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RA Digital - 09/2022

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468 Referendarteil:

468 Referendarteil: Zivilrecht RA 09/2022 Juristisch korrekt, aber ob dies den Anforderungen des Gerichts aus [23] tatsächlich gerecht wird, bleibt ungewiss. Außerdem heißt es dort lediglich „Der Prozess wird fortgesetzt“ und nicht „Ein Urteil ist noch nicht ergangen“. Kriterium: Vorgang von gravierendem Gewicht In der Originalentscheidung erfolgen noch Ausführungen zum Tathergang, zur Schadenshöhe und zur Person des Angeklagten. BVerfG, Urteil vom 24.01.2001, 1 BvR 2623/95, 622/99; Beschluss vom 19.12.2007, 1 BvR 620/07 EGMR, Urteile vom 02.06.2015, 54145/10: Indeed, the rendering of an indictment in a media coverage after it has been read out at a trial hearing is a kind of situation where there may be special grounds for dispensing the press from its ordinary obligation to verify factual statements that are defamatory of private individuals, provided that the source has been clearly identified. Gegenstand der Berichterstattung ist der Beginn der Hauptverhandlung in dem gegen K geführten Strafverfahren vor dem Landgericht. Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die am ersten Verhandlungstag verlesene Anklageschrift werden die von der Staatsanwaltschaft gegen den K erhobenen Tatvorwürfe und die damit verbundene Straferwartung geschildert. Dem Artikel ist klar zu entnehmen, dass der K bislang lediglich angeklagt und dass das gegen ihn gerichtete Strafverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Die durch diese Berichterstattung hervorgerufene Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des K steht nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des Informationsinteresses der Öffentlichkeit. [27] (…) Die Berichterstattung leistete einen Beitrag zu einer Diskussion von öffentlichem Interesse. Denn der Tatvorwurf hebt sich schon angesichts des von der Anklage umfassten Betrugsschadens in Millionenhöhe deutlich von der gewöhnlichen Kriminalität ab. (…). Eine Stellungnahme des K lag nicht vor. Die B hat eine solche auch nicht eingeholt. Ausnahmsweise war eine solche in diesem Fall auch nicht erforderlich. [32] Auch Vertreter der Presse dürfen bei einer gemäß § 169 Abs. 1 Satz 1 StPO öffentlichen Hauptverhandlung zusehen und zuhören und sind berechtigt, die aufgenommenen Informationen zu verbreiten (vgl. BVerfGE (…)). Eine solche Verbreitung darf die Presse zur Wahrnehmung berechtigter Interessen zumindest in der Regel für erforderlich halten, ohne eigene Recherchen über den Wahrheitsgehalt der Tatvorwürfe anzustellen und in diesem Rahmen eine Stellungnahme des Angeklagten einzuholen (vgl. EGMR (…)). Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 I 1, 709 ZPO. FAZIT Sollte Ihnen dieser Themenkomplex in einer Klausur begegnen, eignet sich das folgende Schema: • Anspruchsgrundlage: §§ 1004 I 2 analog, 823 I BGB i. V. m. Art. 2 I, Art. 1 I GG, Art. 8 I EMRK • Kein datenschutzrechtliches Problem, Art. 85 II DS-GVO • Abwägung beider grundrechtlich schützenswerter Interessen, einerseits Art. 2 I 1, Art. 1 I GG, Art. 8 I EMRK, andererseits Art. 5 I GG, Art. 10 EMRK - Wahre Tatsachenbehauptungen sind hinzunehmen - Grundsätzlich keine Pflicht zur Anonymisierung - Wahrheitsgehalt unklar: Recherche- und Aufklärungspflichten - Mindestbestand an Beweistatsachen nötig („Öffentlichkeitswert“) - Verbot der Vorverurteilung (Rechtsstaatsprinzip + Art. 6 II EMRK) - Stellungnahme des Betroffenen, Ausnahme: Berichterstattung über Prozesstag, der sowieso öffentlich ist - Vorgang von gravierendem Gewicht (Argumentationsspielraum) Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 09/2022 Referendarteil: Zivilrecht 469 Problem: