Aufrufe
vor 5 Jahren

RA Digital - 10/2018

  • Text
  • Jura
  • Intensiv
  • Stgb
  • Inhaltsverzeichnis
  • Verlags
  • Anspruch
  • Beschluss
  • Recht
  • Entscheidung
  • Urteil
Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

516 Zivilrecht

516 Zivilrecht RA 10/2018 Problem: Löschung eines in einem sozialen Netzwerk eingestellten „Hass-Beitrags“ Einordnung: Allgemeine Geschäftsbedingungen OLG Dresden, Beschluss vom 08.08.2018 4 W 577/18 LEITSATZ 1. Nutzungsbedingungen des Anbieters eines sozialen Netzwerkes sind keine bloßen Leistungsbeschreibungen, sondern kontrollfähige Allgemeine Geschäftsbedingungen. 2. Eine Klausel, die „Hassrede“ auf der Plattform untersagt und hierunter auch Meinungsäußerungen unterhalb der Schwelle zur Schmähkritik und außerhalb von § 1 ÍI NetzDG versteht, ist nicht überraschend. 3. Eine unangemessene Benachteiligung der Nutzer liegt hierin zumindest dann nicht, wenn sich aus den Bedingungen ergibt, dass Löschungen nicht willkürlich vorgenommen und Nutzer nicht vorschnell oder dauerhaft gesperrt werden. EINLEITUNG Seit dem 01.01.2018 gilt das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Es soll die sozialen Medien dazu einerseits dazu bringen, rechtswidrige Inhalte zuverlässiger zu entfernen, und andererseits der Verbreitung von „Hassrede“ und gefälschten Meldungen (Fake News) besser Einhalt zu gebieten. Andere, darunter der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages, befürchten ein „overblocking“, mithin eine Gefährdung der Meinungsfreiheit und warnen vor staatlicher Zensur. Welche Fernwirkung dieses Gesetz auf die Wirksamkeit von AGB hat, zeigt die vorliegende Entscheidung des OLG Dresden. Das Gericht musste entscheiden, ob und wann die Löschung von Beiträgen auf Social-Media-Plattformen zulässig ist. SACHVERHALT Die Beklagte (B) betreibt die Social Media Plattform „Facebook“. Der Kläger (K) ist dort mit seiner Emailadresse „K@aol.com“ angemeldet. Die dem Nutzungsvertrag zugrundeliegenden Nutzungsbedingungen enthalten unter Teil III Ziff. 12 eine Definition der sog. Hassrede mit folgendem Inhalt: „Wir lassen Hassrede auf unserer Social Media Plattform nicht zu. Hassrede schafft ein Umfeld der Einschüchterung, schließt Menschen aus und kann in gewissen Fällen Gewalt in der realen Welt fördern. Manchmal teilen Menschen Inhalte, die Hassrede einer anderen Person enthalten, um für ein bestimmtes Thema zu sensibilisieren oder Aufklärung zu leisten. So kann es vorkommen, dass Worte oder Begriffe, die ansonsten gegen unsere Standards verstoßen könnten, erklärend oder als Ausdruck von Unterstützung verwendet werden. Dann lassen wir die Inhalte zu, erwarten jedoch, dass die Person, die solche Inhalte teilt, ihre Absicht deutlich macht, so dass wir den Hintergrund besser verstehen können. Ist diese Absicht unklar, wird der Inhalt unter Umständen entfernt. Wir lassen Humor und Gesellschaftskritik in Verbindung mit diesen Themen zu. Wir sind außerdem der Ansicht, dass die Nutzerinnen und Nutzer, die solche Kommentare teilen, verantwortungsbewusster handeln, wenn sie ihre Klarnamen verwenden.‘‘ Danach folgen Beispiele von Angriffen mit dem Schweregrad 1-3. Für Angriffe mit dem Schweregrad 3 heißt es dort: „Angriffe mit dem Schweregrad 3 sind Angriffe, die zum Ausschluss oder der Isolation einer Person oder Personengruppe aufgrund der oben aufgeführten Eigenschaften aufrufen. Wir lassen Kritik an Einwanderungsgesetzen und Diskussionen über die Einschränkung dieser Gesetze zu. Inhalte, die Personen verunglimpfend beschreiben oder sie mit Verunglimpfungen angreifen. Verunglimpfungen werden als Ausdrücke bzw. Wörter definiert, die üblicherweise als beleidigende Bezeichnungen für die oben aufgeführten Eigenschaften verwendet werden.