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RA Digital - 10/2021

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536 Öffentliches Recht

536 Öffentliches Recht RA 10/2021 Argumente: • Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Stadtrat und OB würde verschwimmen • Stadtrat könnte OB unter Druck setzen und damit dessen eigenständige Organstellung beeinträchtigen Ein guter genereller Überblick über das Problem findet sich bei Gern/ Brüning, Deutsches Kommunalrecht, Rn 604. An einer solchen inneren Rechtfertigung für Meinungsäußerungen gegenüber dem Bürgermeister fehlt es indes bei einer fehlenden innergemeindlichen Zuständigkeit ebenso wie an jedweden Begrenzungskriterien. Ließe man eine Befassung des Gemeinderats mit Angelegenheiten im Zuständigkeitsbereich des Bürgermeisters zu, müsste dies letztlich für alle Aufgaben des Bürgermeisters - auch diejenigen nach § 53 Abs. 3 SächsGemO - gelten. Damit droht die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen den Gemeindeorganen zu verschwimmen, zumal es für solche Befassungen auch an einer handhabbaren quantitativen Beschränkung fehlt. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass entsprechende Befassungen - zumal wenn sie häufig oder regelmäßig erfolgen - geeignet sind, den Bürgermeister unter Druck zu setzen und damit die eigenständige, vom Gemeinderat gerade unabhängige Organstellung des Bürgermeisters zu beeinträchtigen. Das gilt umso mehr, wenn es der Gemeinderat darüber hinaus - wie in der hier streitigen Vorlage vorgesehen - nicht bei Meinungsäußerungen belässt, sondern den Bürgermeister zu einer bestimmten Vorgehensweise strikt auffordert („möge veranlassen“).“ Da dem Stadtrat somit weder eine Entscheidungskompetenz noch eine Befassungskompetenz zusteht, durfte es der Oberbürgermeister ablehnen, den Antrag der A auf die Tagesordnung zu setzen. FAZIT Obwohl das Vorprüfungsrecht des Ratsvorsitzenden im konkreten Fall aufgrund der Rechtslage in Sachsen eindeutig gegeben war, hat das OVG Bautzen die Gelegenheit genutzt, das zugrunde liegende Rechtsproblem grundsätzlich zu beleuchten. Die Überlegungen des Gerichts sind daher auf die anderen Flächenbundesländer übertragbar, wobei allerdings stets darauf zu achten ist, ob es im konkreten Landesrecht eine ausdrückliche Bestimmung wie § 36 V 2 SächsGemO gibt. Von besonderer Examensrelevanz sind die weitergehenden Ausführungen des OVG zur Entscheidungs- und Befassungskompetenz des Stadtrats, da es hier entscheidend auf die Verbandskompetenz der Stadt und die Organkompetenz des Stadtrats ankommt. Es sind folgende Konstellationen zu unterscheiden: Jura Intensiv 1. Verbandskompetenz der Stadt und Organkompetenz des Stadtrats (+) • Stadtrat hat eine Befassungs- und Entscheidungskompetenz. 2. Verbandskompetenz der Stadt (-) • Stadtrat hat eine Befassungskompetenz, wenn ein spezifisch örtlicher Bezug besteht (unzulässig sind allgemeinpolitische Stellungnahmen). 3. Verbandskompetenz der Stadt (+), aber Organkompetenz des Stadtrats (-) • Stadtrat hat weder eine Befassungs- noch eine Entscheidungskompetenz. Zur rechtlichen Zulässigkeit der Beschlüsse zum Klimanotstand: Groth/ Groth/Bender, Kommunaler Klimanotstand, https://www.helmholtz-klima.de/ aktuelles/was-ein-klimanotstandfuer-kommunen-bedeutet, S. 4-6 Darüber hinaus sei darauf hingewiesen, dass es in Prüfungen immer wieder Probleme bereitet zu entscheiden, ob der erforderliche spezifische örtliche Bezug vorliegt. Beispielhaft seien die in letzter Zeit von vielen Städten und Gemeinden gefassten Beschlüsse zum sog. Klimanotstand genannt. