dem verschlossenen Kellerraum, in dem sich die Zähler für alle Wohnungen des Mehrfamilienhauses nach seinen Angaben befinden, noch nicht einmal behauptet hat. [22] Die Ergreifung von Zwangsmaßnahmen nach § 892 ZPO setzt voraus, dass der Gerichtsvollzieher eine Widerstandsleistung des Schuldners feststellt (…). Widerstand ist ein auf Verhinderung des Vollstreckungserfolgs gerichtetes vorsätzliches Verhalten. (…). [23] Der Gerichtsvollzieher darf nur solche Maßnahmen ergreifen, die zur Überwindung des Widerstands gegen die Durchführung der nach dem Titel zu duldenden Handlung erforderlich sind. Jura Intensiv Diese Befugnis des Gerichtsvollziehers nach § 892 ZPO erstreckt sich nach ganz h.M. und Rspr. auch auf die zwangsweise Öffnung von Türen, soweit dies der Durchsetzung einer nach dem Titel bestehenden ergänzenden Handlungspflicht des Schuldners dient. [24] Soweit ein Duldungstitel den Schuldner auch dazu verpflichtet, Zutritt zu einem Raum zu gewähren, ist für eine Vollstreckung dieser ergänzenden Handlungspflicht nach § 892 ZPO erforderlich, dass der Schuldner zumindest Mitgewahrsam an diesem Raum hat. Andernfalls richtet sich die Zwangsvollstreckung insoweit nicht gegen ihn und fehlt es an einer Widerstandsleistung des Schuldners im Sinne von § 892 ZPO. [25] Im Ausgangspunkt setzt der vollstreckungsrechtliche Zugriff auf eine Sache den Gewahrsam des Schuldners im Sinne des unmittelbaren Besitzes nach § 854 Abs. 1 BGB an dieser Sache voraus (vgl. § 808 Abs. 1, § 883 Abs. 2, § 886 ZPO). (…) Der Gerichtsvollzieher muss die tatsächlichen Besitzverhältnisse beurteilen und prüfen, ob sich die Verpflichtung nach dem vom Gläubiger beigebrachten Titel gegen den von ihm nach diesem Maßstab festgestellten Mitbesitzer der Sache richtet. Keine weitergehende Konkretisierungspflicht, da diese dem Stromversorgungsunternehmen nicht möglich ist Weiterer Schritt: Prüfung der Voraussetzungen des § 892 ZPO Wissenscheck: Wie kann eine Behauptung glaubhaft gemacht werden? Zulässig sind sämtliche Beweismittel der ZPO (SAPUZ) sowie die eidesstattliche Versicherung, § 294 I ZPO. Das ergibt sich indirekt aus § 788 I 1 ZPO. Letzter Prüfungspunkt: Auswirkungen des fehlenden Mitgewahrsams des Schuldners an den Kellerräumen, in denen sich der Zähler befindet Definition des Widerstandes i.S.d. § 892 ZPO Andersherum wäre die Formulierung deutlich verständlicher. Hat der S kein Mitgewahrsam, leistet er kein Widerstand mit der Äußerung, er könne den Raum nicht zugänglich machen, sodass § 892 ZPO nicht einschlägig ist. Auf die Eigentumsverhältnisse oder das Recht zum Besitz kommt es nicht an. Es geht um die tatsächliche Sachherrschaft und die damit folgende tatsächliche Zugriffsmöglichkeit, mithin um den Gewahrsam. Beachten Sie sorgfältig die Begrifflichkeiten. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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