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RA Digital - 10/2022

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512 Zivilrecht

512 Zivilrecht RA 10/2022 ZIVILRECHT Problem: Prüfpflichten eines Bewertungsportals Einordnung: Schuldrecht, Deliktsrecht BGH, Urteil vom 09.08.2022 VI ZR 1244/20 LEITSATZ Bei einem Bewertungsportal (hier: Hotelbewertungsportal) reicht die Rüge des Bewerteten, einer Bewertung liege kein Gästekontakt zugrunde, grundsätzlich aus, um Prüfpflichten des Bewertungsportals auszulösen. Zu weiteren Darlegungen, insbesondere einer näheren Begründung seiner Behauptung des fehlenden Gästekontakts, ist der Bewertete gegenüber dem Bewertungsportal grundsätzlich nicht verpflichtet. Dies gilt nicht nur in dem Fall, dass die Bewertung keinerlei tatsächliche, die konkrete Inanspruchnahme der Leistung beschreibende Angaben enthält und dem Bewerteten daher eine weitere Begründung schon gar nicht möglich ist, sondern auch dann, wenn für einen Gästekontakt sprechende Angaben vorliegen (Klarstellung zu Senatsurteil vom 1. März 2016 - VI ZR 34/15, BGHZ 209, 139 Rn. 26). Denn der Bewertete kann diese Angaben regelmäßig nicht überprüfen und damit den behaupteten Gästekontakt nicht sicher feststellen. Einer näheren Begründung der Behauptung des fehlenden Gästekontakts bedarf es nur, wenn sich die Identität des Bewertenden für den Bewerteten ohne Weiteres aus der Bewertung ergibt. Im Übrigen gilt die Grenze des Rechtsmissbrauchs. Die Entscheidung enthält wichtige Ausführungen zum IZPR und IPR, die für den Schwerpunktbereich relevant sind, die Prüfungsanforderungen im Pflichtfachbereich aber erheblich überschreiten, weshalb sie hier nicht auftauchen. B ist Schweizer und betreibt das Portal in der Schweiz. Grundsätzlich abgrenzend: BGH, Urteil vom 16.12.2014, VI ZR 39/14 EINLEITUNG Unternehmer sehen sich in Zeiten des Internets mit Bewertungsportalen konfrontiert, in denen Nutzer im Schutze der Anonymität über den Unternehmer verbreiten, was sie möchten. Wie Unternehmer sich wehren können, zeigt anschaulich diese BGH-Entscheidung. SACHVERHALT: B betreibt ein Reiseportal im Internet. Nutzer des Portals können unter anderem Hotels buchen und, wenn sie mit einer E-Mail-Adresse bei B registriert sind, Hotels anhand eines Notenschemas mit bis zu sechs Sonnensymbolen in verschiedenen Kategorien (Hotel, Zimmer, Service, Lage, Gastronomie, Sport & Unterhaltung) und im Rahmen von Freitexten bewerten. Die Bewertungen werden unter dem vom Nutzer angegebenen Namen veröffentlicht und können Angaben enthalten zur Altersgruppe des Nutzers, zum Reisezeitraum, zur Reisedauer und dazu, ob die Reise allein, als Paar, mit Freunden oder als Familie und mit wie vielen Kindern durchgeführt wurde. Für bis zu zehn veröffentlichte deutschsprachige Hotelbewertungen pro Monat erhalten die Nutzer Flugmeilen als Prämie. Die Nutzungsrichtlinien der Beklagten sehen vor, dass eine Leistung nur bewertet werden darf, wenn sie auch in Anspruch genommen wurde. K, eine juristische Person, betreibt einen Ferienpark mit 1.180 Wohneinheiten und 4.000 Betten. Sie wendet sich gegen mehrere negative (3 Sonnensymbole), teils mit Fotos versehene Bewertungen, gegen die Sauberkeit und den Service im Portal der B mit der Behauptung, die Bewerter seien keine Gäste ihrer Freizeiteinrichtung gewesen. B schweigt zu diesem Vorwurf. K, ordnungsgemäß vertreten durch ihr Organ, verlangt von B, es zu unterlassen, Bewertungen der Nutzer mit den Namen „Sandra“, „Nadine“, „M und S“, „Elisabeth“, „Sven“, „Mari“, „Karri“, „Franzi“, „Anja“ und „Jana“ zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen, wie auf der Internetseite der B geschehen. Zu Recht? Jura Intensiv LÖSUNG A. Anspruch der K gegen B auf Unterlassung der Verbreitung der Nutzerbewertungen aus Art. 17 DSGVO K könnte gegen B einen Anspruch aus Art. 17 DSGVO darauf haben, dass es B unterlässt, Bewertungen der o.g. Nutzer zu verbreiten oder verbreiten zu lassen. Jedoch werden gem. Art. 1 DSGVO nur natürliche