“ In Ziff. 3.2 der Nutzungsbedingungen behält sich B das Recht vor, bei Verstößen gegen ihre Gemeinschaftsstandards u.a. Postings zu löschen und die Rechte des Nutzers einzuschränken. Die Sanktionen werden abhängig „von der Schwere des Verstoßes und dem bisherigen Verhalten der Person“ getroffen. Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 10/2018 Zivilrecht 517 In der Folgezeit macht K folgenden Post: „Nach den bisher gemachten Erfahrungen mit den Islam, der eine mehr andere weniger, ist wohl sehr klar zu erkennen, dass diese Menschenrasse nicht zur Europäischen Kultur passen.“ B löscht diesen am 21.04.2018 und beschränkt zugleich das Nutzerkonto des K auf die Funktion Read-only für 30 Tage. K verlangt daraufhin, die Löschung zu untersagen und die Sperre aufzuheben. Zu Recht? Prüfungsvermerk: Nr. 1 der Nutzungsbedingungen: Der Nutzer ist dazu berechtigt, Status-Updates, Fotos, Videos und Stories zu teilen, Nachrichten an eine/n enge/n Freund/in oder mehrere Personen zu senden, Veranstaltungen oder Gruppen zu erstellen oder Inhalte zu seinem Profil hinzuzufügen. § 1 I NetzDG: Dieses Gesetz gilt für Telemediendiensteanbieter, die mit Gewinnerzielungsabsicht Plattformen im Internet betreiben, die dazu bestimmt sind, dass Nutzer beliebige Inhalte mit anderen Nutzern teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich machen. § 1 II NetzDG: Der Anbieter eines sozialen Netzwerks ist von den Pflichten nach den §§ 2 und 3 befreit, wenn das soziale Netzwerk im Inland weniger als zwei Millionen registrierte Nutzer hat. § 3 I 1 NetzDG: Der Anbieter eines sozialen Netzwerks muss ein wirksames und transparentes Verfahren […] für den Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte vorhalten. § 3 II NetzDG: Das Verfahren muss gewährleisten, dass der Anbieter des sozialen Netzwerks unverzüglich von der Beschwerde Kenntnis nimmt und prüft, ob der […] gemeldete Inhalt rechtswidrig und zu entfernen oder der Zugang zu ihm zu sperren ist. PRÜFUNGSSCHEMA A. K gegen B gem. §§ 241 I BGB i.V.m. Nutzungsvertrag I. Vertragsverhältnis II. Rechtmäßige Löschung des Beitrags B. Ergebnis LÖSUNG Jura Intensiv A. K gegen B gem. § 241 I BGB i.V.m. dem Nutzungsvertrag K könnte gegen B einen Anspruch auf Untersagung der Löschung und Aufhebung der zeitweiligen Sperrung nach § 241 I BGB i.V.m. dem Nutzungsvertrag haben. I. Vertragsverhältnis K hat sich im sozialen Netzwerk der B mit einem persönlichen Profil angemeldet. Hierdurch ist zwischen den Parteien ein Vertragsverhältnis zustande gekommen, das K dazu berechtigt, u.a. „Status-Updates, Fotos, Videos und Stories“ zu teilen, Nachrichten an „eine/n enge/n Freund/in oder mehrere Personen“ zu senden, Veranstaltungen oder Gruppen zu erstellen oder Inhalte zu seinem Profil hinzuzufügen (Nr. 1 der Nutzungsbedingungen). Hierunter fällt auch das streitgegenständliche Posting. Dem steht eine mit Rechtsbindungswillen eingegangene Verpflichtung der B gegenüber, die genannten Leistungen anzubieten und K hierzu zuzulassen, von der sie sich nur unter den vertraglich geregelten Vorgaben lösen kann. Durch das Anmelden auf der Plattform kommt zwischen Nutzer und Betreiber ein Vertrag unter Einbeziehung der Nutzungsbedingungen zustande. Dieser Vertrag ist nicht typisiert und enthält werkvertragliche, mietvertragliche und dienstvertragliche Elemente, RA 2017, 399 und 405. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

RA - Digital

Rspr. des Monats