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RA Digital - 10/2022

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538 Öffentliches Recht

538 Öffentliches Recht RA 10/2022 A.A. OVG Münster, Beschluss vom 20.11.2020, 11 B 1459/20, juris Rn 38, RA 2021, 29 Vgl. Kaufmann, NVwZ 2021, 745, 748 Mietfahrräder nicht vergleichbar mit stationsungebundenem Carsharing, da Anmietung anders erfolgt. Weitere Unterschiede zwischen Mietfahrrädern und stationsungebundenem Carsharing Anordnungsgrund (= Eilbedürftigkeit der gerichtlichen Entscheidung) folgt aus drohender Bestrafung und kurzfristig notwendigen unternehmerischen Entscheidungen. Soweit vertreten wird, dass es sich bei StVO-konform abgestellten Mietfahrrädern um eine Sondernutzung handele, überzeugt dies einerseits nicht, da die Überlegung, dass sich die Wiederinbetriebnahme eines abgestellten Mietfahrrads dem – verkehrsfremden – Zweck unterordne, zuvor mit Hilfe eben dieses Fahrrads eine Vereinbarung über dessen Anmietung zu treffen, in der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts keine Stütze findet. Andererseits ist diese Rechtsprechung nicht auf stationsungebundenes Carsharing übertragbar, da sich die der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster zugrunde liegende Anmietung eines Fahrrads von der Anmietung eines Carsharingfahrzeugs der Antragstellerinnen unterscheidet, denn der Mietvertragsschluss im letztgenannten Fall findet […] regelmäßig außerhalb des öffentlichen Straßenraums statt. Dies liegt bei den Mietfahrrädern anders. Hier ist das im öffentlichen Straßenraum abgestellte Fahrrad unentbehrlich für den Abschluss des ihn betreffenden Mietvertrags. Dieser kann überhaupt nur zustande kommen, wenn die entsprechende „Hardware“ – das Mietfahrrad mit Radnummer und bedienbarem Display – und die notwendige „Software“ – der mittels der App des Anbieters oder fernmündlich per Handy übermittelte Öffnungscode – unmittelbar zur Hand sind. Weitere Unterschiede liegen darin, dass es sich bei den von den Antragstellerinnen eingesetzten Pkw um Serienmodelle handelt. Sie unterscheiden sich daher nicht […] von privat genutzten Pkw; auch der Abstellvorgang ist äußerlich kein anderer. Die Mietfahrräder, zu denen die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster erfolgte, sind hingegen schon äußerlich von herkömmlich genutzten Fahrrädern verschieden. Schließlich wohnt den auf dem Gehweg abgestellten Mietfahrrädern ein größeres (Stolper-)Risiko für Fußgänger inne, welches ein Regulierungsbedürfnis rechtfertigt, aber bei StVO-konform abgestellten Carsharingfahrzeugen gänzlich fehlt.“ Mithin stellt das stationsungebundene Carsharing-Angebot der Antragstellerinnen keine erlaubnispflichtige Sondernutzung dar, sodass sie den Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht haben. Jura Intensiv II. Anordnungsgrund „Die Antragstellerinnen haben einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Dieser folgt daraus, dass nach der Rechtsauffassung des Antragsgegners das von den Antragstellerinnen angebotene Carsharing bereits ab dem 1. September 2022 eine erlaubnispflichtige Sondernutzung darstellt […]. Die unveränderte Fortsetzung des stationsungebundenen Carsharings der Antragstellerin stellt nach der gesetzlichen Regelung in § 28 Abs. 1 Nr. 3 BerlStrG ab diesem Zeitpunkt eine Ordnungswidrigkeit dar. Ausgehend hiervon kann Eilrechtsschutz nicht mit dem Verweis auf die Durchführung des Hauptsacheverfahrens versagt werden. Zudem benötigen die Antragstellerinnen angesichts dessen, dass infolge einer Änderung des rechtlichen Rahmens – kein erlaubnisfreier Gemeingebrauch, sondern erlaubnispflichtige Sondernutzung – nicht unerhebliche unternehmerische Dispositionen vorzunehmen wären, zeitnah Klarheit über die Rechtslage.“ Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 10/2022 Öffentliches Recht 539 III. Gerichtliche Entscheidung Die gem. § 123 III VwGO i.V.m. § 938 ZPO im Ermessen des Gerichts liegende Entscheidung darf wegen ihrer Vorläufigkeit grundsätzlich nicht die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist jedoch zu machen, wenn ohne die begehrte einstweilige Anordnung schwere und unzumutbare Nachteile drohen und zudem eindeutig überwiegende Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen. Das ist - wie oben beim Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund gezeigt - hier der Fall, sodass die von den Antragstellerinnen begehrte Feststellung vom Gericht getroffen werden darf. Der Antrag ist demnach zulässig und begründet, hat also Erfolg. Problem: Vorwegnahme der Hauptsache FAZIT Der Beschluss des VG Berlin ist sowohl aus prozessualen als auch aus materiell-rechtlichen Gründen examensrelevant. Prozessual liegt die eher seltene Konstellation eines vorläufigen, vorbeugenden Rechtsschutzes vor, und das auch noch im Rahmen eines Feststellungsbegehrens. Feststellungsanträge sind dem Eilrechtsschutz eigentlich fremd, weil im Eilrechtsschutz gerade keine endgültige Klärung der Rechtslage erreicht werden kann und Feststellungsentscheidungen zudem nicht vollstreckbar sind, dem Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers also regelmäßig nicht gerecht werden. Materiell-rechtlich haben die Ausführungen des VG Berlin zur Erlaubnispflichtigkeit des Carsharings erhebliche Bedeutung für beide Examina. Das Gericht macht in diesem Zusammenhang sehr deutlich, dass es der Rechtsprechung des OVG Münster zum (erlaubnispflichtigen) Abstellen von Mietfahrrädern nicht folgen will. Zu beachten ist, dass die Ausführungen des VG Berlin nur für das stationsungebundene Carsharing gelten. Stationsgebundenes Carsharing, bei dem bestimmte Flächen des öffentlichen Straßenraums ausschließlich dem Carsharinganbieter vorbehalten sind, wird demgegenüber oftmals vom Gesetzgeber ausdrücklich als Sondernutzung qualifiziert (z.B. Art. 18a BayStrWG, § 16a I StrG BW, § 16a I 1 HStrG, § 18a StrWG NRW). Jura Intensiv RA 2021, 29 Trenne stationsungebundenes von stationsgebundenem Carsharing © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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