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RA Digital - 10/2019

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540 Referendarteil:

540 Referendarteil: Öffentliches Recht RA 10/2019 gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 27 Abs. 2 Nr. 2 VersG und gegen das Verbot des Mitsichführens von entsprechenden Gegenständen gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1a VersG verstoßen worden. Daher habe auch wegen der Verwirklichung von Straftatbeständen bzw. Ordnungswidrigkeiten eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit vorgelegen. Ein Verstoß gegen § 43 LBG NRW liege entgegen der Ansicht der Klägerin nicht vor, da das das Polizeipräsidium gemäß dieser Norm entschieden habe, wer Auskünfte an die Öffentlichkeit erteile. Es habe dem polizeilichen Einsatzleiter oblegen, die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zu organisieren. [...] Es sei auch nicht gegen das Sachlichkeitsverbot verstoßen worden, da die objektiven Umstände die getroffene Gefahrenbewertung zugelassen hätten und keine subjektive Äußerung mit dem Zweck der Beeinflussung des Bürgers vorgelegen habe. [...]“ Ergebnissatz voranstellen (Urteilsstil!) Im Rahmen der Zulässigkeit ist auf die problematischen Punkte einzugehen. Problem 1: Feststellungsfähiges Rechtsverhältnis, da Realakt Problem 2: Feststellungsinteresse, da sich das Rechtsverhältnis erledigt hat Definition „berechtigtes Interesse“ BVerwG, Urteil vom 16.5.2013, 8 C 14/12, juris Rn 20 m.w.N. Übertragung der Fallgruppen, die von der FFK bekannt sind Präjudizinteresse (-), da Erledigung vor Klageerhebung. In diesem Fall muss unmittelbar Klage vor den Zivilgerichten erhoben, werden, gerichtet auf Schadensersatz oder Entschädigung. ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE „Die Klage hat keinen Erfolg. Die Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist vorliegend die statthafte Klageart. Unter einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis im Sinne dieser Vorschrift sind die rechtlichen Beziehungen zu verstehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis von Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben. Die Klägerin wendet sich gegen ein bereits vor Klageerhebung beendetes schlichtes Verwaltungshandeln. Ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis kann auch durch schlicht-hoheitlichen Handeln, also einen Realakt, begründet werden. Durch die Einstellung des Tweets in Verbindung mit einem Foto, auf dem die Klägerin nach ihrer Einlassung abgebildet ist, sind zwischen ihr und dem Beklagten Rechtsbeziehungen entstanden, die ein konkretes und streitiges, mithin feststellungsfähiges Rechtsverhältnis darstellen. Zweifelhaft ist aber, ob der der Klägerin auch ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung der Rechtswidrigkeit des polizeilichen Handelns zusteht. Ein solches Interesse kann grundsätzlich rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Natur sein. Entscheidend ist, dass die gerichtliche Entscheidung geeignet ist, die Position der Klägerin in den genannten Bereichen zu verbessern, wobei das Feststellungsinteresse als Sachentscheidungsvoraussetzung im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorliegen muss. Jura Intensiv Ein vergangenes Rechtsverhältnis - wie vorliegend - kann zum Gegenstand einer Feststellungsklage gemacht werden, wenn das nicht mehr bestehende Rechtsverhältnis über dessen Beendigung hinaus noch anhaltende Wirkungen entfaltet. Entgegen der Ansicht der Klägerin ergibt sich ein solches Interesse vorliegend aber weder unter dem Gesichtspunkt der Rehabilitierung, der Wiederholungsgefahr noch der Präjudizialität für Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche. Die präjudizielle Wirkung, die einem Feststellungsurteil für einen späteren Schadensersatz- oder Entschädigungsprozess vor den Zivilgerichten zukommen kann, ist allein nicht in der Lage, das berechtigte Interesse für die Erhebung der Feststellungsklage zu begründen, da die ordentlichen Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 10/2019 Referendarteil: Öffentliches Recht 541 Gerichte von sich aus in der Lage sind, vorfrageweise über das Bestehen oder Nichtbestehen eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses zu befinden. Im Übrigen hat die Klägerin Anhaltspunkte für einen unmittelbar bevorstehenden Schadensersatz- oder Amtshaftungsprozess nicht vorgetragen. Die Klägerin kann auch kein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungshandelns vor dem Hintergrund einer Wiederholungsgefahr geltend machen. Eine solche Wiederholungsgefahr setzt die hinreichend bestimmte Gefahr voraus, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen erneut ein gleichartiger Verwaltungsakt ergehen wird. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass bei einem erneuten Spiel des 1. FC Magdeburg gegen den MSV Duisburg eine Wiederholung der Situation vom 24. Februar 2017, die Anlass für den Tweet war, hinreichend wahrscheinlich ist. Denn die anlassgebenden Umstände, die zur Einstellung des Tweets geführt haben, waren äußerst spezifisch und die Maßnahme an den konkreten Umständen des Einzelfalls orientiert. Auch vor dem Hintergrund einer Rehabilitation steht der Klägerin kein berechtigtes ideelles Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Tweets zu. Ein solches Interesse besteht nur, wenn sich aus der angegriffenen Maßnahme eine Stigmatisierung des Betroffenen ergibt, die geeignet ist, sein Ansehen in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabzusetzen. Diese Stigmatisierung muss Außenwirkung erlangt haben und noch in der Gegenwart andauern. Dass die Klägerin durch die polizeiliche Maßnahme eine derartige Stigmatisierung erlitten hätte, ist weder hinreichend dargelegt noch sonst ersichtlich. Die Klägerin hat insoweit lediglich vorgetragen, sie sei nach Absetzen des Tweets von zahlreichen Personen angesprochen und gefragt worden, warum sie denn eine Durchsuchung habe verhindern wollen und ob sie etwas zu verbergen habe. Zweifelhaft ist bereits, ob solche Äußerungen Grundlage für eine Herabsetzung ihres Ansehens in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld sein können, denn es reicht nicht aus, dass der Betroffene die von ihm beanstandete Maßnahme als diskriminierend empfunden hat. [...] Jura Intensiv Schließlich ist zweifelhaft, ob die Annahme eines Feststellungsinteresse vor dem Hintergrund des Vorliegens eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs gerechtfertigt ist. Die Rechtmäßigkeitskontrolle eines solchen Eingriffs ist (nur) in Fällen tiefgreifender, tatsächlich jedoch nicht mehr fortwirkender Grundrechtseingriffe angezeigt, in denen die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann. Entgegen der in der mündlichen Verhandlung erstmals geäußerten Auffassung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin kommt ein Eingriff in das Grundrecht der Klägerin auf Versammlungsfreiheit aus Artikel 8 Grundgesetz (GG) vorliegend nicht in Betracht. Mit „vorfrageweise“ ist § 17 II 1 GVG gemeint. Wiederholungsgefahr (-), da der Tweet die Reaktion auf eine besondere Einzelfallsituation war Rehabilitationsinteresse (-), da keine Stigmatisierung in der Öffentlichkeit Tiefgreifender ist fraglich Grundrechtseingriff BVerfG, Beschluss vom 7.12.1998, 1 BvR 831/89, juris Rn 25 Kein Eingriff in Art. 8 GG, da Fußballspiel keine Versammlung darstellt © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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