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RA Digital - 10/2021

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520 Zivilrecht

520 Zivilrecht RA 10/2021 Ergebnis: Keine Realisierung der Betriebsgefahr im Kausalverlauf Fahrstreifenwechsel spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Wechselnde die ihm gemäß § 7 Abs. 5 StVO obliegende Sorgfaltspflicht bei den Fahrstreifenwechsel nicht in ausreichendem Maße beachtet und den Unfall alleine verursacht und verschuldet hat (...). [25] Die bloße Anwesenheit des Fahrzeugs der Beklagten zu 2 auf der rechten Spur ist nach alledem nicht ausreichend dafür, dass davon ausgegangen werden kann, dass der Schaden am Fahrzeug der Klägerin zu 1 bei dem Betrieb des Fahrzeugs der Beklagten zu 2 entstanden ist, da nicht ersichtlich ist, dass sich in der streitgegenständlichen Kollision eine von dem Kfz der Beklagten zu 2 ausgehende Gefahr verwirklicht hat. Somit hat K gegen B keinen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 7.000 € aus § 7 I StVG. In Prüfungsaufgaben aus dem Deliktsrecht wird auf die vollständige Erfassung und Bearbeitung aller in Betracht kommender Anspruchsgrundlagen besonders viel Wert gelegt. Aufgaben aus diesem Gebiet werden im Prüfererwartungshorizont regelmäßig als leicht bis allenfalls mittelschwer eingestuft. Aus diesem Grunde sollte der Anspruch aus § 823 I BGB nicht vergessen werden, auch wenn man seine Voraussetzungen mit einem einzigen schlanken Satz durch einen Verweis auf gefundene Ergebnisse verneinen kann. B. Anspruch K gegen B aus § 823 I BGB Fraglich ist, ob K wegen der erlittenen Verletzungen an ihrem Körper und ihrem Eigentum einen Anspruch aus § 823 I BGB gegen B hat. [26] Die Klägerinnen haben gegen die Beklagten auch keinen Anspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB. Eine der Beklagten zu 2 zurechenbare Rechtsgutsverletzung am Eigentum der Klägerin zu 1 ist entsprechend den obigen Ausführungen nicht gegeben. C. Ergebnis K hat gegen B keinen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 7.000 €. FAZIT Die Auslegung des Merkmals „bei dem Betrieb des Kraftfahrzeuges“ in § 7 I StVG ist ein Dauerbrenner in beiden Staatsexamen. Der Begriff der Betriebsgefahr muss nicht nur richtig eingeordnet werden, nicht selten werden auch Kenntnisse aktueller Rechtsprechung abgeprüft. Interessante Fälle zu diesem Problemkreis nehmen wir gerne in die RA auf. Sehr lohnenswert ist in diesem Zusammenhang die Lektüre folgender, noch als aktuell zu bezeichnender Urteile: Jura Intensiv • Unterbrechung des haftungsrechtlichen Zusammenhangs bei § 7 I StVG: BGH, Urteil vom 26.03.2019, VI ZR 236/18, RA 07/2019, 337 • Reichweite des § 7 I StVG bei Unfall ohne Fahrzeugberührung: BGH, Urteil vom 22.11.2016, VI ZR 533/15 = RA Telegramm 02/2017, 8 • Parken über einem glühenden Holzkohlegrill: LG Saarbrücken, Urteil vom 23.12.2019, 13 S 177/19 = RA 02/2020, 71 • Ausschluss des § 7 I StVG durch § 8 Nr. 2 StVG: BGH, Urteil vom 12.01.2021, VI ZR 662/20 = RA 03/2021, 117 Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 10/2021 Referendarteil: Zivilrecht 521 Speziell für Referendare Problem: Löschung eines Facebook-Posts aufgrund AGB Einordnung: Schuldrecht BT, Verfassungsrecht BGH, Urteil vom 29.07.2021 III ZR 179/20 EINLEITUNG Es ist bekannt, dass in sozialen Medien, nicht zuletzt aufgrund der problemfrei zu erzeugenden Anonymität, „einfache Geister“ bezüglich komplexer, teils globaler Probleme oder Spannungsfelder mit – aus unterschiedlichsten politischen Betrachtungswinkeln – teils extremen und strafrechtlich relevanten Kommentaren meinen, entweder die goldene Lösung für sämtliche Probleme gefunden zu haben oder sich zumindest „ordentlich Luft“ machen zu müssen. Was der Betreiber unter welchen Voraussetzungen verbieten darf, falls die strafrechtliche Grenze nicht erreicht ist, ergibt sich aus der folgenden, als erstinstanzliches Urteil