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 10/2021 Öffentliches Recht 537 Problem: Drittschutz im Baurecht Einordnung: Baurecht OVG Magdeburg, Beschluss vom 01.09.2021 2 M 70/21 EINLEITUNG Wenn ein Bauherr den Nachbarn zu sehr „auf die Pelle rückt“, führt das regelmäßig zu Streit. Das zeigt der Beschluss des OVG Magdeburg exemplarisch, dessen Sachverhalt aus didaktischen Gründen für die Darstellung in der „RA“ etwas vereinfacht wurde. SACHVERHALT In der Stadt M soll das Gebäude der Polizeiinspektion umgebaut und erweitert werden und zukünftig direkt an das Wohngebäude der Antragsteller anschließen. Ein Bebauungsplan existiert nicht. Das Vorhabengrundstück ist durch großflächige Verwaltungsgebäude und Fahrzeugstellflächen geprägt; einem Baugebiet i.S.d. BauNVO lässt sich dieser Bereich nicht zuordnen. Mit dem Gebäude der Antragsteller beginnt die Wohnbebauung, in die auch kleinere Gewerbebetriebe eingegliedert sind. Dieser Bereich entspricht einem faktischen allgemeinen Wohngebiet. Die Bauweise ist geschlossen. Die Antragsteller sind der Meinung, das Bauvorhaben verstoße offensichtlich gegen § 34 BauGB und könne daher nur durch Erlass eines Bebauungsplans legitimiert werden, es bestehe folglich ein Planungserfordernis gem. § 1 III 1 BauGB. Indem kein Bebauungsplanverfahren eingeleitet wurde, seien ihre in diesem Verfahren bestehenden Beteiligungsrechte verletzt worden. Des Weiteren rügen die Antragsteller eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs und der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenbestimmung. Ferner sind sie der Auffassung, das Gebot der Rücksichtnahme werde ihnen gegenüber verletzt, weil das Bauvorhaben unmittelbar an ihr Wohngebäude angrenze und damit zum einen zu einer Verschattung führe und zum anderen die Einsichtnahme in ihre Privaträume ermögliche. Schließlich hätte in diesem speziellen Fall die obere Bauaufsichtsbehörde dem Bauvorhaben zustimmen müssen, was aber nicht geschehen sei. Sind die Antragsteller in ihren Nachbarrechten verletzt? Jura Intensiv LÖSUNG Die Antragsteller sind in ihren Nachbarrechten verletzt, wenn ein Verstoß gegen eine Norm vorliegt, die im Sinne der sog. Schutznormtheorie zumindest auch dem Schutz von Individualinteressen dient und die Antragsteller zum geschützten Personenkreis gehören. I. Planungserfordernis gem. § 1 III 1 BauGB Die Antragsteller rügen zunächst die Erforderlichkeit eines Bebauungsplans gem. § 1 III 1 BauGB und daran anknüpfend die Verletzung von Beteiligungsrechten. „Das Vorhaben […] liegt […] im unbeplanten Innenbereich i.S. des § 34 BauGB. […] Für den im Zusammenhang bebauten Ortsteil hat der Gesetzgeber selbst die einer verbindlichen Bauleitplanung gleichstehende Entscheidung getroffen, dass ein Vorhaben, das sich im Sinne des § 34 LEITSÄTZE 1. Der Zulässigkeit eines Vorhabens im unbeplanten Innenbereich kann über die in § 34 Abs. 1 bis 3 bezeichneten Voraussetzungen hinaus nicht entgegengehalten werden, dass etwa wegen seiner städtebaulichen Relevanz oder wegen seiner ggf. nicht erwünschten städtebaulichen Auswirkungen ein „Planungsbedürfnis“ besteht. 2. Ein grenzüberschreitender Gebietserhaltungsanspruch ist in faktischen Baugebieten i.S.v. § 34 Abs. 2 BauGB ausnahmslos ausgeschlossen. 3. Die Regelung des § 6 Abs. 1 Satz 3 BauO LSA, nach der die Einhaltung von Abstandsflächen nicht erforderlich ist, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder gebaut werden darf, ist auch dann anwendbar, wenn nicht die Frage eines seitlichen, sondern eines rückwärtigen Grenzanbaus im Streit steht. 4. Ein Nachbar hat keinen Anspruch darauf, dass die Vorschriften über das Baugenehmigungs- und auch das Zustimmungsverfahren beachtet werden. […] Beachte: Die Schutznormtheorie ist die Theorie, mit der in Zweifelsfällen immer festgestellt wird, ob eine Vorschrift ein subjektiv-öffentliches Recht beinhaltet. Unbeplanter Innenbereich abschließend geregelt in § 34 BauGB • Planungserfordernis spielt keine Rolle © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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