Aufrufe
vor 3 Jahren

RA Digital - 10/2020

  • Text
  • Ifsg
  • Beklagte
  • Verlags
  • Beklagten
  • Anspruch
  • Inhaltsverzeichnis
  • Urteil
  • Stgb
  • Jura
  • Intensiv
Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

506 Zivilrecht

506 Zivilrecht RA 10/2020 Lesen Sie das Urteil des BGH vom 25.05.2020, RA 2020, 337 ff. EA189 mit 2,0-Liter-Hubraum ein Software-Update. Das KBA gab die Nachrüstung für den hier betroffenen Fahrzeugtyp frei. Auch für das Fahrzeug des K wurde nach dem Erwerb ein Software-Update aufgespielt. K ist der Meinung, er sei durch eine Täuschung der B zur Anschaffung eines Fahrzeugs verleitet worden, dass er sich ansonsten nicht angeschafft hätte. K verlangt deshalb von B Schadensersatz in Höhe des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs. Zu Recht? LÖSUNG A. Ansprüche des K gegen B auf Schadensersatz gem. § 823 II BGB i.V.m. § 6 I, § 27 I EG-FGV oder Art. 5 VO 715/2007/EG Sollte der Examenssachverhalt Auszüge aus der Verordnung oder den Wortlaut der §§ 6 I, 27 I EG-FGV enthalten, müssen Sie auf die Schutzgesetzqualität eingehen. Der VI. Zivilsenat hatte sich bereits im Urteil vom 25.05.2020, RA 2020, 337 ff. ausführlich damit beschäftigt. Der Senat sah den Schaden im Abschluss des Kaufvertrages, den der Käufer ohne die Täuschung nicht geschlossen hätte. Bestätigung der Rechtsprechung des VI. Zivilsenats des BGH aus RA 2020, 337: Die Verordnung schützt nicht das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht eines Autokäufers. In einer Verletzung desselben sieht K aber die Ursache des Schadens. I. Schutzgesetzverletzung Ein Anspruch aus § 823 II BGB verlangt die Verletzung des Anspruchsstellers in einem Schutzgesetz. Ein solches kann gem. Art. 2 EGBGB jede Rechtsnorm im materiellen Sinne sein, jedes Parlamentsgesetz, Rechtsverordnung oder Satzung. Jedoch ist es nur ein Schutzgesetz, wenn es nicht nur allgemeinen Interessen, sondern auch den individuellen Schutzinteressen des Verletzten dient. Hier steht der Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts im Raum, dass durch fehlerhafte Angaben negativ beeinflusst wird. Fraglich ist, ob dies bei §§ 6 I, 27 I EG-FGV oder bei Art. 5 VO 715/2007/EG zumindest auch die Schutzrichtung ist. 1. §§ 6 I, 27 I EG-FGV als Schutzgesetz im Sinne des § 823 II BGB [11] Der Kläger stützt seinen Schadensersatzanspruch darauf, dass er von der Beklagten zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst worden sei. Wie der Senat in seinem Urteil vom 25. Mai 2020 (VI ZR 252/19) ausgeführt hat, liegt das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Aufgabenbereich des § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV. Es sind auch im vorliegenden Verfahren keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber mit den genannten Vorschriften (auch) einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der einzelnen Käufer bezweckte und an die (auch fahrlässige) Erteilung einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung einen gegen den Hersteller gerichteten Anspruch auf (Rück-)Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags hätte knüpfen wollen. (…) Jura Intensiv 2. Art. 5 VO 715/2997/EG als Schutzgesetz i. S. d. § 823 II BGB Dieser Aspekt war nicht Bestandteil der Entscheidung des VI. Zivilsenats des BGH in RA 2020, 337. Die Verordnung dient aber der Vollendung des Binnenmarktes durch gleiche technische Standards sowie dem Gesundheitsschutz der Menschen. Das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht will sie nicht schützen. [12] Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liegt offensichtlich auch nicht im Aufgabenbereich des Art. 5 VO 715/2007/EG. [13] Gemäß Art. 5 Abs. 1 VO 715/2007/EG hat der Hersteller das Fahrzeug so auszurüsten, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen der Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 10/2020 Zivilrecht 507 Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig; Satz 2 regelt Ausnahmefälle. Die Verordnung 715/2007/EG dient, wie sich aus ihren Erwägungsgründen ergibt, der Vollendung des Binnenmarktes durch Einführung gemeinsamer technischer Vorschriften zur Begrenzung der Emissionen von Kraftfahrzeugen (Erwägungsgründe 