Luftreinhalteplan als Schutzgesetz i. S. d. § 823 II BGB Einordnung: Schuldrecht BT BGH, Urteil vom 14.06.2022 VI ZR 110/21 EINLEITUNG Ansprüche aus § 823 BGB setzten entweder die Verletzung von in § 823 I BGB genannten Schutzgütern voraus oder gem. § 823 II BGB die Verletzung von solchen Normen, welche zumindest auch dem Schutz des Anspruchsstellers dienen. Aus dem BImschG anerkannt ist der Fall, dass gem. § 22 BImSchG bei nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen durch Auflagen konkretisierte Handlungspflichten des Betreibers solche Schutzwirkungen im Sinne des § 823 II BGB entfalten können. Der BGH hatte zu entscheiden, ob § 40 I 1 BlmSchG in Verbindung mit einem Luftreinhalteplan gem. § 47 I BImSchG die gleiche Wirkung entfaltet. Die Entscheidung wird als erstinstanzliches Urteil dargestellt. TATBESTAND Das Vereinsgelände des Klägers (K) liegt an der H. Straße in S innerhalb der Umwelt- und Lkw-Durchfahrtsverbotszone. Auf dem Gelände befinden sich sowohl das Vereinsheim als auch eine Ganztages-Kindertagesstätte. Das Lkw-Durchfahrtsverbot ist durch das Vorschriftzeichen 253 zu § 41 Abs. 1 StVO mit dem Zusatzzeichen nach § 39 Abs. 3 StVO „Lieferverkehr frei“ (Nr. 1026-35 Verkehrszeichenkatalog) angeordnet und gilt grundsätzlich für das gesamte Stadtgebiet. Die Beklagte (B) betreibt eine Spedition. Die Niederlassung befindet sich ebenfalls innerhalb der Umwelt- und Lkw-Durchfahrtsverbotszone. Die Lkw der B befahren mehrmals täglich die zuvor genannte Zone. K behauptet, die Feinstaub- und Stickoxidbelastung gefährde sowohl ihre als auch die Gesundheit der Kinder, die die Kindertagesstätte besuchen. K beantragt, die B zu verurteilen, es zu unterlassen, die H. Straße in S Richtung H. mit Lkw mit einem höheren Gesamtgewicht als 3,5 Tonnen zu befahren, sofern die Fahrt nicht zum Transport von Gegenständen in die hinter dem Verbotsschild liegende Lkw-Durchfahrtsverbotszone oder zum Transport von Gegenständen aus dieser Zone dient. B beantragt, die Klage abzuweisen. Jura Intensiv B vertritt die Rechtsauffassung, dass K aufgrund fehlender konkreter Beeinträchtigung kein Unterlassungsanspruch zustünde. LEITSÄTZE 1. Eine Rechtsnorm ist ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 II BGB, wenn sie zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsgutes oder eines bestimmten Rechtsinteresses zu schützen. 2. Ist der Individualschutz reiner Rechtsreflex, reicht dies für die Einordnung als Schutzgesetz nicht aus. 3. Ein gesetzliches Gebot oder Verbot ist als Schutzgesetz lediglich dann geeignet, soweit das geschützte Interesse, die Art seiner Verletzung und der Kreis der geschützten Personen hinreichend klargestellt und bestimmt sind. 4. Der Grundsatz „effet utile“ erfordert bei der Umsetzung von Verhaltensregelungen nicht die Möglichkeit, Verletzungen zivilrechtlich geltend machen zu können. Lesen Sie §§ 40, 47 BImSchG. Der Abschnitt §§ 44 ff. BImSchG ist autark und es bedarf keiner vertieften umweltrechtlichen Kenntnisse. Das Unstreitige wird im Indikativ Imperfekt dargestellt. Ausnahme – insbesondere hier – sind Umstände, die sich auf die Gegenwart beziehen. Der streitige Parteivortrag wird im Präsens und indirekter Rede dargestellt. Trennen Sie zwischen Tatsachenbehauptungen und Rechtsansichten. Aktuelle Anträge sind hervorzuheben. Dies erfolgt stets durch Einrücken, Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 313 Rn 19. Zahlungsanträge sind leicht zu formulieren. Anträge, die sich auf bestimmte Handlungen/Duldungen oder Unterlassungen beziehen, sind ebenfalls im Sinne des § 253 II Nr. 2 ZPO konkret zu formulieren, damit auch diese vollstreckungsfähig sind. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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