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RA Digital - 10/2022

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520 Zivilrecht

520 Zivilrecht RA 10/2022 Im Falle einer nur mittelbaren Verursachung, welche eine zusätzliche Handlung des Geschädigten zur Verwirklichung der Verletzung erfordert, verlangt die Rechtsprechung die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht, welche sich im Kausalverlauf verwirklicht haben muss. Zugleich muss der eingetretene Rechtsgutsverletzungserfolg aus dem Gefahrenabwehrbereich der VSP stammen. In der Lehre werden diese Fragen teilweise erst innerhalb der Rechtswidrigkeitsprüfung aufgeworfen, was ebenfalls gut vertretbar ist. Würde man hier noch einen Anspruch der K gegen B aus § 823 I BGB prüfen, wäre diese VSP des B der Ausgangspunkt der Haftung des B. Die Pflicht kann zwar auf den Angestellten übertragen werden, bei B verbleibt aber die Pflicht, durch eine sachgerechte Organisation dafür Sorge zu tragen, dass Wasserpfeifen nicht an Minderjährige zur Nutzung ausgehändigt werden, sowie die Angestellten dahingehend zu überwachen, dass solche Organisationspläne auch eingehalten werden. In einer Klausur müssten noch Ansprüche der K gegen B aus § 823 I BGB und aus §§ 823 II BGB, 229 StGB geprüft werden. Dabei könnte aber pragmatisch „nach oben“ verwiesen werden, weil die wesentlichen Fragen alle geklärt wurden. Der Inhalt der Rücksichtspflichten gem. § 241 II BGB und der Verkehrssicherungspflichten gem. § 823 I BGB deckt sich hier, soweit der Schutz der Minderjährigen vor Überlassung der Shisha aufgrund des JuSchG betroffen ist. 2. Verhalten des Angestellten Indem der Angestellte die Shisha an K zur Nutzung übergab, konnte diese inhalieren. 3. Haftungsbegründende Kausalität Nur durch eine eigene Handlung der K, das Inhalieren, konnte es zur Gesundheitsbeschädigung kommen. Im Falle einer mittelbar schädigenden Handlung ist ein haftungsbegründender Kausalzusammenhang, der einen Rechtswidrigkeitsvorwurf zu begründen vermag, nur im Falle der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht (VSP) zu bejahen. a) Verkehrssicherungspflichtverletzung des Angestellten Hier könnte der Angestellte durch faktische Übernahme einer projektbezogenen VSP Träger der Pflicht geworden sein. Verkehrssicherungspflichtig ist, wer eine Gefahrenquelle eröffnet. Indem B eine Gaststätte eröffnet hat, haftet zunächst B selbst für alle hieraus resultierenden Gefahren, auch für solche, die aus der Missachtung des Jugendschutzgesetzes resultieren. Projektbezogene Pflichten können allerdings übertragen werden. Dann wird derjenige zum Träger der Pflicht, der sie faktisch übernommen hat, der ursprüngliche Träger wird aufsichtspflichtig. Indem der Angestellte es übernommen hat, die Gäste zu bedienen und ihnen die Wasserpfeifen auszuhändigen wurde er verkehrssicherungspflichtig. Zu diesen Pflichten gehören die gesetzlichen Vorschriften des JuSchG, welche der Angestellte missachtet hat. Folglich hat der Angestellte eine VSP verletzt. b) Äquivalente Kausalität und Schutzzweck der Norm Wie bereits geprüft wurde, kann das Aushändigen der Wasserpfeife nicht hinweggedacht werden, ohne dass die Gesundheitsbeschädigung entfiele. Ferner verwirklichte sich der Schutzzweck des JuSchG. Folglich liegt haftungsbegründende Kausalität vor. 4. Rechtswidrigkeit und ersatzfähiger, kausaler Schaden Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich. Wie bereits ausgeführt wurde, steht K ein angemessenes Schmerzensgeld aufgrund der Gesundheitsbeschädigung zu. Jura Intensiv III. In Ausführung der Verrichtung Der Angestellte führte die Gesundheitsbeschädigung innerhalb des sachlichen, örtlichen und zeitlichen Zusammenhangs mit seiner Verrichtung herbei. IV. Keine Exkulpation gem. § 831 I 2 BGB B hat seinen Angestellten nicht sorgfältig ausgewählt, angeleitet und überwacht zu haben. Folglich hat sich B nicht exkulpiert. B haftet K auch aus § 831 I 2 BGB auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes. C. Ergebnis K hat gegen B sowohl einen Anspruch auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes aus §§ 280 I, 311 II Nr. 2, 241 II BGB i. V. m. § 253 II BGB als auch aus §§ 831 I 2, 253 II BGB. FAZIT Jugendschutzgesetze führen zu Schutzpflichten im Sinne des § 241 II BGB und zu deliktischen VSP. Ihre Missachtung kann Schadensersatzansprüche auslösen. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 10/2022 Referendarteil: Zivilrecht 521 Speziell für Referendare Problem: Anspruch auf Freigabe von Grundsicherheiten Einordnung: Sachenrecht; ZPO II BGH, Urteil vom 02.06.2022 V ZR 132/21 EINLEITUNG Dem vorliegenden Fall liegt ein Dreipersonenverhältnis zugrunde. Es bietet sich an, eine Skizze anzufertigen, während Sie den Tatbestand erfassen. Ein im Grundbuch nachrangiger Gläubiger verlangt als Kläger die Löschungsbewilligung vom vorrangig eingetragenen beklagten Kreditinstitut, damit im Rahmen der begehrten Zwangsversteigerung, siehe §§ 1191 I, 1192 I, 1147 BGB, erzielte Erlöse nicht an den vorrangigen Gläubiger ausgezahlt werden, sondern an den Kläger, §§ 10 I Nr. 4, 11 I, 52 I 2 ZVG. Ebenfalls einer Erläuterung bedarf ggf. der Begriff der Zweckerklärung/Sicherungsabrede. Hierbei handelt es sich um eine schuldrechtliche Nebenabrede zwischen Sicherungsgeber und –nehmer. Die Sicherungsabrede stellt ein Begleitschuldverhältnis neben dem dinglichen Rechtsverhältnis, welches sich aus der Bestellung der Grunddienstbarkeit ergibt, dar. TATBESTAND Die beklagte Bank (B) steht mit dem Sicherungsgeber (D) in einer Geschäftsbeziehung. Dieser führt bei B ein kreditrahmenloses Girokonto als Pfändungsschutzkonto, welches am (…) ein Sollsaldo von 3,50 € aufwies. Weitere zu sichernde Forderungen der B gegenüber dem D bestehen derzeit nicht. D ist Eigentümer einer Eigentumswohnung. Zugunsten der B sind in Abteilung III des Grundbuchs unter der laufenden Nr. 3 eine brieflose Grundschuld i. H. v. 95.000 DM nebst 15 % Jahreszinsen sowie unter der laufenden Nr. 4 eine brieflose Grundschuld i. H. v. 50.000 DM nebst 15 % Jahreszinsen eingetragen. In dem als Sicherungsabrede bezeichneten und für beide Grundschulden geltenden Dokument heißt es, dass die Grundschulden nebst Zinsen und Nebenleistung zur Sicherheit für alle bestehenden und künftigen, auch bedingten oder befristeten, Forderungen der B gegen D aus der bankmäßigen Geschäftsverbindung dienen. Ferner enthält die Zweckerklärung folgende Bestimmung: „1.6 Freigabe der Sicherheiten. Sobald die Sparkasse wegen aller ihrer Ansprüche – auch bedingter oder befristeter – gegen den Kreditnehmer befriedigt ist, ist sie – auf entsprechendes Verlangen – verpflichtet, ihre Rechte aus der/den Grundschuld(en) freizugeben. Sie ist schon vorher auf Verlangen zur Freigabe verpflichtet, soweit sie die Grundschuld(en) nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Kreditsicherung zur Sicherung ihrer Ansprüche nicht mehr benötigt.“ Nr. 4 der Zweckerklärung enthält den Hinweis, dass ergänzend die allgemeinen Geschäftsbedingungen der B Vertragsbestandteil sind und diese in den Kassenräumen der Bank zur Einsichtnahme aushängen/ausliegen. Nr. 22 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthält folgende Regelung: „Die Sparkasse ist auf Verlangen zur Freigabe von Sicherheiten nach ihrer Wahl verpflichtet, soweit der realisierbare Wert aller Sicherheiten den Gesamtbetrag aller Forderungen der Sparkasse nicht nur vorübergehend um mehr als 10 % übersteigt.“ Der Kläger (K), das Land (…), ist Gläubiger einer Steuerforderung gegenüber D. Aufgrund vollstreckbarer Anträge des Finanzamtes sind am (…) in das Wohnungsgrundbuch unter den laufenden Nummern 5 und 6 zugunsten des K Jura Intensiv LEITSÄTZE 1. Die Pfändung und Einziehung des Anspruchs auf Rückgewähr einer Grundschuld umfasst grundsätzlich das Recht des Vollstreckungsgläubigers, im Wege der Vollstreckung die Löschung der Grundschuld zu verlangen. Eine unmittelbare Befriedigung ist nicht erforderlich. 2. Ist zwischen SN und SG ein weiter, die Revalutierung der Grundschuld erlaubender, Sicherungszweck vereinbart, kann die Rückgewähr erst mit Beendigung der Geschäftsbeziehung verlangt werden. 3. Aus der Treuhandnatur des Sicherungsvertrags ergibt sich die Pflicht des SN, die Sicherheit vor Beendigung des Vertrags zurückzugewähren, wenn sie endgültig nicht mehr benötigt wird. Diese Pflicht folgt gem. § 157 BGB aus dem fiduziarischen Charakter der Sicherungsabrede sowie der Interessenlage der Parteien. Auch hier indiziert die Beendigung des Geschäftsverhältnisses das endgültige fehlende Benötigen i.S.d. Sicherungsabrede. Die Entscheidung bietet sich auch zur Verwendung im 1. Examen an, denn der Sachverhalt ist im Wesentlichen unstreitig. Die Parteien streiten über Rechtsauffassungen. Bei 3-Personenverhältnissen erfolgen oft klarstellende Einleitungssätze im Tatbestand. Erforderlich ist dies aber nicht. Fragen Sie hierzu Ihre Ausbilder. B = vorrangiger Sicherungsnehmer K = nachrang. Sicherungsnehmer D = Sicherungsgeber (Eigentümer) Das Unstreitige wird im Indikativ Imperfekt dargestellt. Ausnahmen – insbesondere hier – sind Umstände, die sich auf die Gegenwart beziehen. In der Originalentscheidung erfolgen im Tatbestand Rechtsausführungen. Vermeiden Sie dies unbedingt in Ihrer Klausur. Die Formatierung in kursiv dient hier für Sie als Leseerleichterung. Sie „formatieren“ in Ihrer Klausur Ausführungen zum unstreitigen Tatbestand nicht. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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