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RA Digital - 10/2022

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518 Zivilrecht

518 Zivilrecht RA 10/2022 Entstehung eines rechtsgeschäftsähnlichen Schuldverhältnisses gem. § 311 II Nr. 2 BGB Wichtig: § 311 II Nr. 2 BGB liegt unabhängig von der Geschäftsfähigkeit der K vor. Das JuSchG begründet Rücksichtspflichten gem. § 241 II BGB. Die Frankfurter Justiz sieht die Rücksichtspflichtverletzung in der fehlenden Alterskontrolle, was sowohl verständlich als auch pragmatisch ist, da dies zur Stützung des Ergebnisses völlig genügt. Nicht erwähnt wird, dass auch Erwachsene beim unsachgemäßen Gebrauch einer Shisha eine CO-Vergiftung erleiden können, weshalb eine Aufklärung über das richtige Inhalieren immer zu erfolgen hat. Wäre K eine Erwachsene, wäre zu prüfen, ob die Aufklärung pflichtwidrig unterlassen wurde. Ferner müsste in diesem Fall auch das Mitverschulden der K überprüft werden. Definition des Erfüllungsgehilfen Zurechnung des Verschuldens des Erfüllungsgehilfen gem. § 278 BGB [2] Zwischen den Parteien ist ein Vertragsanbahnungsverhältnis mit den Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB zustande gekommen. Die Beklagte ist Betreiberin des Lokals „X-Pub“ (...). Die Klägerin hat nach den zutreffenden Feststellungen des Landgerichts (vgl. unten) das Lokal am XX.XX.2019 aufgesucht, um eine Shisha zu rauchen. Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass es nicht darauf ankommt, ob im Hinblick auf die Minderjährigkeit der Klägerin zum damaligen Zeitpunkt ein wirksamer Vertrag über die Bestellung der Shisha zustande gekommen ist. Nach § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB kann es bereits durch die Anbahnung eines Vertrages bzw. nach Nr. 3 durch ähnliche geschäftliche Kontakte zur Begründung eines Schuldverhältnisses mit Schutz- und Rücksichtspflichten im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB kommen. Bereits in diesem Stadium besteht die Pflicht, sich so zu verhalten, dass Körper, Leben und sonstige Rechtsgüter des anderen Teils nicht verletzt werden (....). Diese Pflicht besteht unabhängig davon, ob der zum Zeitpunkt des Unfalls beabsichtigte oder abgeschlossene Vertrag wirksam zustande gekommen ist. Das gesetzliche Schuldverhältnis ist daher von der Geschäftsfähigkeit der Geschädigten unabhängig (...). II. Pflichtverletzung gem. § 241 II BGB B muss eine Rücksichtspflicht gem. § 241 II BGB verletzt haben. [4] Die Beklagte hatte sich nach § 241 Abs. 2 BGB so zu verhalten, dass die Rechtsgüter der Klägerin nicht verletzt werden. Zu ihren Schutzpflichten gehörte die Einhaltung der Bestimmungen des Jugendschutzes (§§ 10 Abs. 1, Abs. 4, 28 Abs. 1 Nr. 12 JuSchG). Nach § 10 Abs. 1 JuSchG dürfen in Gaststätten Tabakwaren und andere nikotinhaltige Erzeugnisse und deren Behältnisse an Kinder oder Jugendliche weder abgegeben noch darf ihnen das Rauchen oder der Konsum nikotinhaltiger Produkte gestattet werden. Die Regelung gilt nach § 10 Abs. 4 JuSchG entsprechend auch für nikotinfreie Erzeugnisse, wie elektronische Zigaretten oder elektronische Shishas. Nach § 2 Abs. 2 JuSchG haben Gewerbetreibende in Zweifelsfällen das Lebensalter zu überprüfen. Der vorsätzliche oder fahrlässige Verstoß gegen § 10 Abs. 1, Abs. 4 JuSchG stellt gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 12 JuSchG eine Ordnungswidrigkeit dar. [5] Das Landgericht hat nach durchgeführter Beweisaufnahme zu Recht festgestellt, dass die zu diesem Zeitpunkt noch minderjährige Klägerin am XX.XX.2019 gemeinsam mit einer ebenfalls minderjährigen Bekannten das Lokal besuchte und - ohne vorherige Alterskontrolle durch das Personal - eine Shisha bestellte und an den Tisch gebracht bekam. Bereits nach wenigen Zügen erlitt die Klägerin eine Kohlenmonoxid-Vergiftung und kollabierte kurzzeitig. Anschließend verließ sie das Lokal und begab sich in stationäre ärztliche Behandlung. [3] Die Beklagte hat eine Pflichtverletzung nach § 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB dadurch begangen, dass Mitarbeiter ihres Lokals der minderjährigen Klägerin den Konsum tabakhaltiger Erzeugnisse ohne vorherige Alterskotrolle gestatteten. Jura Intensiv Folglich liegt eine Pflichtverletzung gem. § 241 II BGB vor. III. Vertretenmüssen B hat gem. § 276 BGB eigenes sowie gem. § 278 BGB das Verschulden ihrer Erfüllungsgehilfen zu vertreten. Erfüllungsgehilfe ist, wer im Pflichtenkreis des Schuldners mit dessen Wissen und Wollen tätig ist. Die Mitarbeiter