1, 27) sowie dem Umweltschutz, insbesondere der Verbesserung der Luftqualität (Erwägungsgründe 1, 4 bis 7). Erwähnt sind ferner die Senkung der Gesundheitskosten und der Gewinn zusätzlicher Lebensjahre (Erwägungsgrund 7). Auch hier fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten dafür, dass die Verordnung, insbesondere ihr Art. 5, dem Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des einzelnen Fahrzeugerwerbers dienen könnte. [14] Anderes ergibt sich entgegen der Ansicht der Revision nicht aus dem Gebot einer möglichst wirksamen Anwendung des Gemeinschaftsrechts (effet utile) und den hierzu angeführten Urteilen des. Danach kann die volle Wirksamkeit der Regelung von gemeinschaftsrechtlichen Qualitätsnormen, die unter anderem dem lauteren Handel und der Markttransparenz dienen, voraussetzen, dass deren Beachtung im Wege eines Zivilprozesses durchgesetzt werden kann, den ein Wirtschaftsteilnehmer gegen einen Konkurrenten anstrengt (…). Weiter kann es mit dem zwingenden Charakter einer Richtlinie, die den Schutz der öffentlichen Gesundheit bezweckt, unvereinbar sein, grundsätzlich auszuschließen, dass eine mit der Richtlinie auferlegte Verpflichtung von einer betroffenen Person geltend gemacht werden kann. Deshalb müssen Personen, die unmittelbar von der Gefahr einer Überschreitung von Grenzwerten betroffen sind, bei den zuständigen Behörden, ggf. unter Anrufung des zuständigen Gerichts, die in der Richtlinie für diesen Fall zwingend vorgesehene Erstellung eines Aktionsplans erwirken können (…). In beiden Fällen ging es um die Durchsetzung der Beachtung von gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen, die mit dem Wettbewerbsschutz bzw. dem Gesundheitsschutz zumindest auch die Interessen der jeweiligen Kläger (Konkurrent; von Grenzwertüberschreitungen unmittelbar Betroffener) im Blick hatten. Nach der Rechtsprechung des EuGH können einem Einzelnen wegen der Verletzung von Gemeinschaftsrecht auch Schadensersatzansprüche gegen eine andere Privatperson zustehen. Voraussetzung ist aber (…), dass das verletzte Gemeinschaftsrecht dem Einzelnen Rechte verleiht (…). Aus dem Grundsatz des effet utile ergibt sich dagegen nicht das Gebot, dem Einzelnen Schadensersatzansprüche gegen eine Privatperson für die Verletzung objektiven Gemeinschaftsrechts zu gewähren und damit individuelle Interessen durchzusetzen, die die jeweilige gemeinschaftsrechtliche Bestimmung nicht schützt. Es ist daher weder notwendig noch gerechtfertigt, im Anwendungsbereich des § 823 Abs. 2 BGB bei der Verletzung von Unionsrecht contra legem auf den individualschützenden Charakter der verletzten Norm zu verzichten und unabhängig davon Schadensersatz zu gewähren (entgegen). [15] Nach diesen Grundsätzen kann der Kläger aus einer Verletzung des Art. 5 VO 715/2007/EG eine Haftung der Beklagten auf Schadensersatz in Form der Rückabwicklung eines ungewollt abgeschlossenen Kaufvertrages auch unter Berücksichtigung des effet utile nicht herleiten. Er würde damit sein wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht durchsetzen, das durch die Verordnung nicht geschützt ist. Jura Intensiv Zum Gebot einer möglichst wirksamen Anwendung des Gemeinschaftsrechts (effet utile): EuGH, Urteile vom 17.09. 2002, C - 253/00 und vom 25.07.2008, C -237/07. Diese Entscheidungen enthalten Grundsätze, wann ein Privatrechtsubjekt gegen ein anderes Privatrechtsubjekt wegen der Verletzung von Gemeinschaftsrecht klagen kann. Ein Schadensersatzanspruch eines Privatrechtsubjekts gegen ein anderes Privatrechtssubjekts wegen Verletzung von Gemeinschaftsrecht setzt zwingend voraus, dass das verletzte Gemeinschaftsrecht dem Einzelnen Rechte verleiht: EuGH, Urteil vom 20.09. 2001, C - 453/99. Schadensersatz lässt sich nicht aus einer gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung herleiten, wenn diese keine individuellen Interessen schützt. Differenzierend zwischen Verordnungen sowie Satzungen: Münch. Komm./Wagner, BGB, 7. Aufl., § 823 Rn 481 Entscheidendes Argument: Die Verordnung soll nicht das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht des Privatrechtssubjekts schützen. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

RA - Digital

Rspr. des Monats