Personen von dieser Verordnung geschützt, was auf K nicht zutrifft. Folglich hat K keinen Anspruch gegen B aus Art. 17 DSGVO. B. Anspruch der K gegen B auf Unterlassung der Verbreitung der Nutzerbewertungen gem. §§ 1004 I 2 BGB analog, 824 I BGB K könnte gegen B einen Anspruch auf Unterlassung der Verbreitung der Nutzerbewertungen gem. §§ 1004 I 2 BGB analog, 824 BGB haben. Jedoch bietet § 824 I BGB nur Schutz vor falschen Tatsachenbehauptungen, aber keinen Schutz vor abwertenden Meinungsäußerungen. Dies gilt auch für Äußerungen, Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 10/2022 Zivilrecht 513 in denen Tatsachen und Meinungen sich vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind. Ein Unterlassungsanspruch aus § 1004 I 2 BGB analog i. V. m. § 824 I BGB kommt daher nicht in Betracht. C. Anspruch der K gegen B auf Unterlassung der Verbreitung der Nutzerbewertungen nach § 1004 I 2 BGB analog, § 823 I BGB i. V. m. Art. 2 I, Art. 19 III 3 GG wegen Verletzung des Unternehmenspersönlichkeitsrechts K könnte gegen B einen Anspruch auf Unterlassung der Verbreitung der Nutzerbewertungen nach § 1004 I 2 BGB analog, § 823 I BGB i. V. m. Art. 2 I, Art. 19 III 3 GG haben, wenn diese K in ihrem Unternehmenspersönlichkeitsrecht verletzen, B Störer ist und K nicht zur Duldung verpflichtet ist. I. Verletzung des Unternehmenspersönlichkeitsrecht als „sonstiges Recht“ Eine analoge Anwendung des § 1004 I BGB setzt voraus, dass zwar nicht das Eigentum, jedoch ein dem Eigentum ähnliches „sonstiges Recht“ im Sinne des § 823 I BGB verletzt wird. Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb schützt auch das Interesse des Unternehmers daran, dass seine wirtschaftliche Stellung nicht durch inhaltlich unrichtige Informationen oder Wertungen, die auf sachfremden Erwägungen beruhen oder herabsetzend formuliert sind, geschwächt wird und andere Marktteilnehmer deshalb von Geschäften mit ihm abgehalten werden. Ferner steht das Allgemeine Persönlichkeitsrecht gem. Art. 19 III GG auch Unternehmen zu. Als Unternehmenspersönlichkeitsrecht schützt es den sozialen Geltungsanspruch des Unternehmens als Wirtschaftseinheit und ist als absolutes, sonstiges Recht im Sinne des § 823 I BGB anerkannt. Indem die B über ihre Plattform Nutzern ermöglicht abfällige, abwertend gemeinte Beiträge, welche die Leistungen der K bewerten, zu platzieren und einer lesenden Öffentlichkeit zugänglich zu machen, könnte sie in dieses Recht eingegriffen haben. [32] Die beanstandeten Bewertungen greifen in den Schutzbereich des Unternehmenspersönlichkeitsrechts der Klägerin ein. Betroffen ist der durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete soziale Geltungsanspruch der Klägerin als Wirtschaftsunternehmen (...). In den angegriffenen Bewertungen werden die Leistungen der Klägerin mit maximal drei Sonnensymbolen bewertet, wobei sechs Sonnensymbole die „Bestnote“ sind. Im Freitext bemängeln die Nutzer unter anderem die Sauberkeit der Zimmer, den Zustand der Freizeitanlage und den Service der Klägerin. Die Kundgabe der angegriffenen Bewertungen auf der Webseite der Beklagten ist geeignet, sich abträglich auf das unternehmerische Ansehen der Klägerin auszuwirken. Die Bewertungen können dazu führen, dass potentielle Kunden die Leistungen der Klägerin nicht nachfragen. Jura Intensiv Grundsatzentscheidung: BGH, Urteil vom 28.07.2015, VI ZR 340/14 = BGHZ 206, 289 (Rn 27) Kürzer zusammengefasst: Die Bewertungen sind geschäftsschädigend. Folglich liegt ein Eingriff in das Unternehmenspersönlichkeitsrecht vor. II. Störereigenschaft der B B muss Störer i. S. d. § 1004 I BGB sein. [23] Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass es im Streitfall nicht um die Haftung der Beklagten als unmittelbare Störerin (...) geht. Unmittelbare Störerin könnte die Beklagte nur dann sein, wenn es sich bei den von der Klägerin angegriffenen Bewertungen um einen © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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