der B, welche der K eine Shisha zum Rauchen ausgehändigt haben, ohne zuvor eine Alterskontrolle durchzuführen, sind Erfüllungsgehilfen der B und haben Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 10/2022 Zivilrecht 519 durch ihr Verhalten die im Verkehr erforderliche Sorgfalt i. S. d. § 276 II BGB außer Acht gelassen. Damit hat B die Pflichtverletzung zu vertreten. IV. Kausaler, ersatzfähiger Schaden Schmerzensgeld kann als immaterieller Schaden gem. § 253 II BGB in angemessener Höhe verlangt werden, wenn einer der in § 253 II BGB geregelten Fälle eingetreten ist und die Ursache auch auf der schuldhaften Pflichtverletzung beruht. [7] Entgegen der Ansicht der Beklagten gibt es keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass die Aussage der Zeugin A sowie die Angaben der Klägerin im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung nicht der Wahrheit entsprechen könnten. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Klägerin am XX.XX.2019 eine CO-Vergiftung erlitt (Klageerwiderung, S. 2). Es ist nicht unplausibel, dass die Klägerin nach der Vergiftung, die sie sich nach ihren Angaben im Lokal der Beklagten zuzog, nach einer kurzzeitigen Bewusstlosigkeit das Lokal in Begleitung ihrer Bekannten „gehend“ verlassen konnte. Die Zeugin A hat anschaulich geschildert, wie die Klägerin einen Krampfanfall erlitt und erst nach einiger Zeit und der Verabreichung von Wasser wieder zu sich kam. [11] Die Pflichtverletzung war ursächlich für die Gesundheitsbeeinträchtigung der Klägerin. Der eingetretene Schaden liegt auch nicht außerhalb des Schutzzwecks der verletzten Normen. Wie das Landgericht zu Recht ausgeführt hat, sollen die Jugendschutzvorschriften nach §§ 2, 10, 28 JuSchG den besonderen Gefahren des Rauchens bei Jugendlichen begegnen (vgl. BT-Drs. 14/9013, S. 19 f.). Die Bestimmungen wurden aufgrund der vergleichbaren, erheblichen Gesundheitsgefährdungen für Kinder und Jugendliche auf Shishas erstreckt (vgl. BT-Drs. 18/6858, S. 14; Erbs/Kohlhaas/Liesching, 239. EL Dezember 2021, JuSchG § 10 Rn. 1). Mit der eingetretenen Gesundheitsbeeinträchtigung hat sich folglich ein Risiko realisiert, vor dem die Jugendschutzvorschriften die Klägerin gerade schützen sollten. V. Schadenshöhe Gem. § 253 II ist eine billige Entschädigung in Geld als Schmerzensgeld zu leisten. Deshalb liegt seine Höhe im Ermessen des Gerichts. Aus diesem Grund kann das Schmerzensgeld unbeziffert geltend gemacht, seine Höhe ins Ermessen des Gerichts gestellt werden. Damit besteht der geltend gemachte Anspruch der K gegen B. Jura Intensiv B. Anspruch aus § 831 I BGB i. V. m. § 253 II BGB K könnte gegen B einen Anspruch aus §§ 831 I, 253 II BGB haben. I. Bestellung eines Verrichtungsgehilfen Dann müsste B einen Verrichtungsgehilfen bestellt haben. Verrichtungsgehilfe ist, wer im Geschäftskreis des Geschäftsherrn nach dessen Weisung tätig ist. B hat mit der Eröffnung der Shisha-Bar einen Geschäftskreis eröffnet. In diesem handelt der Angestellte des B innerhalb dessen Weisungen B und ist mithin sein Verrichtungsgehilfe. II. Unerlaubte Handlung eines Verrichtungsgehilfen. Der Angestellte des B, der K die Shisha ausgehändigt hat, muss den objektiven Tatbestand einer unerlaubten Handlung erfüllt haben. In Betracht kommt der objektive Tatbestand des § 823 I BGB. 1. Rechtsgutsverletzung Aufgrund der CO-Vergiftung wurden innere Körpervorgänge der A erheblich gestört. Dies stellt eine Gesundheitsbeschädigung dar. Eine Rechtsgutsverletzung liegt vor. Es ist naheliegend, dass die Prozessbevollmächtigten des B versucht haben, Zweifel an der Glaubhaftigkeit zu streuen. Die Symptome, welche von der Zeugin geschildert wurden, passen aber gut zu einer CO-Vergiftung. Das OLG hat an der Kausalität keinen Zweifel. Die eingetretene Rechtsgutsverletzung entstammt dem Gefahrenabwehrbereich der verletzten Rücksichtspflicht. Gerade Jugendliche müssen vor den Gefahren einer CO- Vergiftung geschützt werden. Das OLG Frankfurt benötigt zur Stattgabe der Klage nur eine Anspruchsgrundlage. Weitere werden in einem stattgebenden Urteil in der Regel nicht erwähnt. In einer Klausur wären noch Ansprüche aus § 831 I BGB sowie aus § 823 I BGB und § 823 II BGB zu prüfen. Wir führen § 831 I BGB noch aus, verzichten aber aus Platzgründen auf § 823 BGB. Soweit es geht, sollte man „nach oben“ verweisen, denn die wesentlichen Fragen wurden ja bereits beantwortet. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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