dargestellten, Entscheidung. TATBESTAND Die Klägerin (K) unterhält ein privates Nutzerkonto für ein von der Muttergesellschaft der Beklagten (B) betriebenes weltweites soziales Netzwerk, dessen Anbieterin und Vertragspartnerin für Nutzer mit Sitz in Deutschland die im Mitgliedsstaat (…) ansässige B ist. Zur Regelung der Einzelheiten der Nutzung ihres Netzwerks verwendet die B unter anderem von ihr vorgegebene Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards, welche die B am (…) änderte und die weitere Nutzung des Netzwerkes von der Zustimmung der Nutzer, von K am (…) erteilt, abhängig machte. Dort heißt es auszugsweise in Nr. 3.2: „Wir können Inhalte entfernen, die du unter Verstoß gegen diese Bestimmungen geteilt hast, sowie (…) Maßnahmen bezüglich deines Kontos ergreifen. (…) Soweit möglich werden wir dich davon in Kenntnis setzen, wenn wir deine Inhalte wegen eines Verstoßes gegen unsere Gemeinschaftsstandards entfernen.“ Weiter heißt es dort unter Teil III - Anstößige Inhalte Nr. 12. Hassrede: „Wir lassen Hassrede auf F. grundsätzlich nicht zu. Hassrede schafft ein Umfeld der Einschüchterung, schließt Menschen aus und kann in gewissen Fällen Gewalt in der realen Welt fördern. Wir definieren Hassrede als (…)“. Die K stellte in das Netzwerk der B den folgenden Beitrag ein: „Schon der Wahnsinn, kann mich nicht an ein Attentat erinnern, das sog. Reichsbürger verübt haben. Im Gegensatz dazu dann die Morde von islamischen Einwanderern, die man zwar beobachtet hat, aber nichts dazu machen konnte. Deutsche Menschen werden kriminalisiert, weil sie eben eine andere Ansicht von ihrem Heimatland haben als das Regime. Migranten können hier morden und vergewaltigen und keinen interessiert’s! Da würde ich mir mal ein Durchgreifen des Verfassungsschutzes wünschen.“ Daraufhin löschte die B den Beitrag der K. Jura Intensiv K vertritt die Rechtsansicht, die Nutzungsbedingungen in der geltenden Fassung seien gemäß § 307 I 1 BGB unwirksam, weil die Nutzer durch die der B eingeräumten Befugnis zur Entfernung von Beiträgen unangemessen benachteiligt seien. Dies gelte insbesondere in Ansehung des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 I 1 GG. Außerdem habe B aufgrund ihrer Marktdominanz das Einverständnis zur Änderung der Nutzungsbedingungen faktisch erzwungen. LEITSÄTZE 1. Die betreiberseitige Bedingung, die Plattform im Fall fehlender Zustimmung hierzu nicht mehr nutzen zu dürfen, führt nicht per se aufgrund einer Monopolstellung des Betreibers zur Unwirksamkeit der Vertragsänderung gem. § 138 BGB. 2. Betreiber von sozialen Medien haben grds. die Befugnis, Kommunikationsstandards, die über strafrechtliche Vorgaben hinausgehen, vorgeben zu dürfen, sind aber an die mittelbare Wirkung von Grundrechten im Privatrecht gebunden. Um dem gerecht zu werden, bedarf es für die Löschung einen sachlichen Grund und einer Anhörungsmöglichkeit des Betroffenen. Zudem besteht eine Informationspflicht gegenüber dem Betroffenen nebst Wiederherstellungsmöglichkeit des gelöschten Beitrages. Die Ausführungen zum Sitz der B sind in der Originalentscheidung missverständlich. Auch die B sitzt, obwohl sie für deutsche Nutzer zuständig ist, nicht in Deutschland. Die Formatierung in kursiv dient hier für Sie als Leseerleichterung. Sie „formatieren“ in Ihrer Klausur Ausführungen zum unstreitigen Tatbestand nicht. Der BGH gab der Klage auf Wiederherstellung dieses Beitrages statt und ging wohl daher – ohne ausdrückliche Erwähnung – davon aus, dass hier eine strafrechtliche Grenze nicht überschritten wurde. Wäre dies anders, ergäbe sich das Recht zum Löschen strafrechtlich relevanter Posts bereits aus § 3 II Nr. 1 u. 2 NetzDG. Der streitige Parteivortrag wird im Präsens und indirekter Rede dargestellt. Trennen Sie zwischen Tatsachenbehauptungen und Rechtsansichten. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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